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Was folgt auf den Wachwechsel?

FDP Philipp Rösler will Guido Westerwelle an der Parteispitze ablösen. Welche Richtung Partei und Fraktion einschlagen werden, ist ungewiss

11.04.2011
2023-08-30T12:16:41.7200Z
5 Min

Geht es nach Lars Lindemann, fangen die Personaldiskussionen der Liberalen gerade erst an - und beziehen künftig auch den Koalitionspartner mit ein: Man müsse überdenken, sagt der FDP-Gesundheitspolitiker, ob die Liberalen ihre Ziele "mit der derzeitigen Ressortverteilung erreichen können". Man werde darüber mit der Union "sprechen müssen".

Das sind neue Töne in der vielstimmigen Diskussion um die Frage, wie die liberale Partei, die sich nach der Aussage ihres Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher in der "schwersten strukturellen Krise seit ihrem Bestehen" befindet, zu neuer Stärke finden soll. Nach den schweren Niederlagen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz herrscht zwar Konsens darüber, dass es ein gelbes "Weiter so" nicht geben dürfe - wie und vor allem aber wer es anders machen soll, darüber ist ein Streit entbrannt, der auch nach dem Rückzug Guido Westerwelles vom Parteivorsitz noch lange nicht entschieden ist. Zwar herrscht in der FDP Einigkeit darüber, dass die Ablösung des bisherigen Vorsitzenden durch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler der richtige Schritt ist, aber bereits an der Frage, wie gründlich die alte Führungsriege entsorgt werden soll, die für das schlechte Erscheinungsbild und die abgestürzten Umfragewerte der Partei verantwortlich gemacht wird, scheiden sich die Geister.

Schweigen bis 2013?

Es hat die Diskussion um eine Neuausrichtung nicht erleichtert, dass Guido Westerwelle in einer gemeinsamen Sitzung des Fraktionsvorstands und des Bundesvorstands in der vergangenen Woche Abstimmungen über seinen Verbleib im Außenministeramt herbeigeführt hat - und überdies auch die Posten des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle und der Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger vorerst gesichert hat. Weil es auf die Frage, ob jemand Veränderungen bei den Ministern oder der Fraktionsspitze wünsche, innerhalb einer "ausreichenden Pause" keine Einwände gegeben habe, sollen die Liberalen darüber nun zwar nicht für immer, aber wenigstens bis Herbst 2013 schweigen, heißt es aus Fraktionskreisen.

Dass sie dies tun, darf bezweifelt werden. Auch wenn die Fraktion um Zusammenhalt bemüht ist, gärt es weiter. Während der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, der FDP-Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher, betont, man habe mit dem Wechsel von Westerwelle zu Rösler eine "ganz wichtige Entscheidung" getroffen und ein Abrücken von Wirtschaftsminister Brüderle und der "hervorragenden Fraktionsvorsitzenden" Birgit Homburger stehe nicht zur Debatte, will sich seine Fraktionskollege Lindemann nicht derartig festlegen. "Für den Moment" habe die Diskussion um den Fraktionsvorsitz "einen vorläufigen Abschluss gefunden", wer aber sagen wolle, ob Homburger langfristig auf ihrem Posten bleibe, müsse "Hellseher" sein.

»Prima Junge«

Lindemanns Überlegungen, das Kabinett umzubilden, damit Brüderle Wirtschaftsminister bleiben könne, Rösler sich aber nicht länger mit dem unbeliebten Amt des Gesundheitsministers herumärgern müsse, werden vom Koalitionspartner aufmerksam, aber auch belustigt registriert. Der Versuch, über die Ministerposten zu verhandeln, sei "verlorene Liebsmüh", sagt der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Die FDP könne aber "gern auf ein Ressort verzichten", wenn ihr das lieber sei als die Arbeit in den bisherigen. Bei aller Erheiterung stellt Bosbach sich allerdings auf eine künftig weniger freudvolle Zusammenarbeit von Schwarz-Gelb ein. "Der Philipp" sei zwar "ein prima Junge" mit hoher fachlicher Kompetenz und angenehm im Umgang, er befürchte aber, dass die FDP "der Versuchung erliegen könnte, sich gegen die CDU zu profilieren" und dabei wichtige innenpolitische und rechtliche Vorhaben blockiere.

Viele Beobachter glauben, dass die FDP gerade jetzt dringend ein geschärftes Profil braucht: Vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Steuern zu senken, ist sie in den vergangenen Monaten mit ihrem Schlingerkurs in Sachen Atomausstieg und in der Außenpolitik in der Gunst der Wähler abgestürzt: Nur noch drei Prozent der Wähler würden derzeit FDP wählen, teilte das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der vergangenen Woche mit, im ARD-Deutschlandtrend reichte es immerhin noch knapp für den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.

Steuersenkungen

Man sei in der Vergangenheit zu stark auf das Thema "Steuersenkungen reduziert worden", sagt Ernst Burgbacher - doch die Ankündigung Röslers, an diesem Plan festhalten zu wollen, deutet nicht auf eine grundlegende Neuausrichtung der Partei. Und was sich die Kernklientel der FDP - der Mittelstand - unter den Vorstellungen des designierten Parteivorsitzenden zu einem "mitfühlenden Liberalismus" ausmalen soll, ist bislang unklar.

Der Dresdner Parteienforscher Werner Patzelt kommt deshalb zu dem Schluss, die FDP springe momentan sowohl bei der personellen als auch bei der inhaltlichen Neuausrichtung "viel zu kurz" und beschränke sich "aufs Rühren in derselben Suppe". Die Partei sei lange dafür gewählt worden, weil sie in einem System aus zwei unterscheidbaren politischen Lagern Mehrheitsbeschaffer habe sein können. Inzwischen aber gebe es auch andere kleine Parteien, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Die FDP müsse sich "so aufstellen, dass sie mit sämtlichen vernünftigen Parteien koalitionsfähig ist. Das gilt nicht nur für Union und SPD, sondern auch für die Grünen - und das ist aktuell ein Problem", betont Patzelt. Er rät den Liberalen, sich als "klassische Bürgerrechtspartei" auf die Gestaltung der Regeln des Internets und auf mehr Bürgerbeteiligung in der Zivilgesellschaft, vor allem im Bereich der plebiszitären Elemente, zu konzentrieren. Ferner sollte sich die FDP für die Entstehung eines wirklichen liberal-demokratischen Verfassungsstaates einsetzen, in dem gerade nicht Multikulti, sondern wirkliches Miteinander herrsche. Dann könne sie zu einem "anschlussfähigen Liberalismus" kommen - und für viele Wähler wieder attraktiver werden.

Keine Neuausrichtung, dafür aber "den Mut, unser Parteiprogramm auch zu leben", fordert der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt. Er ist genervt vom "existenzgefährdenden Zickzackkurs" seiner Parteiführung, von dem er regelmäßig erst aus den Medien erfahre. Es gehe darum, über eine Vielzahl von Themen etwa in der Bildungs- und Forschungspolitik klarzumachen, dass die FDP "die Partei der liberalen Bürgergesellschaft" sei, betont Meinhardt. Von ausufernden Personaldebatten hat er vorerst genug: "Wir werden auf dem Parteitag entscheiden, wer künftig zum Führungsteam der Bundespartei gehören wird - und ich plädiere dafür, dass wir dabei die Balance zwischen erfahrenen und jungen Persönlichkeiten bewahren." Für die Fraktion sieht er keinen Änderungsbedarf. Birgit Homburger leiste "erstklassige Arbeit" - und dabei bleibe es: "Ich lasse mir nicht von der Parteiführung oder irgendeinem Landesverband in die Frage hineinreden, wer die Bundestagsfraktion führen soll."

Breit aufgestellt

Auch Gisela Piltz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, will, dass endlich weniger übers Personal gestritten wird und wieder stärker Inhalte nach außen getragen werden. "Natürlich wird eher darüber geschrieben, wenn führende Mitglieder der Partei öffentlich schlecht übereinander reden. Dabei wird aber verkannt, dass wir innerhalb der Fraktion thematisch sehr breit aufgestellt sind." Das müsse man besser verkaufen. Insgesamt rät Piltz zu mehr Gelassenheit. Die Zeiten seien zwar schwierig; solche Phasen habe es aber auch früher schon gegeben. "Die Einschätzung der Lage durch Herrn Genscher in allen Ehren - aber ich denke, am Ende des Tages sollten wir diese historischen Bewertungen der Geschichte überlassen." Susanne Kailitz z