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Wenig Überraschendes auf allen Kanälen

MEDIEN Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisiert grundsätzliche Fehlentwicklungen

11.04.2011
2023-08-30T12:16:41.7200Z
3 Min

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat beim zehnten Passauer Symposium zum Parlamentarismus den Medienbetrieb in Deutschland einmal mehr scharf kritisiert. Bei der zweitägigen Veranstaltung zum Thema "Macht und Ohnmacht der Parlamente" erörterten die 110 Teilnehmer das Spannungsverhältnis von Demokratie und Medien. Zugleich wurde der langjährige Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Heiner Oberreuter, in den Ruhestand verabschiedet. In seiner Ehrung zitierte Lammert Oberreuter mit dem Satz: "Die Massendemokratie bedarf der Massenmedien. Öffentlichkeit ist nicht mehr direkt herzustellen, sondern hängt von der Vermittlung der Medien ab."

Seifenopern vor Politik

Ihnen, den Medien, warf Norbert Lammert in seinem Redebeitrag "Parlament und Partizipation in der Mediendemokratie" eine grundsätzliche Fehlentwicklung vor: So habe Schnelligkeit "gnadenlos Vorrang vor Gründlichkeit, Bilder vor Texten, Schlagzeilen vor Analysen, Kürze vor Länge".

Geradezu notariell beglaubigt habe das vor einigen Jahren die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", als sie ihr Layout durch ein dreispaltiges Farbfoto auf der Titelseite "zulasten der Texte" verändert habe. Es sei inzwischen keine Zeit mehr vorhanden, "einen behaupteten Sachverhalt auf seine Richtigkeit zu überprüfen", krisierte der Parlamentspräsident.

Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen warf Lammert vor, es sei aus der Politikberichterstattung faktisch ausgetreten. Die "Tagesschau" sei noch Spitzenreiter, was den Anteil der politischen Nachrichten betreffe; der liege aber auch nur noch bei 48 Prozent.

Dass der Nachrichtensender Phoenix auch nur deswegen gegründet worden sei, um in den öffentlich-rechtlichen Kanälen Zeit für Seifenopern oder königliche Hochzeiten zu gewinnen, habe man ihm deutlich zu verstehen gegeben. Als er, Lammert, vorgeschlagen habe, stattdessen die konstituierende Sitzung des Parlaments zu übertragen, habe man ihm geantwortet, da sei "nichts Überraschendes zu erwarten". Seine Frage, was denn "Überraschendes" von einer Hochzeit oder der 127. Folge einer Seifenoper zu erwarten sei, habe man als "Frechheit" gewertet. "Genau so war es gemeint", sagte Lammert dazu. "Das war die Mindestreaktion eines Parlaments, das sich ernst nimmt."

Besonders wenig Gnade beim Parlamentspräsidenten finden Talkshows . Sie simulierten Politik. "Die Anwendung des Prinzips der Unterhaltung auf dem Sektor der Politik" - das ist es, was Lammert stört, und daher geißelte er die eigenen Kollegen, die sich regelmäßig in Talkshows als Unterhalter versuchten und "dabei kläglich scheitern".

Mit seiner Meinung, Politik sei nur der Pausenfüller für Werbeblöcke, stemmte sich Lammert gegen das sogenannte Politainment. Darin sieht er sich nicht allein, denn er outete die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton als Al-Dschasira-Fan: "Bei dem arabischen Nachrichtensender habe man das Gefühl", zitiert Lammert Clinton, "echte Nachrichten rund um die Uhr statt einen Werbeblock nach dem anderen zu sehen."

»Nicht zum Lachen«

Zur Bedeutung der relevanten Zielgruppe der elektronischen Medien - den 14- bis 49-Jährigen - zitierte Lammert mit Vergnügen Thomas Gottschalk, der sich darüber ausgelassen habe, dass ein desinteressierter 33-Jähriger zur relevanten Gruppe des Fernsehens gehöre, ein an der Politik interessierter 52-Jähriger dagegen nicht mehr. Lammerts Fazit zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen: "Wenn es uns nicht gelingt, das Fernsehen, das von steuerähnlichen Gebühren finanziert wird, davon zu überzeugen, seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag besser nachzukommen, dann ist uns nicht zu helfen." Und das sei gar nicht zum Lachen, reagierte Lammert auf die Lacher, die auf seine mit beißender Schärfe vorgetragene Kritik folgten.

Unterstützung fand er beim Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg: "Politik und Journalismus sind Teile eines selbstreferenziellen Systems geworden, das vor allem sich selbst in Gang hält." Gerne griff der Parlamentspräsident auch auf Martin Walser zurück: "Die Medien dürfen alles und müssen nichts. Keine Macht ist so illegitim wie die der Medien."