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Kurz rezensiert : Kurz notiert

11.04.2011
2023-08-30T12:16:41.7200Z
3 Min

Die Szenerie erinnert an ein Computerspiel: Durch das Zielfernrohr an Bord des Hubschraubers erkennt man Menschen am Boden, dann werden sie erschossen. Am Ende des Videos hört man: "Nice"! Der amerikanische Hubschrauberpilot ist begeistert - gerade liquidierte seine Mannschaft einige "Aufständische". Die Videoaufzeichnungen der Angriffe im Irak, darunter auch die Tötung von zwei britischen Reuters-Reportern, gelangten unter der Bezeichnung "Collateral Murder" zu zweifelhaftem Weltruhm. Wahrscheinlich spielten US-Soldaten der Internetplattform WikiLeaks die geheimen Dateien zu. Seitdem sind die Aufzeichnungen weltweit zu sehen. Nach diesem Anfangserfolg veröffentlichte WikiLeaks Dokumente aus den Beständen des Pentagons über die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie Depeschen aus dem State Department. Der internationale Skandal folgte den Veröffentlichungen auf dem Fuße.

Auch deutsche Computer-Hacker engagierten sich schon früh bei WikiLeaks und trugen maßgeblich zum technologischen Aufbau bei. Der geheimnisvolle Sprecher "Schmitt" publizierte jetzt unter seinem richtigen Namen Daniel Domscheit-Berg ein faszinierendes Buch über seine dreijährige Tätigkeit bei WikiLeaks und über dessen Gründer, Julian Assange; auch wenn einige Stellen nach einer peinlichen Abrechnung klingen. Immerhin hatte Assange den Deutschen im Jahr 2010 aus seiner Mannschaft herausgeschmissen, weil dieser ihn einmal zu oft kritisiert hatte. "Was schiefging, musste externe Gründe haben, der Guru war unantastbar und durfte nicht in Frage gestellt werden", erzählt Domscheit-Berg. Dennoch trauert er dieser Zeit nach: WikiLeaks sei das Beste, was ihm in seinem Leben passiert sei, gesteht er freimütig ein.

Detailgetreu berichtet der Autor über die Geschichte von WikiLeaks, über die Unterstützung des "Anonymous" in seinem Kampf gegen Scientology oder über das Engagement für Medienfreiheit in Afrika. Domscheit-Berg ist ein unterhaltsames Buch gelungen, das WikiLeaks und die Legende Assange teilweise entzaubert.

Daniel Domscheit-Berg:

Inside WikiLeaks. Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt.

Econ Verlag, Berlin 2011; 303 S., 18 €

Das Bedürfnis nach Transparenz ist extrem gewachsen seitdem immer mehr Informationen in den westlichen Demokratien unter die Rubrik "Staatsgeheimnis" fallen. So lautet das Urteil der beiden "Spiegel"-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark in ihrem Buch über die Internet-Plattform WikiLeaks. Vor allem in den USA hätten nach dem "11. September" die Angriffe auf die Privatsphäre und der Ausbau staatlicher Überwachungsstrukturen neue Blüten getrieben. Die Autoren bewerten WikiLeaks als eine Art Cyber-Aufstand von unten. Der neue weltpolitische Akteur WikiLeaks habe nicht weniger als die Machtfrage gestellt: Wer besitzt die Informationshoheit?

WikiLeaks-Gründer Julian Assange, dessen Lebenswerk das Buch ehrt, betont, es dürfe nichts geheim bleiben: Aufgabe des Internets sei es, als "Geheimdienst des Volkes" zu wirken. In dem ausgezeichnet recherchierten Buch erzählen die Autoren den Lebensweg Assanges mit großer Sympathie nach. Immerhin habe er es geschafft, von einem Computer-Hacker zum "wichtigsten Politaktivisten der Welt" aufzusteigen. Assange habe nicht nur die mächtigste Nation der Welt herausgefordert, sondern zugleich deren militärischen und diplomatischen Praktiken bloßgestellt.

WikiLeaks wird in den USA nicht ohne Grund als Bedrohung angesehen. Die Enthüllungsplattform und deren Veröffentlichungen stellten die US-Verantwortlichen auf eine Stufe mit dem Terrornetzwerk Al-Qaida. Assange gilt als offizieller Staatsfeind der USA. Der Kampf zwischen den Netzaktivisten und den Regierungen markierte den Anfang einer Debatte über Publikations- und Informationsfreiheit. WikiLeaks öffnete nach Google und Facebook eine weiteres Fenster in die Zukunft der Informationsgesellschaft.

Rosenbach und Stark, deren Magazin von der Zusammenarbeit mit Assange profitierte, betonen gleichwohl, dass ohne die journalistische Begleitung hunderttausende publizierter Original-Dokumente im Netz jedoch kaum Leser finden dürften.

Marcel Rosenbach, Holger Stark:

Staatsfeind WikiLeaks.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011; 334 S., 14,99 €