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Kurz notiert

16.05.2011
2023-08-30T12:16:43.7200Z
4 Min

Auf dem Umschlag stand nur: "An die Judensau, Österreich". Der Brief wurde Simon Wiesenthal in Wien zugestellt. Wiesenthal rief daraufhin den österreichischen Postminister an und fragte, woher der Briefträger eigentlich gewusst habe, dass das Schreiben für ihn bestimmt sei. Doch eigentlich wunderte er sich nicht über den Vorgang und legte den Brief wie viele andere ähnlichen Inhalts in einem Aktenordner mit der Aufschrift "M" (Meschugge) ab. Wie kein anderer hatte Wiesenthal die Österreicher mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit konfrontiert: Der Alpen-Republik warf er vor, die NS-Verbrecher nicht bestraft zu haben. Auch die "Kreisky-Peter-Affäre" und die "Waldheim-Affäre" deckte er auf.

Tausende Akten aus 14 Archiven, darunter nicht bekannte Quellen aus Wiesenthals Privatarchiv, bilden die Grundlage für die erste dokumentengestützte Biografie über den 2005 verstorbenen Holocaust-Überlebenden. Autor des Buches über den "de facto Mossad-Agenten", der seit 1945 für die Bestrafung der NS-Verbrecher und die internationale Anerkennung des Holocaust kämpfte, ist der renommierte israelische Historiker Tom Segev.

Mit versierten Medienkampagnen drängte Wiesenthal den Staat Israel bereits im Jahr 1949, die Erinnerung an die Shoa wachzuhalten. Seine weltweite Bekanntheit verdankte er jedoch seinem unermüdlichen Einsatz als "Nazi-Jäger". Unter anderem leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Aufspürung und Verhaftung Adolf Eichmanns durch israelische Agenten in Argentinien. Zudem initiierte Wiesenthal eine internationale Kampagne gegen das Verjähren der NS-Verbrechen. Im Bundestag unterstützten ihn dabei die Abgeordneten Ernst Benda (CDU) und Gerhard Jahn (SPD). Sie setzten sich 1965 für einen fraktionsübergreifenden Antrag gegen die Verjährung der NS-Verbrechen ein.

Tom Segev ist es gelungen, mit Hunderten kleinen Geschichten ein großes Epos über Wiesenthals Kampf für Gerechtigkeit zu schreiben.

Tom Segev:

Simon Wiesenthal. Die Biographie.

Siedler Verlag, München 2010; 574 S., 29,95 €

Ben Ali ist angeklagt, Husni Mubarak steht unter Hausarrest, Muammar al-Gaddafi hält sich wankend und Baschar al-Assad kämpft weiter brutal gegen die Regimegegner an. Die Macht bröckelt in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien: Die Diktatoren, die sich ins 21. Jahrhundert gerettet haben, stehen unter Druck oder sind gestürzt. Gerade diese Phase des Umsturzes ist entscheidend. Welche Rolle die Herrscher und ihr politisches Vermächtnis auch nach ihrem offiziellen Ende spielen, prägt das jeweilige Land permanent. Als hätte der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht es geahnt, entpuppt sich der Sammelband "Der Tod des Diktators" als ideales Handbuch für die aktuelle Großwetterlage im arabischen Raum.

Die Historiker Thomas Großbölting und Rüdiger Schmidt haben in dem Band Beiträge zusammen- gebracht, die das Ende der Ära von Napoleon, Lenin oder Stalin, von Franco, Idi Amin oder Saddam Hussein als Wendepunkt untersuchen: "Der Tod des Diktators stellte jede Diktatur auf eine Bewährungsprobe, in der es darum ging, die aktuelle Gegenwart in ein Verhältnis zur Vergangenheit und zur Zukunft zu setzen", schreiben die Herausgeber.

Egal ob realer Tod oder symbolischer Tod in Form von Herrschaftsende oder Statuensturz: Das Ende eines Regimes definiert, was vom Despoten bleibt. Die Erinnerungskultur kann die Macht des Diktators abschwächen aber auch verlängern, beweisen die Aufsätze. Am beeindruckendsten sind die Texte über das Ende von Slobodan Milosovic und Saddam Hussein. Sie zeigen, welche massiven Probleme der von außen forcierte und inszenierte Sturz von Diktatoren für die Post-Diktatur-Gesellschaften mit sich bringen kann. Auch wenn der Band an keiner Stelle klar definiert , wer genau als "Diktator" gelten kann oder muss, kommen die 15 analysierten "Fall"-Beispiele genau zur richtigen Zeit. Wer die neuralgischen Punkte bei solchen Übergangsprozessen kennt, kann die derzeitigen Umbrüche von Tunesien bis Syrien wie auch deren potenzielle Folgen besser einschätzen.

Thomas Großbölting / Rüdiger Schmidt (Hg.):

Der Tod des Diktators.

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011; 320 S., 29,95 €