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Zukunftsmusik

KINDERLÄRM Bundestag ändert das Bundes-Immissionsschutzgesetz zugunsten von Kitas und Spielplätzen

30.05.2011
2023-08-30T12:16:43.7200Z
4 Min

Schädliche Umwelteinwirkung oder Zukunftsmusik? Der Bundestag hat sich klar für letzteres entschieden: Kinderlärm gehört zum Alltag und muss von Anwohnern toleriert werden. Mit der Verabschiedung zweier gleichlautender Gesetzentwürfe von Koalition (17/4836) und Bundesregierung (17/5709) am vergangenen Donnerstag wurde das Bundes-Immissionsschutzgesetz entsprechend geändert; Geräuscheinwirkungen, die in Kindertageseinrichtungen, auf Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen von Kindern hervorgerufen werden, gelten "im Regelfall" nicht als schädliche Umwelteinwirkungen.

Das war bislang anders - was dazu führte, dass es immer wieder Klagen genervter Anwohner gab. So mussten etwa in Hamburg Kindertagesstätten schließen, nachdem Anwohner gegen den Lärm geklagt hatten. Und immer wieder bemängeln Betreiber von Kitas, es sei nahezu unmöglich, neue Einrichtungen zu bauen oder bestehende zu erweitern, weil es immer wieder zu Prozessen kommt - obwohl sich der Bund dazu verpflichtet hat, bis 2013 jedem dritten Kind unter drei Jahre einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen.

Privilegierung

Dies sei "inakzeptabel", ließ Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in der Debatte wissen - Kinder hätten das Recht, in ihrem Kindsein akzeptiert und toleriert zu werden: "Es gibt keine geräuschfreien Kinder. Wir wollen auch keine geräuschfreien Kinder." Dass Kinderlärm mit der Gesetzesänderung eine Privilegierung erfahren hat, sei von "grundsätzlicher gesellschaftspolitischer Bedeutung" und ein wichtiges Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Kindertagesstätten dürften "nicht zu Exklaven der Städte" gemacht werden, betonte der dreifache Vater Röttgen. Sie müssten sich dort befinden, wo auch andere Menschen seien.

Diese Haltung teilen die Fraktionen des Bundestags. Es sei bedauerlich, stellte die SPD-Abgeordnete Ute Vogt fest, dass das Gesetz überhaupt nötig sei, weil sich in der Vergangenheit zu viele Menschen durch Kinderlärm gestört gefühlt und geklagt hätten. Dass dies nun praktisch unmöglich ist, wertet Vogt als Fortschritt - bemängelte in ihrer Rede jedoch, dass nötige Klarstellungen im Baurecht und anderen Rechtsvorschriften noch nicht erfolgt seien.

In einem Antrag (17/881) hatte ihre Fraktion kritisiert, dass die Baunutzungsverordnung "für Anlagen für soziale Zwecke" derzeit "nur eine ausnahmsweise Zulässigkeit in reinen Wohngebieten" vorsehe. Mit der Forderung, dies zu ändern, konnten sich die Sozialdemokraten allerdings ebenso wenig durchsetzen wie Die Linke mit ihrem Bestreben, auch Sportanlagen bau- und immissionsrechtlich zu privilegieren (17/1742). Auch die Grünen scheiterten mit ihrem Antrag, die "bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Kindergärten, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen in reinen Wohngebieten effizient zu verbessern" und diese Einrichtungen in der Baunutzungsverordnung "auch in reinen Wohngebieten generell für zulässig" zu erklären (17/2925).

Die Ablehnung der Anträge liege nicht darin begründet, dass man die Zielsetzung nicht teile, stellte für die Unionsfraktion Michael Paul klar, man werde aber demnächst eine Bauplanungsrechtsnovelle vorlegen. Zudem sei man optimistisch, dass das Toleranzgebot, das nun prominent geregelt sei, auch auf andere Rechtsgebiete ausstrahlen werden. Sowohl Paul als auch die FDP-Umweltexpertin Nicole Bracht-Bendt betonten jedoch, es müsse auf einen "fairen Ausgleich" der Interessen von Familien und Anwohnern geachtet werden, auch wenn es sich beim Kinderlärm grundsätzlich um Zukunftsmusik handele.

Für die Grünen betonte die Sprecherin der Fraktion für Kinder und Familie, Katja Dörner, sie sei sehr froh, dass sich der Sprecher der Senioren-Union nicht habe durchsetzen können: Leonhard Kuckart hatte im Februar für erheblichen Unmut auch in seiner Partei gesorgt, als er Kinderlärm aus Kitas als "unzumutbare Lärmbelästigung" bezeichnet und in dem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft gesehen hatte. Nicht zuletzt Familienministerin Kristina Schröder zeigte sich über die Äußerungen verärgert - den Krach von Kindern zu akzeptieren, sei eine "Wertentscheidung", ließ sie wissen.

»Keine Lobby« für Jugendliche

So unumstritten im Bundestag die Haltung ist, dass Kinderlärm kein Grund zur Klage bei Gericht sein darf, so sehr gehen die Meinungen darüber auseinander, wie es sich bei Lärm von Jugendlichen verhält. Die Opposition wirft Schwarz-Gelb vor, die Gruppe der über 14-Jährigen in dem Gesetz zu ignorieren. Die Regierung sei ihnen "keine Lobby", meinte etwa Ute Vogt. Auch Katja Dörner bemängelte, eine Klarstellung für die Situation auf Bolzplätzen und Skateranlagen sei "komplett vergessen" worden.

Für den familienpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Ralph Lenkert, ist es unverständlich, warum für Autofahrer höhere Lärmgrenzen gelten würden als für den Jugend- und Freizeitsport und warum Kinder nur bis zum 14. Geburtstag lärmen dürften. Die getroffene Regelung mache den Umgang der Kommunen mit Lärmbeschwerden von Anwohnern schwierig: Dass zwei achtjährige Mädchen beim Basketballspielen lärmen dürften, das Scheppern aber verboten sei, sobald "Papa mitspielt", sei "Schwachsinn".