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Provokation der Weisen

RENTE I Politiker debattieren über die Rente mit 67. Wirtschaftsexperten haben schon weitergehende Forderungen

30.05.2011
2023-08-30T12:16:43.7200Z
4 Min

Das Alter, in dem ein Mensch in Deutschland in Rente gehen darf, ist weiter heiß umstritten. Jüngst heizten die fünf Wirtschaftsweisen die Diskussion mit der Forderung an, in den Jahren 2045 und 2060 müsse das Renteneintrittsalter auf 68 beziehungsweise 69 Jahre angehoben werden. Nur so könne ein starker Rückgang der Erwerbstätigen und eine Schuldenstandquote von 270 Prozent vermieden werden, gaben die Experten der Bundesregierung mit auf den Weg.

Kaffeesatzleserei

Von solchen Schritten wollte am vergangenen Donnerstag im Bundestag niemand etwas wissen. Stattdessen bekräftigte der CDU-Sozialexperte Karl Schiewerling das Festhalten an der Rente mit 67. Den Rat der Wirtschaftsweisen halte er für "Kaffeesatzleserei und in der jetzigen Situation für völlig kontraproduktiv". Die umlagefinanzierte Rente sei ein Stabilitätsfaktor in Deutschland. "Sie wird aber nur funktionieren, wenn wir keinen der Partner des Systems überfordern", sagte Schiewerling. Der Weg der Regierung zur Rente mit 67, auf den sich die Betriebe langsam einstellten, sei notwendig. Zudem habe man mehrere Programme auf den Weg gebracht, um den Prozess zu unterstützen.

Die Opposition sah die Entwicklung weit weniger positiv. Die Sozialdemokraten forderten in einem Antrag (17/3995), die Einführung der Rente mit 67 zu verzögern. "Die Voraussetzungen für die Einführung sind nicht gegeben, deswegen muss sie verschoben werden", sagte ihr Parlamentarier Anton Schaaf. Notwendig seien eine höhere Beschäftigungsquote bei Älteren sowie eine Antwort auf die Frage, was mit denjenigen geschehe, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zu ihrem 67. Lebensjahr arbeiten könnten. Er vermisse gute Initiativen der Regierung, um die Beschäftigungsquote Älterer zu erhöhen.

Nach einem Beschluss der Großen Koalition aus dem Jahr 2007 soll vom kommenden Jahr an etappenweise das Alter für den Rentenbeginn angehoben werden. Bis 2023 geht es in Schritten von einem Monat pro Jahr voran. Von 2024 an erhöhen sich die Schritte auf zwei Monate pro Jahr. Die Ersten, die tatsächlich bis zu ihrem 67. Lebensjahr arbeiten müssen, stammen aus dem Jahrgang 1964. Grundsätzlich ist es weiter möglich, mit 65 in den Ruhestand gehen zu können. Wer das ohne Verluste will, muss aber mindestens 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Ausnahmen gibt es für Menschen, die vermindert erwerbsfähig sind, sowie für Schwerbehinderte.

Die Linke forderte in einem Gesetzentwurf (17/3546), den Beginn der Erhöhung des Rentenalters um vier Jahre zu verschieben. Erst ab 2016 soll ihrem Willen nach damit begonnen werden. 2014 solle zunächst die Beschäftigungslage geprüft werden. Wichtig sei es, die Voraussetzungen für die Änderungen zu schaffen. In einem Antrag (17/2935) forderten die Parlamentarier sogar eine völlige Abkehr von der Rente mit 67. "Die Perspektive der Linken ist die der Beschäftigten. Die Rente mit 67 muss weg", bekräftigte ihr Abgeordneter Matthias Birkwald das Ansinnen seiner Fraktion. "Alle Gewerkschaften und alle wichtigen Sozialverbände sind gegen die Rente mit 67. Wir stehen mit unserer Meinung im Parlament allein, aber in der Gesellschaft haben wir eine Mehrheit", argumentierte Birkwald und warf der Regierung vor, eine Rentenkürzung zu planen. Viele Menschen schafften es nicht einmal, bis zu ihrem 65. Lebensjahr zu arbeiten. Die Situation am Arbeitsmarkt habe sich auch im vergangenen Jahr für Bürger über 55 Jahre nicht verbessert.

Ganz so dramatisch sah Wolfgang Strengmann-Kuhn die Situation nicht. Der Grünen-Rentenexperte sagte, der Rentenwert werde infolge der Rente mit 67 steigen. Der Kuchen werde größer. Arbeitnehmer, die länger arbeiteten, profitierten von dem Gesetz. "In der Tat gibt es aber Menschen, die schlechter dastehen werden. Es sind ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft", fügte Strengmann-Kuhn hinzu. In ihrem Antrag (17/4046) fordern die Grünen, die Voraussetzungen zu verbessern, damit Menschen bis zum Alter von 67 Jahren auch tatsächlich arbeiten können. Dazu gehörten etwa Weiterbildungsangebote. Strengmann-Kuhn forderte eine Garantierente über dem Grundsicherungsniveau. Damit sollten Arbeitnehmer abgesichert werden, die lange Zeit in die Rentenkasse eingezahlt hätten. Des Weiteren müssten Arbeitsplätze so gestaltet sein, dass es möglich sei, dort über Jahrzehnte zu arbeiten. Außerdem müsse es den Menschen möglich sein, ihren Ruhestand selbstbestimmt und ohne Verluste anzutreten.

Mentalitätswechsel

Der FDP-Parlamentarier Heinrich L. Kolb widersprach der Auffassung, dass der Arbeitsmarkt für Ältere weiterhin schlecht sei. Die Situation habe sich "spürbar verbessert", betonte er und kritisierte, die Anträge der Opposition seien "geleitet von einer falschen Sichtweise". Sie gingen davon aus, dass eine frühe Rente wünschenswert sei. "Wir brauchen einen Mentalitätswechsel", mahnte Kolb. Gerade erst habe er einen Zeitungsartikel mit einem Plädoyer für einen flexiblen Renteneintritt gelesen. Viele Menschen wollten länger arbeiten. Ihm falle ein Widerspruch auf: Die Sozialpolitiker redeten oft von Teilhabe, aber bei Älteren nur von der Finanzierung des Ausstiegs. "In diesem Sinne finde ich Ihre Anträge rückwärtsgewandt", sagte Kolb. (Kommentare Seite 2).