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Schweres Erbe

SED-UNRECHT Diskussion über geplante Gesetzesnovelle entfacht Streit um Überprüfungen auf Stasi-Tätigkeit

04.07.2011
2023-08-30T12:16:45.7200Z
4 Min

Für den Unionsabgeordneten Wolfgang Börnsen war die Sache einfach und klar: Sechs der neun geladenen Experten, so rechnete er seinen Kollegen noch während der öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am vergangenen Montag freudig vor, bewerten den von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP vorgelegten Gesetzentwurf zur Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (17/5894) positiv. Dieser sieht zum einen vor, dass das Recht auf Einsicht in die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) durch Bürger, Journalisten und Wissenschaftler bis zum 31. Dezember 2019 verlängert wird. Ebenso verlängert und zusätzlich ausgeweitet werden sollen die Überprüfungsmöglichkeiten auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit bei der Stasi. Nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen sollen zukünftig Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst sowie Soldaten in leitender Funktion ab der Besoldungs- beziehungsweise Entgeltgruppe A13/E13 durch den Dienstherren überprüft werden können. In der letzten Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, die Ende des Jahres ausläuft, waren die Überprüfungsmöglichkeiten auf Personen in Spitzenfunktion beschränkt worden.

Genau an dieser Stelle regt sich Widerstand: SPD und Bündnis 90/Die Grünen - beide Fraktionen unterstützen prinzipiell eine Gesetzesnovelle - wollen eine solche Überprüfung aber nur dann erlauben, wenn ein "tatsächlicher Anhaltspunkt" für eine Stasi-Tätigkeit vorliegt. Man müsse schon berücksichtigen, argumentierte der SPD-Abge- ordnete Wolfang Thierse, dass das Ende der DDR nun über 20 Jahre zurückliege. Dem sei Rechnung zu tragen. Die beiden Oppositionsfraktionen haben deshalb einen entsprechenden Änderungsantrag in die Beratungen des Ausschusses eingebracht.

Emotionen

Ganz so einfach und klar wie Börnsen meinte, war es dann also doch nicht: Gemessen an dem durchaus hohen Grad der Übereinstimmungen zwischen den Experten und den Abgeordneten, verlief die Anhörung alles andere als harmonisch. Denn die Aufarbeitung der SED-Diktatur lässt die Emotionen mitunter noch immer hochkochen.

Für hörbare Empörung in den Reihen der Union und der FDP sorgten etwa die Ausführungen des Freiburger Rechtsanwaltes Michael Kleine-Cosack: Er erklärte die Verlängerung und die Ausweitung der Überprüfungen auf eine Stasi-Tätigkeit für schlichtweg verfassungswidrig. Die im Grundgesetz garantierten Bürgerrechte stünden schließlich nicht unter einem "MfS-Vorbehalt". Hart ging er die FDP-Parlamentarier an. Ihre Partei scheine "von den letzten liberalen Geistern verlassen zu sein". Zudem sei das Gesetz unsinnig, da 20 Jahre nach dem Ende der DDR auch keine Sanktionen - etwa Entlassungen - mehr möglich seien, wenn erst jetzt die Stasi-Tätigkeit eines Mitarbeiters nachgewiesen werden würde. Das Gesetz befördere lediglich ein Klima des Denunziantentums. Dieser Sichtweise schloss sich die Abgeordnete Lukrezia Jochimsen von der Linksfraktion an.

Auf Ablehnung stößt das Gesetz aus ähnlichen Gründen auch beim Hamburger Hochschulprofessor für Rechtswissenschaften Hans Peter Bull und seinem Kollegen Hansjürgen Garstka von der Humboldt-Universität zu Berlin. Garstka musste sich für seine Einlassung, Opfer müssten sich damit abfinden, dass Unrecht auch verjähre, die bissige Gegenfrage des CDU-Abgeordneten Christoph Poland gefallen lassen, ob dies auch für Juden gelte.

Einen völlig konträren Standpunkt hingegen vertraten die anderen sechs Experten. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, und Ulrike Poppe, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, begrüßten die Ausweitung und die Verlängerung der Stasi-Überprüfungen ausdrücklich. Gerade für den öffentlichen Dienst sei dies aus Gründen der Glaubwürdigkeit besonders wichtig. Es sei einem Opfer des SED-Regimes nicht zuzumuten, bei einem Kontakt mit staatlichen Behörden auf einen ehemaligen Mitarbeiter der Stasi zu treffen. In diesem Sinn äußerten sich auch der Berliner Rechtsanwalt Johannes Weberling und Thomas Lenz, Staatssekretär im Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern.

Auch Rainer Wagner, Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, plädierte mit Nachdruck für die Überprüfungen. Sie sollten aber bereits ab der Besoldungsgruppe A11 ermöglicht werden.

Schutzfunktion

Die Forderung der SPD und der Grünen, eine Überprüfung nur bei einem "tatsächlichen Anhaltspunkt" einzuleiten, erteilten Poppe und Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, eine Absage. Damit würde das Ergebnis der Überprüfung zu ihrer Voraussetzung gemacht. Poppe argumentierte, dass der Dienstherr eine Überprüfung auch deshalb vornehmen können sollte, um einen Angestellten gegen falsche Verdächtigungen in Schutz nehmen zu können. Knabe fügte hinzu, dass es doch "widersinnig" sei, dass jeder Journalist Einsicht in die Stasi-Akten eines Beamten nehme könne, der Dienstherr aber nicht.

Abgeschlossen werden die Beratungen über den Gesetzentwurf erst nach der parlamentarischen Sommerpause. Ob sich CDU/CSU und FDP einerseits und SPD und Grüne andererseits in den strittigen Fragen noch annähern werden, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass auch die Sozialdemokraten und die Grünen für eine Neuauflage des Gesetzes eintreten. So gesehen, ist es dann doch ganz einfach: Eine übergroße Mehrheit der deutschen Parlamentarier ist nicht gewillt, einen Schlussstrich unter das SED-Unrecht zu ziehen.