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Energie mit Geschmack

WIRTSCHAFT Designer entdecken Strommasten und Windräder und wollen das Land optisch verändern

29.08.2011
2023-08-30T12:16:48.7200Z
4 Min

Rund 3000 Kilometer Höchstspannungsleitungen müssen infolge der Energiewende in Deutschland gebaut werden. Das ergeben Berechnungen der Bundesnetzagentur. Die neuen Stromtrassen sollen vor allem aus Kostengründen überirdisch verlegt werden. Die Leitungen und ihre Masten werden das Landschaftsbild vielerorts prägen. Oftmals zum Unmut der Bürger. Aber, so hält Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien fest, "Energieerzeugung ist in den seltensten Fällen unsichtbar": Ein Atomkraftwerk mit all den Leitungen, die von ihm wegführen, sei schließlich auch kein "ästhetischer Höhepunkt" gewesen. "Auch in Zukunft ist es nach derzeitigen Stand der Technik kaum möglich, nennenswerte Stromerzeugung unsichtbar zu machen", so Vohrer.

Ästhetik Unsichtbar sollen und können Energieerzeugung und -transport nicht werden, aber ästhetischer und dem Zeitgeist entsprechend. Dies befinden immer mehr Architekten und Designer, die die Energiewende zum Mittelpunkt ihrer Arbeit erklärt haben. Ob Atomausstieg und Energiewende mittel- und langfristig mehr Arbeitsplätze schaffen, wie Befürworter meinen, oder vielmehr Jobs vernichten, wie die Gegner prognostizieren, das wird die Zukunft zeigen. Sicher ist jetzt schon, dass die Energiewende andere, neue Berufs- und Forschungsfelder schafft. Ganze Studiengänge namens "Zukunfts-" oder "Enerneuerbare Energien" sprießen landesweit aus dem Boden. Die Energiewende verändert Deutschland - auch optisch. Der Architekt Dietmar Koering sieht das als Chance.

Zeitenwende

Er ist sich sicher: Die Vorreiterrolle, die Deutschland weltweit eingenommen hat, indem es als erste große Industrienation den Atomausstieg beschloss, verpflichtet auch Design und Architektur. Die Energiewende begreift der Architekt als Zeitenwende, als den Aufbruch in ein neues, umweltfreundlicheres Zeitalter.

Das Atomzeitalter soll sichtbar vorbei sein. Auch den bekannten stählernen Hochspannungsmasten, erklärt Koering, liegt ein Design zugrunde. Modell habe einst der Eiffelturm gestanden. Dieser stehe, genauso wie die traditionellen Masten, für das alte Industriezeitalter. "Durch die Energiewende bricht ein neues Zeitalter an, daher können wir nicht weiter die alten Symbole nutzen", argumentiert Koering. Deshalb hat er Strommasten in "organischen Formen" entworfen. Sie muten futuristisch an und haben, darauf ist Koering stolz, drei statt vier Standbeine, brauchen daher weniger Stellfläche. Eine "Harmonie zwischen Bauten und Landschaft" will Koering herstellen, "organische Architektur" nennt sich diese Richtung. In seinen Masten sieht Koering Skulpturen, die in der Landschaft stehen, an die beispielsweise noch Brutkästen montiert werden können, "zur Verhübschung", wie er sagt. Portugal und Venezuela hätten sogar schon ihr Interesse bekundet. Allerdings wird es eine Zeit dauern, bis diese Strommasten überhaupt seriell gefertigt werden können. Zuerst einmal will Koering drei Prototypen bauen, sobald er einen ersten Investoren gefunden hat.

Stahlriesen

Aber nicht nur die Anhänger der organischen Architektur haben ihre Visionen von Strommasten, auch für den traditionellen Hochspannungsmast könnte es einen zweiten Frühling geben, meint das Architekturbüro Choi and Shine mit Sitz in den USA und und in Großbritannien. Ihre Architekten wollen keinesfalls mit den Traditionen und Symbolen des Industrie- und Atomzeitalters brechen. Sie geben den herkömmlichen Masten lediglich ein neues Design: ein menschliches Antlitz. Stählerne Giganten mit der Silhouette von Titanen sollen, wenn es nach diesen Architekten geht, die Hochspannungsleitungen tragen.

In Deutschland sind die Stahlriesen noch nicht im Gespräch. Das Architekturbüro hat sie im Auftrag eines isländischen Stromnetzbetreibers entworfen. Falls dieser sich tatsächlich für das neue Design entscheidet, muss es allerdings letztendlich von Erla Stefánsdóttir, "Elfenbeauftragte" im Bauamt von Reykjavík, final geprüft werden.

Die Energiewende bringt nicht nur neues Design für Althergebrachtes. Einige Architekten versuchen sich an funktionellen Bauten mit Mehrwert. Der Münchener Dietrich Fink ist Architekt und zugleich Inhaber des Lehrstuhls für integriertes Bauen an der Technischen Universität München. Forschung und Lehre stellt er unter den Leitsatz "Wachstum nach innen": Die bewohnten und bewirtschafteten Flächen sollen nicht weiter wachsen. Vielmehr soll die Flächennutzung optimiert werden. Diese Idee kommt nicht von Ungefähr. Die Stadt München hat Fink mit einer entsprechenden Studie beauftrag, denn ihr Wachstum liegt derzeit bei 25.000 Einwohnern pro Jahr. Damit ist sie die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands.

Power Tower

Achitekt Fink beschäftigt sich deshalb mit der Frage, mit Hilfe welcher stadtplanerischen, regionalplanerischen und architektonischen Mittel man diesem Expansionsprozess entgegenwirken kann. Für ihn ist "die Stadt das wichtigste Artefakt, das die Menschheit geschaffen hat". Gemeinsam mit seinen Studenten hat er unterschiedlichste Entwürfe des sogenannten Power-Tower konzeptioniert. Es handelt sich um ein "visionäres Gebäude, das selbst Energie produziert", denn Energieknappheit und Klimawandel "fordern insbesondere von der Architektur neue Lösungen". Herkömmliche Gebäude erzeugen durch den eigenen Energieverbrauch 30 Prozent des ingesamt produzierten Kohlendioxids. Die futuristischen "Power Tower" hingegen können ihren Energiebedarf decken. Die Entwürfe sehen unter anderem Wärmekollektoren, Miniaturwindräder und Sonnenkollektoren in den Fassaden vor. Dietmar Koering spricht da von Energie-Design, dem sich immer mehr Architekten weltweit widmen. Allen Entwürfen ist gemein, dass vorhandene Flächen zur Energiegewinnung genutzt werden, seien es nun Gebäudefassen oder Freiflächen unterhalb von Talbrücken.

Durchschnittshimmelgrau

Schon heute gibt es, wenn auch unauffällige, Ansätze des Energie-Designs in Deutschland zu bewundern. Einige Windräder haben grün schattierte Sockel. Der Rest der Anlage ist grau. Aber dabei handelt es sich keinesfalls um irgendein Grau, sondern um das Unikat "Durchschnittshimmelgrau", erläutert Philipp Vohrer: "Dieses Grau ist, ob man es glaubt oder nicht, der Durchschnittsfarbton des deutschen Himmels. Und deshalb haben die dieses Grau gewählt, damit sich die Anlage im Durchschnitt nicht so stark abhebt von der Umgebung." Das Grün des Sockels soll die Farbe der grünen Wiesen, auf denen die meisten Windräder stehen, aufgreifen. "Ein guter Ansatz, um Akzeptanz zu schaffen." Schade nur, dass man in Deutschland so selten einen Anlass hat, blaue Windräder aufzustellen.