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Doppelter Rettungseinsatz

EUROPA I Bundestag stimmt für erweiterte Euro-Hilfe und stärkt damit die Regierung Merkel

04.10.2011
2023-08-30T12:16:50.7200Z
4 Min

Peer Steinbrück hielt sich nicht lange bei den Milliarden auf. Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Finanzminister holte vor der entscheidenden Abstimmung zum erweiterten Euro-Rettungsfonds EFSF am vergangenen Donnerstag weit aus: Europa sei "Antwort auf 1945" und auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, es stehe für Meinungsfreiheit, Wohlstand, Frieden. Europa bedeute, "dass niemand nachts Angst haben muss, dass jemand an der Tür klingelt und einen abführt". Heute fehle "eine neue Erzählung von und über Europa", sagte Steinbrück. Er machte damit zum Thema, was der Regierung in den vergangenen Wochen vorgehalten wurde: Sie erkläre zu wenig, und sie streite zu viel.

Nach Auffassung vieler entscheide das Parlament heute über das "wichtigste einzelne Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode", hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am Beginn dieses Sitzungstages gesagt. Es sei nicht überraschend, wenn sich Abgeordnete mit der Entscheidung schwer täten. Lammert kündigte an, dass über die "vereinbarte Redezeit" von zwei Stunden hinaus auch jene zu Wort kommen sollen, die für sich zu einer "anderen Abwägung" gekommen seien als ihre Fraktion - eine Entscheidung, die bei einigen Abgeordneten auf Kritik stoßen sollte (siehe Beitrag unten).

Fernsehkorrespondenten aus aller Welt berichteten live, um die Frage zu beantworten, wie es der Deutsche Bundestag mit Europa und dem Euro hält. Um 12.11 Uhr Ortszeit stand das Ergebnis fest. Eine große Mehrheit der Abgeordneten, 523, stimmten für den Gesetzentwurf, 315 davon aus den Reihen der Koalition. Damit stand die für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) symbolisch wichtige Kanzlermehrheit, die von der Opposition im Vorfeld in Zweifel gezogenen worden war. Deutschland wird mit 211 Milliarden Euro bürgen, der Rettungsfonds EFSF erhält weitere Instrumente, darf zum Beispiel Anleihen überschuldeter Staaten aufkaufen. Und: Der Bundestag hat bei allen wichtigen Entscheidungen zum EFSF ein Wort mitzureden.

Es gehe "heute um mehr als nur um die Ertüchtigung" des Rettungsschirms, "vielmehr geht es hier tatsächlich um unsere Zukunft", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder zum Auftakt der Debatte. Deutschland habe ein "existenzielles nationales Interesse an der Stabilität in Europa und an der Stabilität des Euro". Die parlamentarische Beteiligung des Bundestages komme einem "sehr bedeutendem Paradigmenwechsel" gleich. "Von einem Europa der nationalen Regierungen, die in den Räten beieinandersitzen, sind wir auf dem Weg zu einem Europa der Parlamente", sagte Kauder und ergänzte: "Wir sind ein selbstbewusstes Parlament."

Schuldenschnitt

Peer Steinbrück hielt entgegen: Die Erweiterung des EFSF sei notwendig und werde von der SPD unterstützt. "Hinreichend" sei sie nicht. Der Regierung fehle "in Zeiten der Gefahr die wichtigste politische Qualität: Vertrauen". Dieses erwachse aus "Überzeugung und Begründung, aus Konsistenz und Erkennbarkeit", genau daran aber fehle es, sagte Steinbrück. So habe die Regierung den Weg der von ihr stets abgelehnten Haftungsunion mit den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank längst beschritten. Die Strategie des "Zeit-Kaufens" mit immer neuen Hilfepaketen sei gescheitert, ein Schuldenschnitt Griechenlands unausweichlich.

Rainer Brüderle (FDP) erinnerte daran, dass es die rot-grüne Bundesregierung gewesen sei, die Griechenlands Aufnahme in die Währungsunion vorangetrieben und den Stabilitätspakt gebrochen habe. Hier lägen die Ursachen der heutigen Probleme. "Besserwisser sind noch keine Bessermacher", sagte der liberale Fraktionschef an die Adresse der Opposition. Es gehe darum, "die Wirtschaftskraft Europas zu stärken " und "unsere Währung zu schützen und stabil zu halten". Dies sei die Lehre insbesondere der deutschen Geschichte: "Wird das Geld schlecht, wird alles schlecht", sagte Brüderle.

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, rechtfertigte die Absicht seiner Fraktion, geschlossen gegen den EFSF zu stimmen: "Sie alle wollen ein Europa der Banken, wir wollen ein Europa der Menschen." Gysi forderte eine Garantieerklärung der Bundesregierung, dass nicht die Arbeitnehmer, Arbeitslosen, Rentner und Kleinunternehmer für die 211 Milliarden Euro des EFSF haften. Er forderte außerdem, eine öffentlich-rechtliche Bank in Europa zu schaffen. Diese könne überschuldeten Staaten zinsgünstige Kredite geben. "Was haben Sie denn dagegen, den Primat der Politik über die Banken wieder herzustellen?", fragte Gysi.

Wer sich einem Instrument verweigere, das EU-Mitglieder vor Spekulation schütze, handle nicht solidarisch, sondern "national und klein und borniert", hielt Jürgen Trittin seinem Vorredner entgegen. Der Koalition warf der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen vor, die notwendigen Entscheidungen zum Rettungsschirm verschleppt zu haben. Ihr "Zaudern und Zögern" habe den deutschen Steuerzahler viel Geld gekostet, "weil es die Krise verlängert und verteuert hat". Trittin verwies auf die Schweiz, die ihre Banken zu einer "saftigen Erhöhung des Eigenkapitals gezwungen" habe. "Warum gibt es immer noch keine Schuldenbremse für Banken?", fragte er.

Auch die Gegner des EFSF aus den Koalitionsfraktionen kamen zu Wort. Das Konzept, "mit immer mehr Schulden übermäßige Schulden zu bekämpfen, geht nicht auf", sagte Klaus-Peter Willsch (CDU). Und Frank Schäffler (FDP) kritisierte: "Es wird nur teure Zeit erkauft."

Nervöse Märkte

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) appellierte an die Abgeordneten: "Wir sind in einer außergewöhnlich schwierigen Lage." Die Nervosität an den Finanzmärkten sei groß und drohe auf die Realwirtschaft überzugreifen. Zugleich zeigte er Verständnis für Kritik in den eigenen Reihen: "Keinem fällt diese Entscheidung leicht." Der Minister erteilte Gerüchten eine Absage, der Garantierahmen des Rettungsschirms würde nach dem Bundestagsbeschluss über Finanzhebel aufgestockt. "Er wird nicht erhöht und steht nicht zur Debatte", sagte Schäuble, räumte auf Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick aber ein: Die Richtlinien für die EFSF seien "noch nicht abschließend verhandelt". Sie bedürften aber der Zustimmung des Bundestages.