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Wieder Streit um Doppelpass

STAATSBÜRGERSCHAFT Die Opposition scheitert mit Vorstößen für Erleichterungen bei der Einbürgerung

14.11.2011
2023-08-30T12:16:52.7200Z
4 Min

Sie war schon 1999 eines der großen Aufregerthemen in der deutschen Politik, und noch heute scheiden sich an ihr die Geister: die doppelte Staatsbürgerschaft. Das zeigte sich auch am vergangenen Donnerstag im Bundestag, in dem die Oppositionsfraktionen von SPD, Die Linke und Grünen mit Vorstößen für Erleichterungen bei der Einbürgerung von Ausländern scheiterten. In namentlicher Abstimmung votierten 308 Parlamentarier gegen einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (17/773). 278 Abgeordnete stimmen dafür; es gab eine Enthaltung. Auch einen Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion (17/3411) zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts lehnte das Parlament ebenso wie einen Antrag der Linksfraktion (17/2351) mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP ab.

Kompromiss von 1999

Alle drei Vorlagen zielten unter anderem auf eine Abkehr vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, auf eine Verkürzung der Fristen für die Einbürgerung sowie auf einen Verzicht auf das sogenannte Optionsmodell ab. Danach müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern mit Erreichen der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden.

Eingeführt wurde dieses Modell 1999 bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts unter Rot-Grün, bei der das Abstammungsprinzip um das Geburtsortsprinzip (ius soli) ergänzt wurde: Wer in Deutschland geboren wird, hat damit unabhängig von der Nationalität der Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft. Da SPD und Grüne aber bei der Hessen-Wahl im Frühjahr 1999 ihre Mehrheit im Bundesrat verloren hatten, kam es als Kompromiss bei der Reform zu der Optionspflicht. Im Zuge des Optionsmodells konnten durch eine Übergangsregelung auch Kinder, die am 1. Januar 2000 noch nicht zehn Jahre alt waren, auf Antrag eingebürgert werden - davon machten 50.000 Gebrauch, wie der CDU-Abgeordnete Ingo Wellenreuther in der Debatte erläuterte: "Die ersten dieser Kinder wurden somit im Jahr 2008 18 Jahre alt und müssen sich deshalb bis spätestens 2013 entscheiden."

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), warf SPD und Grünen vor, den 1999 eingegangenen Kompromiss aufzukündigen. Damals sei Rot-Grün noch bereit gewesen, mit der Optionspflicht an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit festzuhalten. Nun seien die ersten betroffenen Kinder in das "optionspflichtige Alter" gekommen, doch wollten SPD und Grüne die Optionsregelung abschaffen, "obwohl noch kein einziges Kind aus der ius-soli-Regelung das Ende der Optionsfrist erreicht hat". Schröder verwies darauf, dass die Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge derzeit eine Untersuchung zur Optionsregelung und zum Einbürgerungsverhalten vornehme. Deren Ergebnisse, die in der ersten Hälfte des nächsten Jahres vorlägen, müsse man abwarten, um eine sachliche Diskussion führen zu können.

Grundprinzip verteidigt

Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer betonte, Deutschland sei gut damit gefahren, dass es im Staatsangehörigkeitsrecht das Grundprinzip sei, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Eine Einbürgerung könne nur am Ende eines erfolgreich abgeschlossenen Integrationsprozesses stehen und nicht an dessen Anfang, argumentierte er.

Mayer und der FDP-Parlamentarier Hartfrid Wolff plädierten ebenfalls dafür, die Ergebnisse der Evaluierung abzuwarten. Die FDP habe seinerzeit das Optionsmodell vorgeschlagen, um eine Öffnung des Staatsangehörigkeitsrechts "in Richtung auf das ius soli zu ermöglichen", sagte Wolff. Es mache "keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es praktisch noch keine verwertbare Daten gibt".

Dem hielt der Grünen-Abgeordnete Memet Kilic entgegen, dass es "keine fürsorgliche liberale Position" sei, "50.000 junge Menschen mit Ausbürgerung zu konfrontieren und dann erst über den Sinn dieser Regelung zu entscheiden". Kilics Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagte mit Blick auf den jüngst begangenen 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens, dass heute "die Kinder der Einwanderer zu Auswanderern" würden, weil gut gebildete junge Türken ihre berufliche Karriere besser in Brüssel oder Istanbul weiterführen könnten. Die Koalition gebe jungen Leuten, die schon lange hier leben, "nichts als einen Optionszwang, statt zu sagen: Ja, wir wollen, dass Sie hier bleiben".

»Regelung funktioniert nicht«

Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warnte davor, jungen Menschen eine Entscheidung abzuzwingen, "die sie ganz offenbar nicht in der Lage sind zu treffen". Die Optionsregelung funktioniere nicht und könne deshalb nicht einfach weitergeführt werden. Wer Integration ernst nehme, müsse bereit sein, über Staatsangehörigkeit zu sprechen, mahnte Steinmeier. Und seine Fraktionskollegin Aydan Özoguz verwies darauf, dass laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr bei 53 Prozent der Einbürgerungen Mehrstaatigkeit hingenommen worden sei.

Für die Linksfraktion beklagte ihre Parteivorsitzende Gesine Lötzsch, dass in Deutschland immer weniger Menschen eingebürgert würden. SPD, Grüne und FDP hätten 1999 ein Gesetz beschlossen, "das sich in einem ganz wesentlichen Punkt zum Einbürgerungsverhinderungsgesetz entwickelt hat". Dies müsse korrigiert werden, forderte Lötzsch und verwies darauf, dass in europäischen Ländern mit hoher Einbürgerungsquote Mehrstaatigkeit generell erlaubt sei. Man müsse sich jetzt für die Menschen entscheiden, die seit Jahren in Deutschland leben. Lehne die Koalition die Oppositions-Vorlagen ab, schaffe sie "neue Mauern zwischen den Menschen", verhindere die demokratische Teilhabe von Millionen Menschen und befördere "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit".