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»Blass vor Neid statt rot vor Zorn«

SOZIALES Bundesministerin von der Leyen lobt gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und bei den Renten. Opposition sieht soziale Schieflage im größten Einzeletat

28.11.2011
2023-08-30T12:16:52.7200Z
5 Min

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat kein Verständnis für das Wehklagen der Opposition. Die Wirtschaft brumme, Deutschland verzeichne die "höchste Vollbeschäftigung seit der Wiedervereinigung", was durch die Halbierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen und einer strukturellen Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen von "nur 40.000" verdeutlicht werde, befand die Ministerin am vergangenen Donnerstag während der Abschlussberatung des Etats 2012 ihres Ministeriums. Angesichts dessen solle die Opposition "blass vor Neid statt rot vor Zorn" werden. Doch statt Beifall erntete von der Leyen Kritik von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Der Haushalt sei das "Dokument der sozialen Schieflage", fand Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer. Die SPD-Abgeordnete Bettina Hagedorn nannte ihn "schlecht für die Arbeitslosen in Deutschland". Und die Haushaltsexpertin der Linksfraktion, Gesine Lötzsch kam zu dem Schluss, dass der Sozialetat "ungerecht, unsolidarisch und schon gar nicht christlich" sei.

Knapp fünf Milliarden Euro minus

Dabei stellt auch im Bundeshaushalt 2012 der mit den Stimmen der Koalition verabschiedete Etat des Ministeriums für Arbeit und Soziales (17/7111, 17/7123) den größten Ausgabenposten dar. 126,46 Milliarden Euro sind vorgesehen. Das sind immerhin gut 41 Prozent der Gesamtausgaben und zugleich rund 4,83 Milliarden Euro weniger als noch 2011. Die größte Summe verwendet das Ministerium dabei für die Finanzierung der Rentenversicherung: Insgesamt sind 81,63 Milliarden Euro vorgesehen - 1,29 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2011. Die größte Einzelsparsumme im Etat ergibt sich durch den Wegfall des Darlehens an die Bundesagentur für Arbeit, das im Haushalt für dieses Jahr noch mit 5,4 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Zudem sieht der Etat insgesamt 33,07 Milliarden Euro für die Grundsicherung für Arbeitsuchende vor. Das sind 1,1 Milliarden Euro weniger als 2011. Die Leistungen für Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose belaufen sich auf 4,4 Milliarden Euro - fast eine Milliarde Euro weniger als 2011.

Hier setzt die Kritik der Opposition an. Die Bundesregierung kürze bei den Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik, kritisierte etwa Bettina Hagedorn. Dies gehe zu Lasten der Langzeitarbeitslosen und sei auch angesichts des Fachkräftemangels in der deutschen Wirtschaft aus volkswirtschaftlicher Sicht falsch, sagte sie. Schon bei dem im Sommer 2010 von der Koalition verabschiedeten Sparpaket seien 40 Prozent der Kürzungen dem Bereich Arbeit und Soziales zugewiesen worden. Da zwei Drittel des Etats gesetzlich festgeschriebene Leistungen seien, konzentrierten sich die Kürzungen auf die restlichen 40 Milliarden Euro. "Das macht die soziale Schieflage aus", sagte Hagedorn.

»Vollständig verschont«

Ein großes Maß an Ungerechtigkeit in dem Etat hat die Linksfraktion ausgemacht. Gekürzt werde da, wo Menschen, die am wenigsten haben, am härtesten getroffen werden, bemängelte Gesine Lötzsch. "Menschen, die nicht wissen, wohin mit dem Geld, werden von den Kürzungen vollständig verschont", sagte sie. Mit Gerechtigkeit habe auch der Rückgang der Arbeitslosenzahlen nichts zu tun, da dies nur zu Lasten eines "dramatischen Zuwachses" im Niedriglohnsektor und bei der Leiharbeit geschehen sei. Womit Lötzsch beim Thema Mindestlohn angekommen war. Sie bedauere es, sagte die Linksparteichefin, dass die CDU jüngst auf ihrem Parteitag zuletzt keinen Mindestlohn beschlossen habe. Stattdessen hätten sich die radikalen Marktideologen erneut durchgesetzt.

Auch Brigitte Pothmer zeigte sich enttäuscht über Ministerin von der Leyen, die beim parteiinternen Streit um den Mindestlohn nur eine "kommentierende Nebenrolle" eingenommen habe. Dabei könne sich die Ministerin sicher sein, im Bundestag eine Mehrheit für den gesetzlichen Mindestlohn zu finden. Ursula von der Leyen selbst machte deutlich, dass, "wenn die Tarifbindung nicht mehr funktioniert, ein neuer Rahmen gefunden werden muss". Was jedoch nicht auf eine gesetzliche Mindestlohnregelung hinaus laufen müsse. Ihrer Ansicht nach sollten "Arbeitgeber und Gewerkschaften dies in einer Kommission aushandeln".

Anders als die Opposition lobten die Koalitionsfraktionen die Etatplanung der Ministerin. So sprach auch der CDU-Abgeordnete Axel E. Fischer von einem "weiteren Schritt zur Konsolidierung". Die Finanzierung des Bereiches Arbeit und Soziales werde nachhaltig ins Gleichgewicht gebracht. Trotz Einsparungen von knapp vier Prozent sei der Anstieg der Hartz-IV-Regelsätze geplant und eine Erhöhung der Zuschüsse für die Grundsicherung im Alter um 3,3 Milliarden Euro festgeschrieben. "Das ist das Resultat der intelligenten, wachstumsorientierten Politik der christlich-liberalen Regierungskoalition", sagte Fischer.

Was die von der Opposition kritisierte Senkung der Eingliederungshilfen für Arbeitslose angeht, machte Claudia Winterstein (FDP) eine ganz andere Rechnung auf. Angesichts der gesunkenen Zahl an Arbeitslosen sei "pro Kopf" eine Erhöhung zu verzeichnen. Der Haushalt sei im Übrigen solide aufgestellt und sehe keine tiefen Einschnitte vor, urteilte sie. Das Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit falle weg, weil es "nicht mehr nötig ist". Zudem müsse Bund angesichts der positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt weniger für das Arbeitslosengeld II zahlen, sagte Winterstein. 2,8 Milliarden Euro mehr als in 2011 werde für Bildung und die Grundsicherung im Alter aufgewandt, sagte Winterstein. "Das ist eine wesentliche Entlastung für die Kommunen", befand sie.

Das "Pro-Kopf-Argument" Wintersteins aufgreifend verwies die SPD-Abgeordnete Katja Mast darauf, dass der Haushalt "nicht konjunkturelle sondern strukturelle Kürzungen" aufweise. Steige die Zahl der Arbeitslosen, stehe trotzdem nur die jetzige Summe zur Verfügung. "Das ist der eigentliche Skandal", sagte Mast. Kürzungen bei der Wiedereingliederung richteten vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auch aus volkswirtschaftlicher Sicht Schaden an, befand Brigitte Pothmer. Damit werde die soziale Spaltung auf dem Arbeitsmarkt vertieft, was auch den sozialen Frieden in der Gesellschaft gefährde. "Wenn die Menschen nicht mehr daran glauben, dass sie durch ihre eigene Anstrengung ihre soziale Lage verbessern können, unterstützt das den Extremismus in diesem Land", warnte sie.

Keine Warteschleifen

Aus Sicht von der Leyens ein unzutreffender Vorwurf: Die Bundesregierung werde die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integrieren, "nicht in teure Warteschleifen", sagte die Ministerin. Zugleich verwies sie darauf, dass die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sich auch auf die Rente niederschlügen. Um 0,3 Prozent seien die Beiträge gesenkt worden, was bei Beschäftigten und Arbeitgeber zu jeweils 1,3 Milliarden Euro Einsparungen führe. "Das entlastet die jüngere Generation", zeigte sich die Ministerin erfreut. Zugleich dürften 20 Millionen Rentner im nächsten Jahr mit einer spürbaren Rentenerhöhung rechnen.

Den optimistischen Blick bei der Rentenentwicklung teilte Lötzsch nicht. Um künftig Renten zu erreichen, die ein Leben ohne Armut ermöglichen, brauche es heute gute Löhne für alle. Diese seien aber nicht in Sicht. Aber auch aktuell sieht Lötzsch Handlungsbedarf: Wenn 14 Prozent aller Über-65-Jährigen als arm gelten, sei klar: "Wir brauchen eine solidarische Mindestrente, die den Namen auch verdient hat." Soweit ging die Ministerin zwar nicht, die Problematik ist aber auch ihr bewusst. "Wer ein Leben lang gearbeitet hat, darf am Ende nicht ohne Rente da stehen", sagte von der Leyen. Um diese "Schwachstelle" zu beseitigen, werde nun der Rentendialog geführt, kündigte sie an.