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Umstrittene Opferzahlen

RECHTSEXTREMISMUS Der Bundestag debattiert über unterschiedliche Statistiken zu Getöteten

05.12.2011
2023-08-30T12:16:53.7200Z
4 Min

Monika Lazar, Sprecherin der Grünen-Fraktion für "Strategien gegen Rechtsextremismus", rang am vergangenen Donnerstag nach dem Debattenbeitrag ihres Vorredners Hartfrid Wolff (FDP) im Bundestag um die passenden Worte: Ihr habe es bei dessen Rede "die Sprache verschlagen", bekannte Lazar an Wolff gewandt und nannte seine Ausführungen "bodenlos".

"Gut recherchiert"

In der Debatte ging es um eine Große Anfrage der Linksfraktion zur Zahl der Todesopfer rechtsextreme Gewalt seit 1990 (17/5303, 17/7161). Darin bezieht sich die Fraktion auf Recherchen des Berliner "Tagesspiegel" und der Wochenzeitung "Die Zeit", die auf 90 Opfer mehr kamen als die Bundesregierung. Lazar verwies darauf, dass in der Öffentlichkeit verschiedene Zahlen genannt würden: Die Bundesregierung komme auf 58 Opfer, während die Amadeu-Antonio-Stiftung von 182 Toten, "Zeit" und "Tagesspiegel" von 148 sprächen. Dabei handele es sich um gut recherchierte Zahlen, sagte sie mit Blick auf die beiden höheren Angaben. Wolff könne "nicht einfach unterstellen, dass das von irgendwelchen antifaschistischen Extremisten kommt."

Wolff hatte zuvor der Linksfraktion vorgeworfen, sie gehe unseriös mit den Zahlen um, lege bei ihren Bewertungen keine rechtsstaatlichen Maßstäbe zugrunde und komme nur so auf mehr als 100 Opfer. Dagegen zähle die Bundesregierung nur die Straftaten als rechtsextrem, die gerichtlich als solche verurteilt worden seien. "Die Linken wollen stattdessen ein Gesinnungsdenunziantentum, das die linke Szene anhand der rechtsextremen Straftaten hoffähig machen soll", kritisierte er. "Das bestätigt noch einmal mehr: Antifaschismusarbeit ist seit jeher Kernelement linksextremistischer Aktivität", fügte Wolff hinzu. Es gebe viele "seriöse unabhängige Organisationen gegen den Rechtsextremismus", die man stärken müsse, aber der "Kampf der Extremisten der einen Seite" habe "schon immer den Extremisten der anderen Seite als Vorwand und Rechtfertigung gedient". Man brauche "keine linksextreme Unterstützung im Kampf gegen Rechtsextreme".

Lazar entgegnete, sie sei für ein "breites Bündnis aller Demokraten". In der Vorwoche habe man dies mit einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen gegen Rechtsextremismus geschafft: "Jetzt versuchen Sie wieder, die Demokraten zu spalten".

Der SPD-Abgeordneter Sönke Rix sagte an die Adresse Wolffs, er müsse es im Namen der Sozialdemokraten "deutlich zurückweisen, wenn Sie den politischen Extremismus und den Antifaschismus auf eine Stufe stellen". Für die SPD, die unter anderem wegen antifaschistischer Arbeit von politischen Extremisten verfolgt worden sei, sei das "eine beschämende Äußerung". Rix' Fraktionskollegin Gabriele Fograscher betonte, spätestens seit bekannt sei, dass eine "rechte Terrorzelle über zehn Jahre lang unentdeckt gemordet" habe, müsse man feststellen, "dass wir keine realistische Lageeinschätzung rechtsextremistischer Bedrohungen haben, weder bei den Sicherheitsbehörden noch in der Öffentlichkeit noch in der Politik".

Für Die Linke sagte ihre Abgeordnete Petra Pau, es gebe offenbar eine "gravierende Fehlstelle in der offiziellen Wahrnehmung rechtsextremer Gewalt". Stets sei verneint worden, dass es "systematische rechtsextreme Gewalt oder gar Nazi-Terror gebe", betonte Pau und bekräftigte die Forderung nach einer "parteipolitisch unabhängige Beobachtungsstelle gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus".

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), mahnte, der "gegenseitige Vorwurf, dass die jeweils andere Seite irgendetwas verschleiern wolle", helfe überhaupt nicht weiter. Keine Statistik sei in der Lage, ein "objektiv unangreifbares Bild" zu zeichnen. Bei der staatlichen Erfassung solcher Taten sei das konkrete Tatmotiv relevant. Seit das Erfassungssystem 2001 von der damaligen rot-grünen Regierung mit den Ländern vereinbart worden sei, werde es "immer wieder evaluiert und angepasst". Der Grund für ein solches System zur Analyse des konkreten Tatmotives liege vor allem darin, dass eine "reine Zuordnung des Täters zu einem bestimmten Milieu" keine eindeutigen Schlüsse zulasse, denn gerade im "braunen Milieu" habe man es auch mit erheblicher Allgemeinkriminalität zu tun.

Schröder betonte zugleich, Einigkeit bestehe darin, dass unabhängig von der Statistik "jedes Opfer rechtsextremer Gewalt eines zu viel" sei. In diesem Sinne äußerte sich auch der CDU-Parlamentarier Helmut Brandt. Nach seinen Worten ergibt sich die große Differenz der Opferzahlen dadurch, dass im einen Fall die Beurteilung ausschließlich anhand des Kriteriums erfolgt, ob der Täter dem rechten Milieu zuzuordnen ist, und im anderen Fall "sich aufgrund des Ermittlungsverfahrens und der Feststellungen der Gerichte hat manifestieren lassen, dass die Gesinnung des Täters bei der Tat ausschlaggebend war".

Wie Lazar erinnerte Brandt an die gemeinsame Erklärung aller fünf Fraktionen gegen Rechtsextremismus und warb dafür, "dieses Einvernehmen gerade in dieser Frage" nicht aufzugeben. Der FDP-Abgeordnete Stefan Ruppert ergänzte: "Wir sollten hier gemeinsam vorgehen und nicht schon jetzt Differenzen suchen, wo eigentlich keine sind". Er plädierte dafür, bei jedem einzelnen nicht in der Statistik dokumentierten Fall zu fragen, wie es dazu kam. Man solle aber nicht so tun, als ob dahinter ein "bösartiger Komplott steht".