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Das Prinzip Langsam

FINANZEN I Die Börsen drehen sich weltweit immer schneller. Mit der Realwirtschaft hat der Handel nur noch wenig zu tun. Das meiste ist Spekulation. Eine neue…

05.12.2011
2023-08-30T12:16:54.7200Z
4 Min

Manchmal kommt das Anschauungsmaterial frei Haus. Als der Finanzausschuss des Bundestages am vergangenen Mittwoch über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer beriet, mit der die Spekulation eingedämmt und das Tempo an den Börsen verlangsamt werden soll, drehten die Märkte richtig auf. Weltweit stiegen die Kurse steil an, nachdem die staatlichen Notenbanken den unter Eigenkapitalschwäche leidenden privaten Banken Geldspritzen in Aussicht gestellt hatten. Auch in Frankfurt legte der Deutsche Aktienindex (DAX) ein Kursfeuerwerk hin und erfreute die in den letzten Monaten geplagten Anleger mit einem Tagesplus von knapp fünf Prozent.

Exzessive Aktivitäten

Die massiven Kursausschläge der jüngeren Zeit haben Gründe. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist überzeugt, dass der Ausbruch der Finanzkrise mit "exzessiven Handelsaktivitäten" zu tun hat. Das Handelsvolumen an den Börsen sei in den Jahrzehnten vor der Krise stark überproportional im Vergleich zu den Transaktionen der Realwirtschaft gewachsen. Das heißt: Es ist weit mehr Geld im Umlauf, als es dem Wert der Realwirtschaft entspricht, und dieses Geld ist an den Börsen im pausenlosen Einsatz.

Auch die Haltedauer von Finanzinstrumenten hat sich nach Erkenntnissen des DIW verkürzt. Aktien seien 1990 etwa an der Frankfurter Börse durchschnittlich zwei Jahre gehalten worden. Heute seien es nur wenige Monate. Und zugleich seien die Transaktionskosten gesunken.

Für Bundesregierung und Opposition liegt eine Lösung auf der Hand: die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die SPD-Fraktion hat dazu einen Antrag (siehe Kompakt) vorgelegt, der einen Steuersatz von 0,05 Prozent vorsieht, mit dem sich der Finanzausschuss in seiner öffentlichen Anhörung beschäftigte. Außerdem ging es um einen Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Finanztransaktionssteuer und das deutsch-französische Positionspapier zu dieser Steuer.

Wirtschaftsverbände, Börsen und Banken ließen sich von den Kursschwankungen nicht erschüttern und blieben ihrer Haltung treu: Sie beurteilten die Finanztransaktionssteuer äußerst kritisch oder lehnten sie sogar strikt ab. In der Anhörung sagte der Sachverständige Professor Volker Wieland (House of Finance): "Die beste Idee ist ein Steuersatz von Null." Dagegen wurde die Steuer von Nichtregierungsorganisationen und Teilen der Wissenschaft als wichtiges Instrument zur Eindämmung der Spekulation angesehen.

Die Deutsche Kreditwirtschaft, der Zusammenschluss der Bankenverbände, befürchtete negative Auswirkungen auf die Konjunktur. Selbst die EU-Kommission erwarte bei einer EU-weiten Steuer von 0,1 Prozent auf Aktien (0,01 Prozent auf Finanzwetten wie Derivate) eine Einbuße des Bruttoinlandsprodukts von 1,76 Prozent. Die Finanztransaktionssteuer treffe nicht nur die Finanzinstitute, sondern alle Erwerber von Finanzprodukten, darunter auch Kleinsparer. Ähnlich äußerten sich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme. Danach würden auch die Unternehmen belastet, die Liefergeschäfte gegen Zins- und Währungsrisiken durch Derivate absichern würden. Der Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) sagte auf die Frage, wer das von der EU geschätzte Steueraufkommen von 57 Milliarden Euro zu tragen habe: "Das werden Bürger und Realwirtschaft sein." Der Bundesverband Investment und Asset Management erklärte: "Die Belastung hätten vor allem Langfrist- und Altersvorsorgesparer zu tragen."

Professor Franz Mayer (Universität Bielefeld) sah in der Vereinbarkeit der Finanztransaktionssteuer mit dem Binnenmarkt keine Probleme: "Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Gesetzgebung bestehen auch gegen die Höhe der avisierten Steuer keine Bedenken, auch nicht unter grundrechtlichen Aspekten", erklärte er zum EU-Vorschlag.

Stephan Schulmeister (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) befürwortete ebenfalls die Steuer, die auf den Märkten dafür sorgen könne, "dass extreme Ausschläge schwächer werden". Schulmeister hielt die stark gestiegenen Zinssätze für eine Folge der zunehmenden Spekulation und warnte vor seiner Ansicht nach drohenden katastrophalen Folgen: "Mich beschleicht ein Titanic-Gefühl."

Keine Rede von Rezession

Professor Gustav Horn (Hans-Böckler-Stiftung) widersprach der Darstellung mehrerer Wirtschaftsvertreter, wonach die EU-Kommission bei Einführung der Steuer eine Rezession erwarte. Das habe die Kommission nie gesagt, erklärte Horn. "Einige Gegner der Steuer halten hartnäckig an dem Argument fest, die Steuer würde den Kleinsparer treffen. Ebenso hartnäckig muss die Einwand zurückgewiesen werden", erklärte Detlev von Larcher von Attac. Durch die niedrigen Steuersätze sei die Steuer bei einzelnen Transaktionen kaum spürbar und "im Vergleich mit den gleichzeitig anfallenden Gebühren vernachlässigbar".

Auch der von der Deutschen Börse und der Börse Stuttgart in Stellungnahmen befürchtete Umsatzverlust an außereuropäischen Handelsplätzen ist nach Ansicht von Attac "maßlos überzeichnet", da jede Transaktion einer Institution oder Person mit Sitz in der EU steuerpflichtig wäre. Der Börsenmakler Dirk Müller sprach sich für die Transaktionssteuer aus: "Von 0,05 Prozent geht die Welt nicht unter."