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Delle im Wachstum

WIRTSCHAFT I Regierung verbreitet Optimismus. FDP lehnt Finanztransaktionssteuer als »Wundertüte« ab

23.01.2012
2023-08-30T12:17:23.7200Z
3 Min

Wohin man auch blickt, die Prognosen für die Weltwirtschaft sehen düster aus. So hat die Weltbank ihre Voraussage wegen der Schulden- und Eurokrise kräftig zurückgenommen und hält sogar einen Absturz der Wirtschaft in der Eurozone für möglich. Auch der Internationale Währungsfonds sieht die Eurozone im neuen Jahr bereits in der Rezession. Allein Deutschland stemmt sich gegen den Trend: Die Wirtschaft soll nach der Prognose des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung (17/8359) in diesem Jahr um 0,7 Prozent wachsen (Einzelheiten im untenstehenden Bericht). Für den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, Ernst Hinsken (CSU), ist das der Beweis, dass Deutschland zur "Wachstumslokomotive für den ganzen Kontinent" geworden ist.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bezeichnete in einer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag weiteres Wachstum als das erklärte Ziel der christlich-liberalen Koalition. Das Wachstum komme bei den Menschen durch steigende Renten, sinkende Sozialbeiträge und höhere verfügbare Einkommen an. "Das erklärt, dass 76 Prozent der Deutschen optimistisch in das Jahr 2012 hineingehen", sagte der Minister.

Rösler sagte, aufgrund der langsameren Erholung der Weltwirtschaft und nachlassender Dynamik in den Schwellenländern erwarte er eine "vorübergehende Wachstumsdelle, ausdrücklich keine Rezession". Rösler wies aber auch darauf hin, dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland auch von der Entwicklung in Europa abhängen werde.

Solarstrom zu teuer

Der Wirtschaftminister warf der Opposition vor, die Energiewende durch Widerstand gegen die Kohlendioxid-Speicherung (CCS) und gegen die Förderung der Gebäudesanierung zu blockieren. Die Koalition werde für Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Energie sorgen. Rösler sprach sich für den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien aus, verlangte jedoch zugleich Änderungen am Fördersystem: "Es kann doch nicht sein, dass mehr als sechs Milliarden Euro für drei Prozent der Energieproduktion, nämlich die Photovoltaik, ausgegeben werden. Mit Wirtschaftlichkeit hat das nichts zu tun."

Demgegenüber warf Hubertus Heil (SPD) dem Wirtschaftminister Realitätsverweigerung vor. Zwar sei Deutschland aufgrund seines industriellen Rückgrats besser als andere Volkswirtschaften durch die Krise gekommen. Die industrielle Stärke könne aber auch zu einer verwundbaren Stelle werden, wenn die Nachfrage nach deutschen Produkten in Europa nachlasse. Daher sprach sich Heil für eine Stärkung der Binnennachfrage durch Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur aus. Dazu gehörten aber auch eine angemessene Lohnentwicklung und ein gesetzlicher Mindestlohn. Als Beitrag gegen die Spekulation verlangte er die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Deren Aufkommen müsse für ein wirtschaftliches Aufbauprogramm in Europa verwendet werden.

»Realitätsverweigerung«

Wie Heil warf auch Michael Schlecht (Die Linke) dem Wirtschaftminister Realitätsverweigerung vor. Deutschland rutsche bereits in die Rezession hinein, und der Wirtschaftminister trage "haltlose Phantasien" vor. Schlecht verlangte eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage: "Lohnerhöhungen sind das Gebot der Stunde." Er forderte einen Mindestlohn von zehn Euro und kritisierte zudem die Sparprogramme in Europa, die sich auf 600 Milliarden Euro summieren würden. "Es ist doch klar, dass dieses Strangulierungsprogramm auf Deutschland zurückschlägt."

Konservativ gerechnet seien die Prognosen im Jahreswirtschaftsbericht, sagte der CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs. Er erwartet ein höheres Wachstum: "Der Export wird besser laufen." Zur Lage stellte Fuchs fest: "Es gibt kein Land in Europa, dem es so gut geht wie Deutschland." Wie zuvor Rösler sprach auch Fuchs die Probleme bei der Förderung Erneuerbarer Energien an: "Mit Marktwirtschaft hat das nicht mehr allzuviel zu tun." Es werde mit Förderung durch das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) Strom hergestellt, egal ob man ihn brauche oder nicht. Der Zubau bei der Photovoltaik, der unwirtschaftlichsten Methode zur Produktion von Strom, werde nicht so weitergehen können.

Hermann Otto Solms (FDP) lobte den Jahreswirtschaftsbericht und stellte fest, die positive Botschaft zeige sich besonders auf dem Arbeitsmarkt. Wie Fuchs verlangte auch Solms, die Subventionierung durch das EEG zurückzuführen. Zu hohe Energiepreise seien neben den Problemen im Euro-Raum die großen Risiken für die Wirtschaft. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer lehnte Solms strikt ab. Die Steuer sei mittlerweile zu einer Art "Wundertüte" geworden, die für alles herhalten solle. Aber in der Praxis sei sie bereits in Schweden gescheitert.

Auf Risiken wies Fritz Kuhn (Grüne) hin: Er halte es für eine Beschönigung, wenn Rösler von einer Delle rede. Der Jahreswirtschaftsbericht enthalte die Annahme, dass die Euro-Krise gelöst werde. Aber angesichts der Krisenpolitik dieser Regierung, sei "sehr im Zweifel, ob es gelingen wird, diese Krise 2012 in den Griff zu bekommen". Es dürfe in Europa nicht nur gespart, sondern es müsse auch investiert werden.