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Parlament der Bartträger

ÄGYPTEN Knapp ein Jahr nach dem Sturz Husni Mubaraks tritt in Kairo die demokratisch gewählte Volksvertretung zusammen

30.01.2012
2023-08-30T12:17:24.7200Z
2 Min

Schon Tage vor dem historischen Ereignis herrschte im Zentrum von Kairo eifrige Geschäftigkeit. Eine ganze Armee von Arbeitern, ausgestattet mit Farbe, Pinseln und Bürsten machte sich daran, eines der bedeutendsten Gebäude Ägyptens zu verschönern. Trotz der heftigen Straßenschlachten vor seiner Haustür im letzten Dezember, ist das 1923 unter britischem Mandat errichtete Parlamentsgebäude weitgehend intakt geblieben. Als die 508 Abgeordneten der ersten frei gewählten Volksvertretung am vergangegen Montag - knapp ein Jahr nach dem Sturz von Husni Mubarak im Februar 2011 - dort Einzug hielten, roch es noch ein wenig nach frischem Lack, mit dem die Mahagonni-Tischreihen behandelt worden seien.

Die Wahlen zum Parlament wurden seit Ende November in drei Etappen vollzogen. Für viele Wahlberechtigte war es überhaupt das erste Mal, dass sie zu den Urnen schritten. Unter dem autokratischen Herrscher war Verweigerung die einzige Form der Opposition. Wahlbetrug- und -manipulation gehörten zum Alltag. Während Mubaraks 30-jähriger Herrschaft sank die Wahlbeteiligung kontinuierlich bis auf unter 30 Prozent. Diesmal gingen fast 60 Prozent wählen.

Islamisten

Das Ergebnis war schnell bildlich auszumachen. Noch nie waren unter der Kuppel des ägyptischen Parlaments so viele Bartträger versammelt. Die islamistischen Parteien, allen voran die Muslimbrüder, halten zusammen 74 Prozent der Sitze. Überraschungssieger dabei sind die Salafisten (25 Prozent), die einem dem saudi-arabischen Wahabismus nahen, fundamentalen Islam anhängen und in langen weißen Gewändern mit langen Bärten erschienen, während die Abgeordneten der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder Anzug und gestutzten Bart bevorzugten.

Künftige Konflikte

Schon bei der Vereidigung der Parlamentarier, die drei Stunden dauerte, zeigten sich die Konflikte der Zukunft. "Ich schwöre bei Gott, dass ich die Unversehrtheit der Nation und das republikanische System treu bewahren will. Ich werde mich um die Interessen des Volkes kümmern, die Verfassung und das Gesetz respektieren." So lautete der offizielle Text, den jeder Abgeordnete auf einem Zettel vorab bekam. Einige Salafisten fügten jedoch den Halbsatz, "Solange dies nicht den Gesetzen Gottes widerspricht" an. Das wiederum veranlasste die wenigen jungen Parlamentarier der Protestbewegung ihrerseits anzufügen: "Sofern dies nicht den Zielen der Revolution widerspricht". Beide Seiten ernteten heftige Kritik für die Abweichungen.

Doch der Graben zwischen den Reformern und den Islamisten dürfte noch tiefer werden. Das zeigte sich auch am vergangenen Mittwoch bei der Jahresfeier zum Beginn der Revolution, zu der Hunderttausende zum Tahrir-Platz kamen. Für die Einen wurde es zum Freudenfest über den Wahlsieg, für die Anderen zum Protest wegen ausgebliebene Reformen. Die junge Protestbewegung fühlt sich durch den Wahlausgang um die Früchte ihrer Revolution gebracht und bezeichnet die Islamisten als Trittbrettfahrer. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Konflikte künftig verbal im Parlament ausgetragen werden und nicht blutig auf der Straße.