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Wandel durch Handel

GLOBALISIERUNG Bundesregierung setzt auf Partnerschaften mit Schwellenländern

13.02.2012
2023-08-30T12:17:24.7200Z
4 Min

Diplomatisches Parkett ist glatt - das weiß niemand besser als ein Außenminister. Guido Westerwelle (FDP) zog am vergangenen Freitag bei der Vorstellung des Globalisierungskonzepts der Bundesregierung im Bundestag denn auch den Vergleich zur Ostpolitik der 1970er Jahre: So wie diese die Westbindung nicht in Frage gestellt habe, so stoße Deutschland heute nicht bewährten Partnern vor den Kopf, wenn es neue strategisch Partnerschaften in einer multipolaren Welt schmiede.

Die Abgeordneten nahmen das am Mittwoch vom Kabinett beschlossene Konzept "Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen" (17/8600) zum Anlass für eine außenpolitische Grundsatzdebatte. Mit dem Konzept will die Regierung engere Beziehungen zu neuen, aufstrebenden "Gestaltungsmächten" aus der Reihe der Schwellenländer knüpfen.

Westerwelle plädierte dafür, in der Diskussion um Europas Schuldenkrise den Blick auf die Welt jenseits des Kontinents nicht aus dem Blick zu verlieren. Man dürfe nicht ignorieren, "dass neue Kraftzentren gewachsen sind und neue Gestaltungsmächte auf die politische Bühne kommen, die nicht nur wirtschaftlichen Erfolg haben, sondern auch politischen Einfluss", sagte Westerwelle. Im Westen glaube man häufig immer noch, "den Taktstock fest in den Händen zu halten".

Es sei wichtig, rechtzeitig "Partnerschaften mit diesen neuen Gestaltungsmächten" einzugehen und aufzubauen. Das bedeute nicht, sich von alten Partnern abzuwenden.

Europa, die Europäische Union und die transatlantische Partnerschaft blieben "das Fundament deutscher Außenpolitik", betonte der Minister.

"Herzstück" der deutschen Außenpolitik blieben außerdem die Vereinten Nationen. Allerdings müsse die Organisation die heutigen Kräfteverhältnisse wiederspiegeln. Westerwelle kündigte an, sich weiter für eine Reform der UN stark zu machen, die eine stärkere Repräsentation von Weltregionen wie Südamerika, Afrika und Asien zum Ziel hat.

Als "Produkt des unangreifbaren guten Willens und der jeden Widerspruch entmutigenden Schlichtheit" bezeichnete Gernot Erler das Globalisierungskonzept. "Hier wird buchstäblich über alles gesprochen", sagte der Außenexperte der SPD-Fraktion, nur nicht darüber, welche Staaten der Außenminister denn konkret im Blick habe. Überdies sei Westerwelles Begriff der "neuen Kraftzentren" eines der Hauptargumente in der Kontroverse nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrat im März 2011 zum Lufteinsatz in Libyen gewesen, bei der sich Deutschland mit Russland und China enthalten und sich damit gegen Verbündete wie die USA, Frankreich und Großbritannien gestellt habe. Der Begriff der neuen Kraftzentren sei Westerwelles "großes Aber zu unseren historisch gewachsenen, nicht aufgebbaren Partnerschaften", kritisierte Erler.

Fingerzeig

Philipp Mißfelder lenkte den Blick auf die gewachsene Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt, die sich in der "hohen Taktfrequenz" ausländischer Staatsbesuche und der gefragten Rolle Deutschlands auf internationalen Konferenzen zeige. Das Konzept der Bundesregierung nannte der außenpolitische Experte der Unionsfraktion "ambitioniert und auch richtig", weil es sich den Herausforderungen der Globalisierung sehr konkret stelle. Im Spannungsfeld zwischen werte- und interessengeleiteter Außenpolitik helfe nicht der "erhobene Zeigefinger". Die Welt wartet nicht darauf, "dass wir sie belehren und ihr erklären, was wir für den besten Weg halten; vielmehr müssen wir aus unserer wirtschaftlichen Stärke heraus unsere politische Konzeption so glaubwürdig vertreten, dass sie als das attraktivste Lebensmodell der Welt erscheint", sagte Mißfelder.

Wolfgang Gehrcke von der Linksfraktion begrüßte die Grundsatzdebatte, das "Wesen" des Globalisierungskonzepts hielt er jedoch für falsch: Es sei kein "Gestaltungskonzept, sondern ein Zerstörungskonzept". Wer alte Partner wie im Augenblick Griechenland mit Sparkommissar-Vorschlägen und Diktaten zu Löhnen, Renten und Steuern traktiere, der werde keine neuen Partner finden. Das Konzept der Bundesregierung basiere auf der "Idee des freien Welthandels", erhebe also die Macht des Geldes zur "wichtigsten Gestaltungskraft", kritisierte Gehrcke. Nötig seien aber sozialer Ausgleich und "Solidarität statt Konkurrenz". Zudem sei das Papier im Kern geprägt von "altem Denken", weil es keine Antworten auf die "großen Fragen der Menschheit" liefere: auf den Kampf gegen Armut und Hunger, den "Stopp der Rüstungsspirale" und die Verhinderung von Kriegen.

Frithjof Schmidt hielt es bezeichnend für den FDP-Minister, dass in seinem Konzept das Wort "Gerechtigkeit" fehle. Globalisierung zu gestalten heiße jedoch, einen "gerechten globalen Interessenausgleich" zu schaffen, sagte der Außenexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Vor allem aber bedeute sie, politischen Selbstverpflichtungen nachzukommen. Deutschland halte seine eigenen Zusagen jedoch nicht ein - etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der weltweiten Armut im Rahmen der Millenniumziele. Deshalb enthalte das Konzept "viele leere Versprechen und wenig Substanz". Zudem dränge sich der Eindruck auf, dass Außenpolitik "vor allem Vorhut deutscher Wirtschaftsinteressen" sei, sagte Schmidt.

Lernprozess

Diesen Vorwurf wollte der FDP-Außenexperte Rainer Stinner nicht unwidersprochen lassen: Einfluss und internationale Handlungsfähigkeit eines Landes würden "in einem ganz großen Maße" von dessen wirtschaftlicher Kraft abhängen. Überdies sei der Vorwurf falsch: Vielmehr sei der Etat für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 2012 so hoch wie nie zuvor. Stinner unterstrich, dass sich Deutschland in einem Lernprozess befinde. Die multipolare Welt entwickle sich nicht nur nach europäischen Maßstäben und Werten. Deutschland müsse lernen, auch mit Staaten umzugehen, "die anders ticken als wir", sagte Stinner.

Ein Entschließungsantrag (17/8624) der Linksfraktion fand im Anschluss an die Debatte keine Mehrheit. Die Fraktion hatte darin die Bundesregierung aufgefordert, "unverzüglich" mit der palästinensischen Autonomiebehörde über die gegenseitige Aufwertung des Status der Generaldelegation Palästinas in Deutschland und der deutschen Generaldelegation in Ramallah" zu verhandeln.