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Kurz notiert

13.02.2012
2023-08-30T12:17:25.7200Z
3 Min

Es gibt wohl kaum eine Berufsgruppe, die der ehemalige Verteidigungsminister KarlTheodor zu Guttenberg (CSU) nachhaltiger gegen sich aufgebracht hat als die der Hochschullehrer. Eine zusammengeklaute Dissertation und der Versuch, diesen Diebstahl geistigen Eigentums als kleine Schlamperei zu entschuldigen, die einem als stark beschäftigtem Politiker und jungem Familienvater quasi unbemerkt unterlaufen könne, wurden nicht so leicht verziehen. Der beste Beweis dafür ist der von Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus herausgegebene Band "Inszenierung als Beruf".

In dem Sammelband haben 15 Medien-, Sprach- und Kulturwissenschaftler, Historiker, Soziologen und Juristen den Aufstieg und Fall Guttenberg untersucht und sind der Frage nachgegangen, wie Inszenierung und Imagebildung eine rasante politische Karriere befördern konnten. Es ist eine fulminante Abrechnung mit der ehemals wohl größten deutschen Polit-Hoffnung; eine giftige Offenlegung verlogener Rhetorik und des Versuchs eines Ministers, sich selbst zur Ikone zu stilisieren.

Am stärksten ist dabei das Kapitel "Stil und Rhetorik" geraten: Wenn der Doktorand Sebastian Diziol zu Guttenbergs Abschiedsrede Satz für Satz analysiert, bleibt kaum etwas übrig von den so wohlklingenden Satzhülsen. Und wie der Journalist Peter von Becker nachweist, dass der Minister, der so gern über seine Werte und Überzeugungen sprach, auf ein ominöses "Es" verwies, sobald es um die plagiierten Stellen in seiner Dissertation ging, ist schlicht unterhaltsam zu lesen.

Für den Herausgeber und Bayreuther Rechtswissenschaftler Lepsius steht der Fall Guttenberg auch "für einen fortgesetzten Irrtum, der Collage für Wissenschaft hielt, Form für Politik und der die subjektive Wahrnehmung zum objektiven Maßstab erklärte". Guttenberg werde auch zur Fallstudie für das politische System insgesamt - vielleicht müsse man die Funktionsbedingungen und Rationalitätskriterien politischen Handelns künftig anders erklären und falschen Erwartungen entgegen treten.

Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011; 216 S., 10 €

Das größte Lob kam aus berufenem Munde: Ihm habe, urteilte der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, in einer Besprechung, in dem Band "nichts gefehlt". Tatsächlich bietet "Das entgrenzte Gericht" vier ausführliche Essays renommierter Staatsrechtler, die der Frage nachgehen, wie das Bundesverfassungsgericht zu der Institution werden konnte, die es heute ist. Dabei wiederholt sich zwar einiges - es entsteht aber auch ein plastisches Bild des Gerichts, dem als oberster judikativer Instanz von 76 Prozent der Deutschen großes Vertrauen entgegen gebracht wird.

Der Erfolg des Bundesverfassungsgerichts sei "erstaunlich", findet der Rechtsprofessor Christoph Schönberger, und beruhe "zunächst und vor allem auf der Tabula rasa, die Nationalismus und Krieg, Teilung und Vertreibung hinterlassen haben". Auch durch "kühne Selbstermächtigungen" habe das Gericht das Grundgesetz als Impulsgeber für eine tiefgreifende Umgestaltung der gesamten Rechtsordnung aktiviert und sei so zum "gütig-strengend Vormund einer betreuten Demokratie" geworden, die sich selbst nicht recht traute. Die wahre Macht des Gerichts zeige sich darin, dass seine Entscheidungen über einen Fall hinausreichten, stellt der Bayreuther Jurist Oliver Lepsius fest, es hielte sich für den "maßgeblichen Interpreten und Hüter der Verfassung". Es entscheide nicht nur, sondern formuliere Werte.

In der Bilanz nach 60 Jahren sind die Autoren sich nicht einig: Während Matthias Jestaedt das Gericht klar als Zukunftsmodell sieht, mahnt Lepsius Veränderungen an. Der Berliner Rechtsphilosoph Christoph Möllers sieht das Gericht für die Zukunft vor dem Dilemma stehen, "die vom Grundgesetz gewollte Entscheidung für die europäische Integration zu respektieren, ohne die Beschwerdeführer in grundrechtswidrigen oder undemokratischen Zuständen allein zu lassen". Es werde als grundrechtsschützendes Gericht gebraucht, sei aber mit der Rolle des Bewahrers der europäischen Demokratie überfordert.

Das entgrenzte Gericht. Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren Bundesverfassungs-gericht.

Suhrkamp, Berlin 2011, 426 S., 18 €