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Die Sicht der Neonazi-Opfer

RECHTSEXTREMISMUS Die Beauftragte für die Angehörigen der Ermordeten wirbt im Untersuchungsausschuss für Gedenkorte

12.03.2012
2023-08-30T12:17:27.7200Z
4 Min

Aus Worten und Mimik Sebastian Edathys (SPD) sprach ungläubiges Staunen. Mehrfach insistierte der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses, der die Hintergründe der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin aufklären soll, am vergangenen Donnerstag gegenüber Barbara John, für ihre schwierige Aufgabe sei sie doch unzureichend ausgerüstet: Es fehle an Geld und Personal; um Hilfen für Angehörige der Getöteten wie Sozialleistungen oder Stipendien müssten sich doch eigentlich Ministerien kümmern.

Doch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der Opfer wollte partout nicht in Jammern verfallen: Sie gehöre nicht zu denen, die als erstes einen gut ausgestatteten Stab verlangten: "Ich verabscheue diese Haltung". Die bislang im Alleingang tätige CDU-Politikerin, die nur eine 400-Euro-Stelle vom Bundesjustizministerium zugesagt bekam, zeigte sich sogar froh, "dass ich keine Behörde bin". Als ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte wisse sie, was bürokratisch passiere, wenn man etwas "in die Linie gibt". Lieber wolle sie persönlich Probleme "schnell klären". So habe sie erreicht, dass ein Jobcenter die 10.000-Euro-Opferhilfe der Regierung an Hinterbliebene nicht mit Sozialleistungen verrechne. Um Missverständnisse zu vermeiden, sagte John dann doch noch, dass sie "jede Hilfe gebrauchen kann".

Probleme für Familien

Der Untersuchungsausschuss wollte zum Auftakt seiner Arbeit mit der Anhörung Johns und zweier Sprecherinnen von Opferberatungsvereinigungen die Perspektive der Leidtragenden zur Sprache bringen, wie Edathy betonte. Eindringlich schilderte nun die 74-jährige Regierungsbeauftragte die Mühen, die Familien der Opfer bei Alltagsschwierigkeiten zu unterstützen.

John klagte behördlichen Starrsinn an. Kinder von getöteten Vätern seien wegen dieser Taten "aus dem Studium gerissen worden" und erhielten im Falle einer Wiederaufnahme dieser Ausbildung keine Stipendien. Ungeklärt sei, wer die Anwaltskosten der Betroffenen trage. Am schlimmsten findet John indes, dass die Angehörigen jahrelang "an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden" - wegen falscher Verdächtigungen der Polizei, die Täter im persönlichen Umfeld der Opfer oder im Ausländermilieu gesucht hatte. Infolge solcher Mutmaßungen sei das familiäre Umfeld oft zerrüttet worden, berichtete die Ombudsfrau, gegenseitige Verdächtigungen seien entstanden.

Sie plädierte zugleich für "Gedenkorte, damit diese Verbrechen im kollektiven Gedächtnis bleiben", und forderte eine unabhängige Ombudsstelle für Beschwerden über Fehlverhalten der Polizei. Deren Ausbildung müsse stärker berücksichtigen, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sei. Für die Hinterbliebenen sei es zudem wichtig, über die laufenden Ermittlungen zur NSU informiert zu werden.

Beauftrager ernannt

Kritik und Vorschläge Johns stießen im Ausschuss durchaus auf Resonanz. Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) unterstützte das Verlangen nach Erinnerungstafeln an den Tatorten. Für die erschossene Polizistin existiert so etwas bereits in Heilbronn. Binningers SPD-Kollegin Eva Högl nannte es "sehr wichtig, solche Gedenkorte zu schaffen". FDP-Obmann Hartfrid Wolff berichtete von der Absicht des Arbeitsministeriums, klarzustellen, dass die Opferhilfe nicht auf Hartz-IV-Zahlungen angerechnet werde.

Aus Sicht des Ausschusses ist man eine Aufklärung der Mordserie auch den Angehörigen der Opfer schuldig. Diese Recherchen gestalten sich freilich kompliziert. Hilfe bei der Aufarbeitung tausender Aktenberge erhoffen sich die Abgeordneten nun von einem speziellen Ermittlungsbeauftragten; ernannt wurde für diese Arbeit der Strafrechtsprofessor Bernd von Heintschel-Heinegg.

Bislang aber sind kaum Unterlagen eingegangen. Der Ausschuss und die von der Regierung berufene Bund-Länder-Kommission (BLK) nutzten deshalb ein Treffen nicht nur, um eine enge Kooperation zu vereinbaren, sondern auch, um von den Ländern eine lückenlose Aktenherausgabe zu fordern. Wolff monierte mit Blick auf die Länder:"Es holpert bei dieser Zusammenarbeit noch erheblich." Die Linke-Obfrau Petra Pau erwartet indes von der Innenministerkonferenz am 22. März Signale für eine umfassende Kooperation. Notfalls werde man "sich aber vor Gericht sehen", warnte sie. Seitens der BLK insistierte Berlins früherer Innensenator Ehrhart Körting (SPD): "Nun muss ein bisschen Butter bei die Fische kommen."

Debatte über Demos

Mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus befasste sich der Bundestag am Donnerstag auch in einer Aktuellen Stunde zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemonstranten bei einem Neonazi- Aufmarsch jüngst in Münster. Ingrid Remmers (Die Linke) kritisierte, sie sei von einer Polizistin "tätlich angegriffen und festgenommen" worden. Dieser Vorfall konnte nicht geklärt werden, stattdessen stritt man über ein adäquates Vorgehen bei rechtsextremen Demonstrationen.

Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer begrüßte es, wenn Bürger gegen solche Kräfte auf die Straße gingen. Das müsse aber friedlich geschehen. In Münster hätten vermummte linke Gegendemonstranten Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen. Maier betonte, die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit sei "politisch neutral", weshalb die Polizei Aufmärsche "von Linken wie Rechten schützen muss". Remmers sagte, auch für Rechtsextreme gelte die Versammlungsfreiheit, doch müsse die Polizei "einer Neonazi-Demo nicht immer den Weg freiprügeln". Monika Lazar (Grüne) mahnte, die Polizei dürfe nicht "unverhältnismäßig reagieren", wenn sie das Demonstrationsrecht gewährleiste. Daniela Kolbe (SPD) rief dazu auf, Rechtsextremisten "keine Räume zu lassen".