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ORTSTERMIN: EXPERTEN-CHAT ZUR LEBENSQUALITÄT : Virtuelle Bürgernähe

12.03.2012
2023-08-30T12:17:27.7200Z
2 Min

Es ist kurz nach 18 Uhr, als die zwei Politikerinnen vom Sitzungssaal aus ins "Internetcafé" des Bundestags eilen. Per Online-Chat wollen sie Fragen von Bürgern beantworten. Fragen zur Bundestags-Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft". Die hat gerade öffentlich getagt, drei Stunden lang, live übertragen im Parlaments-TV.

Die beiden Politikerinnen sind Daniela Kolbe, SPD-Abgeordnete aus Leipzig, und Stefanie Vogelsang, CDU-Abgeordnete aus Berlin. Kolbe ist Vorsitzende der Kommission, Vogelsang leitet deren Indikatoren-Projektgruppe. Sie soll neue Kriterien für Wohlstand erarbeiten. Die Gruppe hat jetzt ihren ersten Zwischenbericht vorgestellt.

Auch die folgenden 60 Minuten wird den beiden keine Zeit zum Durchatmen bleiben: Ohne Unterbrechung beantworten sie per Tastatur Fragen, diskutieren und nehmen Anregungen entgegen. "Haben Sie, die Enquete-Kommission, neben den oft eher theoretischen Konzepten, auch Konzepte aus der Praxis wie Nachhaltigkeits-Länderratings angesehen?" Die online gestellten Fragen der Bürger sind so diffizil wie die Arbeit der Kommission. Die hat sich im Januar 2011 konstituiert, mit einer anspruchsvollen Fragestellung: Wie kann man gesellschaftlichen Wohlstand messen, wie individuelles Wohlergehen, wie nachhaltige Entwicklung in einer Gesellschaft? Früher schaute man aufs Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das, lautet die Annahme, reicht heute nicht mehr. Denn die Gesellschaft ist komplexer geworden seit der Zeit der Wirtschaftswunder.

"Wenn Sie damit Ratings wie den HappyPlanetIndex meinen, dann haben wir die uns sogar sehr intensiv angesehen", tippt Kolbe. Viele Versuche hat es in der Forschung schon gegeben, Wohlstand zu messen. Und wie misst man den Zusammenhalt in einer Gesellschaft? Etwa, indem man prüft, wie es um Freiheit und Demokratie steht, heißt es im Zwischenbericht. Dutzende Fragen flirren über die Bildschirme. Die beiden Abgeordneten bemerken nicht, wie sich die Dämmerung über dem Reichstag vor den riesigen Fenstern in Dunkelheit verwandelt. "Mich würde interessieren, ob Sie schon einmal nach der in Deutschland vorhandenen Geldmenge und deren Verteilung innerhalb der Bevölkerung geschaut haben." Antwort Stefanie Vogelsang: "Zunächst haben wir uns die unterschiedlichsten Lösungen und Gedankengänge angeschaut." Nun hätten sie einen Überblick und wollten "ins Detail gehen".

Das Niveau der Diskussion ist hoch, auch wenn die Pseudonyme mancher Bürger zuweilen verwundern. Ein "Blaubär" ist dabei, ebenso ein "tankschiff". Neue Stilistik im Kontakt zwischen Abgeordneten und Bürgern. "So eine Stunde durchchatten ist anstrengender als gedacht", seufzt Kommissionschefin Kolbe anschließend. Viele Teilnehmer danken für die Teilhabe am parlamentarischen Geschehen. Immerhin 16 Personen sind nach einer Stunde im Chat dabei gewesen. Zehn Seiten DIN-A4-Papier können mit dem Chatverlauf bedruckt werden. Die Operation "Direktkontakt" ist geglückt, ein guter Anfang für die Kommission.