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Einfach wegsperren?

STRAFRECHT Der Bundestag berät über eine Novellierung der Sicherheitsverwahrung und beschließt den Warnschussarrest

18.06.2012
2023-08-30T12:17:33.7200Z
3 Min

Mit den Bildern aus dem sachsen-anhaltinischen Dorf Insel ging auch ein Raunen durch die Republik: zwei verurteilte Sexualstraftäter, 54 und 64 Jahre alt, wurden nach Verbüßung ihrer Strafe und anschließender Sicherungsverwahrung in dem kleinen Dorf bei Stendal heimisch. Das löste bei den Insulanern nicht nur Skepsis, sondern auch Proteste aus. Ein dankbares Thema für Rechtspopulisten und Neonazis. Seit Wochen unterstützen sie die Dorfbewohner bei ihren Protesten gegen die Anwesenheit der beiden ehemaligen Traftäter. Sogar eine Bürgerinitiative gegen die Unterbringung der zwei Männer hatten Insulaner gegründet. Andere kamen nach Insel, um für die Menschenrechte und gegen die rechtspopulistische Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zu demonstrieren.

Genau in diese Zeit fiel die Plenardebatte zum Thema Sicherungsverwahrung im Bundestag. Vergangenen Donnerstag debattierte das Plenum über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur "bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung" (17/9874).

Humanitärer Gesetzgebung

Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler (FDP), warb im Plenum um die Zustimmung der Abgeordneten. Er betonte, dass der Vollzug der Sicherheitsverwahrung verfassungs- und menschenrechtskonform ausgestaltet werden müsse. "Und genau dies leistet unser Entwurf", so Stadler. In dem Gesetzentwurf heißt es dazu: "Ziel ist die Schaffung eines Systems, das einen angemessenen Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern ermöglicht, dabei aber die rechtsstaatlichen Anforderungen an dieses ,letzte Mittel der Kriminalpolitik' wahrt."

Die Regierung will und muss den Streit um die Sicherungsverwahrung für rückfallgefährdete Straftäter beilegen, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Anlass war die Beschwerde von vier Sicherungsverwahrten, die sie beim Verfassungsgericht eingereicht hatten. Im Mai 2011 gab das Gericht den Beschwerden statt und erklärte alle Vorschriften zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Bis Juni 2013 muss der Gesetzgeber eine neue Regelung suchen, heißt es in dem Urteil. Für sogenannte Altfälle gelten derzeit Übergangsregelungen. Die Karlsruher Richter sahen in dem bestehenden Gesetz unter anderem eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des Vertrauensschutzgebots und forderten eine völkerrechtsfreundlichere Auslegung des Grundgesetzes.

Im Zentrum des Regierungsentwurfs steht deshalb das sogenannte Abstandsgesbot; also die Unterbringungsbedingungen in der Sicherungsverwahrung gegenüber der Haftkonditionen deutlich zu verbessern.

"Knast auf Probe"

Neben der Sicherungsverwahrung rückfallgefährdeter Straftäter stand ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zum Warnschussarrest auf der Agenda der Abgeordneten.

Jugendliche zur Bewährung verurteilte Straftäter können künftig zur Abschreckung für bis zu vier Wochen lang inhaftiert werden. Wie ein Warnschuss soll sie der "Knast auf Probe" abschrecken. Ein gemeinsamer Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten (17/9389) soll das möglich machen.

Beide Themen waren zu einem Punkt zusammengefasst auf die Tagesordnung gesetzt worden. Das deutete die Linke-Abgeordnete Halina Wawzyniak als "populistisch", als "Stammtischpolitik" von CDU/CSU und FDP. Die Thematik der Sicherungsverwahrung müsse versachlicht werden. Deshalb schlug ihre Fraktion - vor dem Hintergrund der Ereignisse von Insel -die Einsetzung einer Expertenkommission vor.

In der einstündigen Plenardebatte kritisierte die SPD-Abgeordnete Christine Lambrecht am Regierungsentwurf zur Sicherungsverwahrung, es werde darin nicht festgehalten, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung tatsächlich ausschließlich auf schwerste Straftaten wie Mord und Vergewaltigung anzuwenden sei. Die SPD-Politikerin gab zu bedenken, dass die Formulierungen im Gesetzentwurf ermöglichen, dass die Sicherungsverwahrung auch für Landfriedensbruch oder etwa Verkehrsdelikte angeordnet werden könnte.

Der Grünen-Politiker Jerzy Montag forderte eine "kritische Auseinandersetzung" mit dem Abstandsgebot der Sicherungsverwahrung. Den Warnschussarrest hingegen lehnte er konsequent ab: "Es gibt eine kriminologische Ansteckungsgefahr bei Jugendlichen", erklärte er. Je höher die Strafe sei, desto höher seien Ansteckungsgefahr und Rückfallquote. Deshalb, argumentierte Montag, müsse die Jugendkriminalität mittels eines milden Jugendstrafrechts gesenkt werden.

Flexibilisierung

Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) betonte, dass die Sicherungsverwahrung "ein schwieriges Thema" sei und sich die Regierungskoalition weiterhin "kritisch und kontrovers" damit auseinandersetzen werde, um auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu reagieren. Hinsichtlich des Warnschussarrests sagte sie, durch diesen werde das Jugendstrafrecht "flexibler"; es handele sich um ein "zusätzliches Instrument" der Richter.

Im Anschluss an die einstündige Debatte wurde das Gesetz zum Warnschussarrest mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen nach der zweiten und dritten Lesung verabschiedet.

Da der Koalitionsentwurf zur Sicherungsverwahrung in erster Lesung diskutiert wurde, wurde interfraktionell seine Überweisung in die zuständigen Ausschüsse vereinbart.