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Bekenntnis-Streit

EXTREMISMUSKLAUSEL Für die Opposition ist sie ein Generalverdacht, für die Koalition eine Selbstverständlichkeit

16.07.2012
2023-08-30T12:17:35.7200Z
6 Min

Es sind lediglich drei Sätze. Aber diese als "Demokratieerklärung" oder "Extremismusklausel" bekannt gewordenen drei Sätze erhitzen seit annährend zwei Jahren die Gemüter in der Diskussion über die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland: "Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird." Diese Erklärung müssen beispielsweise Vereine oder Bürgerinitiativen unterschreiben, wenn sie für ihre Projekte gegen Extremismus Fördergelder aus den Töpfen des Bundesfamilienministeriums erhalten wollen. Bei der Opposition und den betroffenen Vereinen und Initiativen stößt dies jedoch auf harsche Kritik. Und das Dresdner Verwaltungsgericht erklärte die Extremismusklausel erst unlängst für rechtswidrig.

Programme für die Jugend

Eingeführt hatte die Klausel Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Ihr Credo lautet: "Man kann Extremismus nicht mit Extremisten bekämpfen." Sie befürchtet, dass sich beispielsweise unter Gruppierungen, die sich dem Kampf gegen die rechtsextremistische Szene verschrieben haben, Gruppierungen finden, die selbst ein extremistisches Weltbild pflegen. Im Blick hat sie dabei unter anderem jene Gruppen, die sich selbst als "Antifa", als Anti-Faschisten, bezeichnen und von Verfassungsschützern meist der linksextremistischen Szene zugerechnet werden. Umgekehrt gelte dies selbstverständlich auch für rechtsextreme Gruppen, betont Schröder.

Konkret geht es um die Fördergelder der beiden Jugendprogramme ihre Hauses gegen Extremismus. Mit dem Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" werden seit Januar 2011 Projekte und Netzwerke auf kommunaler, überregionaler und landesweiter Ebene unterstützt, die Kinder und Jugendliche an demokratische Grundwerte heranführen und gegen rechtsextremistisches Gedankengut immun machen sollen. Mitte 2010 hatte Schröder zudem die Initiative "Demokratie stärken" ins Leben gerufen, die ebenfalls an Jugendliche gerichtet ist und die präventiv gegen Linksextremismus und Islamismus vorgehen soll. Für die Finanzierung stellt der Bund in diesem Jahr rund 29 Millionen Euro zur Verfügung, 24,33 Millionen für das Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" und 4,67 Millionen Euro für die Initiative "Demokratie stärken".

Kritik der Opposition

Bei der SPD, der Linken und den Grünen stieß Schröder mit ihrem Kurs von Anfang an auf Widerstand. Bereits während der Beratungen über den Bundeshaushalt 2011 im Herbst 2010 kritisierte der SPD-Abgeordnete Rolf Schwanitz, die Regierung stelle mit der verpflichtenden Erklärung alle Initiativen "quasi unter Extremismusverdacht". Steffen Bockhan (Die Linke) räumte zwar ein, dass es "nicht zu viel verlangt" sei, "dass sich die Träger von Projekten, die sich aus Steuermitteln finanzieren, zum Grundgesetz bekennen". Allerdings sei es von den Projektträgern zu viel verlangt, auch noch für ihre Partner zu bürgen. "Das kann niemand leisten."

In der Tat fragen sich viele Vereine und Inititativen, nach welchen Maßstäben sie potenzielle Partner beurteilen sollen, ob sie als extremistisch einzustufen sind. Das Familienministerium verweist in seinem Leitfaden unter anderem auf die Berichte des Verfassungsschutzes. "Eine dort erfolgte Einstufung als verfassungsfeindlich schließt eine Förderung und eine Zusammenarbeit aus", heißt es da. Zugleich räumt das Ministerium jedoch ein, dass es "letztendlich immer auf die konkreten Personen und handelnden Strukturen vor Ort" ankomme. So sei etwa eine Zusammenarbeit mit der Partei Die Linke zwar "nicht grundsätzlich ausgeschlossen". Allerdings sei diese "sehr heterogen", in ihr gebe es "offen extremistische Zusammenschlüsse" wie die Kommunistische Plattform oder die Sozialistische Linke. Mit diesen sei eine Zusammenarbeit "ausgeschlossen".

Im Februar 2011 setzte die Opposition das Thema schließlich erstmals auf die Tagesordnung des Bundestags. Übereinstimmend forderten SPD und Bündnis 90/Die Grünen in einem gemeinsamen Antrag (17/4551) und die Linksfraktion in einem eigenen Antrag (17/4664), die Extremismusklausel zu streichen. Beide Anträge scheiterten jedoch an der Mehrheit der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Unter Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages argumentierte Wolfgang Thierse (SPD) und Monika Lazar (Grüne), der Staat verpflichte mit der Klausel die Vereine und Initiativen zur "Gesinnungsschnüffelelei" gegenüber Mitbürgern. Und nach Ansicht von Ulla Jelpke (Linke) sollen damit "missliebige linke Organisationen an den Pranger gestellt werden".

Für die Koalitionsfraktionen hingegen stellt die Extremismusklausel kein Problem dar. Im Gegenteil: Es sei eine "Selbstverständlichkeit", sich zur freiheitlichen-demokratischen Grundordnung zu bekennen, wenn man Fördergelder aus den Extremismusprogrammen beziehen wolle, hielt Florian Bernschneider (FDP) der Opposition entgegen. Und der CSU-Abgeordnete Norbert Geis antwortete der Opposition mit einem Zitat von Lenin: "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber." Der parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium Hermann Kues (CDU) argumentierte, die Demokratieerklärung knüpfe lediglich an eine Regelung an, die bereits im Jahr 2004 durch den damaligen Bundesinnennminister Otto Schily (SPD) eingeführt worden sei. Seit damals würden die Empfänger staatlicher Förderungen darauf hingewiesen, dass eine Zusammenarbeit mit extremistischen Gruppierungen vermieden werden müsse. Der einzige Unterschied zur jetzigen Regelung bestehe darin, dass die Projektträger dies nun auch mit ihrer Unterschrift anerkennen müssen.

Erklärung für Kita-Betreiber

Kues verwies zudem auf eine ähnliche Regelung in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatte die sozialdemokratische Sozialministerin Manuela Schwesig im Sommer 2010 die Betriebserlaubnis für Kindertageseinrichtungen an eine Selbsterklärung gekoppelt, in der sich die Betreiber ebenfalls zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen müssen. Auslöser dafür war der Versuch von NPD-Sympathisanten gewesen, sich in die Trägerschaft einer Kindertageseinrichtung einzuschleichen.

Kritik an der Extremismusklausel kommt auch von den Zentralräten der Juden und der Muslime in Deutschland. Die Klausel sei ein "Symbol für den Überprüfungswahn, die Bürokratisierung und schließlich das Misstrauen dieser Regierung und damit von Teilen der konservativliberalen Politik in die eigenen Bürger", meint Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden. Das Engagement vieler Menschen gegen Rechtsextremisten sei "das deutlichste und emotionalste Bekenntnis zum Grundgesetz und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das es überhaupt nur geben kann". Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, lehnt die "Bespitzelungsklausel" klar ab. Bisher stünden vor allem Muslime unter Generalverdacht, nicht loyal zum Grundgesetz zu sein, jetzt treffe es auch andere Gruppen. Gegen diesen Misstrauensdiskurs müsse man sich wehren.

Urteil aus Dresden

Für den vorläufigen Höhepunkt in der Auseinandersetzung sorgte das Verwaltungsgericht Dresden mit seinem Urteil vom 25. April dieses Jahres, in dem es die Extremismusklausel für rechtswidrig erklärte. Die sich auf mögliche Partner der Vereine und Initiativen beziehenden Forderungen in der Klausel seien zu unbestimmt formuliert. Es sei unklar, wer etwa "Partner" ist und welches Verhalten dem Verein konkret abverlangt wird.

Geklagt hatte der Pirnaer Verein Alternatives Bildungs- und Kulturzentrum (AKuBiZ), der sich geweigert hatte, die Extremismusklausel zu unterzeichnen. Daraufhin hatte das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge die vom AKuBiZ beantragten Fördergelder aus dem Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" in Höhe von 600 Euro, mit denen der Verein laut eigenen Angaben eine Informationsschrift über das Außenlager des KZ Flossenbürg in Königstein finanzieren wollte, verweigert.

Familienministerin Kristina Schröder will trotz des Richterspruchs zumindest vorerst an der Extremismusklausel festhalten. Und ein von der SPD-Fraktion nach dem Urteil erneut eingebachter Antrag (17/9855) zur Streichung der Klausel stieß in der ersten Lesung ebenso auf Ablehnung der Koalitionsfraktionen. Noch ist das Urteil des Dresdner Verwaltungsgericht nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließ es die Berufung zum sächsischen Oberverwaltungsgericht zu. Bis zum 26. Juli kann das Landratsamt in Pirna noch Berufung einlegen, dann läuft die Frist ab und das Urteil wäre rechtskräftig. Für viele Initiativen, die sich gegen die Extremismusklausel sperren, wäre das wohl ein deutliches Signal, ebenfalls den Weg vor Gericht anzutreten, falls Schröder die Klausel nicht verwirft oder überarbeitet.