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Großbaustelle Bankenaufsicht

EUROPA Bankenunion und EU-Richtlinien sollen die Finanzmärkte stabiler machen

01.10.2012
2023-08-30T12:17:38.7200Z
4 Min

Vier Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers ist die europäische Regulierung der Finanzmärkte immer noch eine Großbaustelle. Am Dienstag wird eine Expertengruppe unter Leitung des finnischen Notenbankchefs Erkki Liikanen in Brüssel einen Bericht über weitere mögliche Reformen im Bankensektor vorlegen. Das elfköpfige Gremium hat untersucht, ob die bisher angestoßenen Veränderungen ausreichen, um stabile und reibungslos funktionierende Finanzmärkte zu garantieren. Die Gruppe wird Vorschläge machen, wie Lücken zu schließen sind.

Exzesse

Zahlreiche Reformen befinden sich in Brüssel ohnehin noch im Gesetzgebungsverfahren. Mitte September legte der zuständige EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier seine Pläne für das Großprojekt Europäische Bankenunion vor. Und am vergangenen Mittwoch stimmte der Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments über die sogenannte MiFID-II-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive) ab, die Exzesse an den Finanzmärkten verhindern werden soll. Der zuständige Berichterstatter, der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, hält das Dossier für "einen enorm wichtigen Schritt hin zu transparenten und effizienten Finanzmärkten in der EU". Das Plenum des Europarlaments wird im Oktober über die Richtlinie abstimmen, die den computergestützten Hochfrequenzhandel und die Spekulation mit Rohstoffen eindämmen soll. Darin ist etwa vorgesehen, dass die Europäische Wertpapieraufsicht Esma künftig mit Positionslimits festlegt, welche Marktteilnehmer in welchem Umfang bestimmte Rohstoffe kaufen und halten dürfen.

Beide Themen zeigen, wie kontrovers die Finanzmarktregulierung in Europa diskutiert wird. Bei der MiFID-II-Richtlinie steht eine Einigung des Europaparlaments mit den Mitgliedsstaaten noch aus. Bei der Bankenunion zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich die Verhandlungen unter den Mitgliedsstaaten wegen der sehr unterschiedlichen Positionen hinziehen werden und der ursprüngliche Zeitplan unrealistisch sein dürfte, wonach die gemeinsame Bankenaufsicht bereits zur Jahreswende aktiv werden sollte.

Die Konfliktlinie verläuft in dieser Frage auch zwischen Exekutive und dem Europaparlament. Die EU-Kommission hat eine Verordnung zur Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank (EZB) vorgelegt, die von den Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden muss, dem EP jedoch kein Mitspracherecht zugesteht. Dies hat unter den Abgeordneten großen Unmut ausgelöst. Alle Fraktionen haben sich nun auf eine harte Verhandlungstaktik geeinigt, bei der ein zweites zur Bankenunion gehörendes Dossier zum Faustpfand wird. Es handelt sich dabei um den Umbau der bereits bestehenden Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA. Das EP will hier nur entscheiden, wenn es auch beim EZB-Dossier ein Mitspracherecht bekommt. "Das Parlament wird die beiden vorgelegten Berichte als Paket verhandeln und sich auch in den Punkten, die die Zentralbank betreffen, nicht auf die Zuschauerränge verweisen lassen", kündigt der grüne Europaabegordnete Sven Giegold an, Berichterstatter für das EBA-Dossier.

Interessenkonflikt

Auch unter den Mitgliedsstaaten herrscht Uneinigkeit. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellt etwa in Frage, dass das EZB-Direktorium, das für Geldpolitik zuständig ist, auch die letzte Entscheidung in der Aufsicht fällt, weil er einen Interessenskonflikt fürchtet, wenn Währungshüter über Banken urteilen. Möglicherweise muss nun, anders als im Kommissionsvorschlag ursprünglich vorgesehen, ein eigenes Gremium innerhalb der EZB für die Aufsicht gebildet werden.

Ungeklärt ist auch noch, wie viele Banken tatsächlich der EZB-Aufsicht unterstellt werden. Frankreich möchte alle Banken von der EZB beaufsichtigen lassen, je nach Zählweise sind das zwischen 6.000 und 8.000 Institute. In Berlin will man dagegen der EZB nur die Aufsicht für die großen systemrelevanten Institute übertragen. Die EZB verfüge gar nicht über ausreichend Personal, heißt es.

Umstrittene Einlagensicherung

Völlig offen ist das Verhältnis der Nicht-Euro-Staaten zur EZB-Aufsicht. Bisher ist die EZB nur für die Euroländer zuständig. In Brüssel hofft man, dass sich möglichst viele Länder der Aufsicht durch die EZB unterwerfen werden. Nicht-Euro-Länder wie Schweden möchten jedoch ein Mitspracherecht bei der EZB, ehe der nationale Aufseher Kompetenzen nach Frankfurt aufgibt.

Ein besonders heikler Punkt bei der Bankenunion bleibt für die Bundesregierung die gemeinsame Einlagensicherung. Bisher hat die EU-Kommission zwar nur die gemeinsame Bankenaufsicht konkretisiert und beharrt darauf, dass der seit zwei Jahren vorliegende Vorschlag zur Harmonisierung der nationalen Systeme endlich verabschiedet werden solle. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte aber im Sommer präzisiert, dass eine Bankenunion nach seinem Verständnis auch einen gemeinsamen Abwicklungs- und Einlagensicherungsmechanismus beinhalte. Und die EU-Kommission hatte in der Vergangenheit angekündigt, 2015 dazu einen Bericht vorzulegen.

Nun beschwichtigen Barroso und Barnier das deutsche Publikum, ein solcher gemeinsamer Einlagenmechanismus sei nicht geplant. Beiden geht es im Moment aber darum, das Projekt Bankenunion nicht zu gefährden. Denn schon für den ersten Schritt der Bankenaufsicht brauchen sie auf jeden Fall die Zustimmung der Bundesregierung. Von der politischen Agenda ist die gemeinsame Einlagensicherung in Brüssel aber noch lange nicht verschwunden. "Das Thema bleibt im Raum", fürchtet der CDU-Europa-Abgeordnete Burkhard Balz.

Auch in der Frage des Kaufs von Staatsanleihen durch die EZB besteht noch Klärungsbedarf. Anfang September hatte die Zentralbank beschlossen, Anleihen finanzschwacher Staaten in unbeschränkter Höhe, aber gegen Auflagen, aufzukaufen. Dieser Schritt ist besonders in Deutschland heftig umstritten, Bundesbankpräsident Jens Weidmann etwa sieht darin eine unerlaubte "Staatsfinanzierung". Heftige Kritik kam am vergangenen Mittwoch auch vom SPD-Abgeordneten Carsten Schneider: Wenn die Regierung den Eindruck erwecke, die Haftungssumme Deutschlands wäre auf den ESM begrenzt, dann führe sie die "Öffentlichkeit an der Nase herum", sagte Schneider in einer Aussprache im Bundestag zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum ESM-Vertrag. Die Haftungssumme sei durch unbegrenzte Anleihekäufe der EZB deutlich größer, und der Bundestag sei der richtige Ort, um über Haftungsrisiken zu reden.

Klärungsbedarf

EZB-Präsident Mario Draghi wird den Bundestag am 24. Oktober besuchen, um ein Gespräch mit Abgeordneten insbesondere der mit Fragen der Eurokrise befassten Ausschüsse des Bundestages zu führen. Einem entsprechenden Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) stimmte der Ältestenrat vergangene Woche einvernehmlich zu, nachdem Draghi bereits einige Wochen zuvor ein solches Besuchsangebot gemacht hatte. "Es bietet sich an, insbesondere Mitglieder des Haushaltsausschusses, des Europaausschusses und des Finanzausschusses zu dem Gespräch zu laden", erklärte Lammert.