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"Rechte in Anspruch nehmen"

WOLFGANG ZÖLLER Arzt und Patient sollen sich nach dem Wunsch des Patientenbeauftragten künftig auf Augenhöhe begegnen können

01.10.2012
2023-08-30T12:17:38.7200Z
5 Min

Herr Zöller, Sie sind seit 2009 Patientenbeauftragter der Bundesregierung. In der vergangenen Woche ist das Patientenrechtegesetz in erster Lesung beraten worden. Warum hat es so lange gedauert, es auf den Weg zu bringen?

Es wird schon seit 15 bis 20 Jahren über ein Patientenrechtegesetz gesprochen, denn die Patientenrechte sind zur Zeit sehr unübersichtlich in den unterschiedlichsten Bereichen geregelt: im Sozialgesetzbuch, durch das Richterrecht, durch die Reichsversicherungsordnung oder auch durch berufsrechtliche Regelungen. Da die Übersicht zu behalten, ist so gut wie unmöglich - selbst für Profis. Wenn wir wollen, dass der Patient seine Rechte in Anspruch nimmt, setzt das voraus, dass er sie kennt. Zur Zeit kennt er sie nicht.

Woher wissen Sie das?

Das merken wir an den über 10.000 Anfragen, die ich als Patientenbeauftragter erhalte. Dazu kommen noch die Anfragen bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands, die seit 1. Januar 2011 gesetzlich festgeschrieben ist. Dort sind bislang über 100.000 Eingaben von Patienten eingegangen. Wir wollen, dass diese Eingaben nicht nur registriert werden, sondern auch geschaut wird, wo Schwachstellen sind, um gegensteuern zu können.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Es hat sich Anfang des Jahres gezeigt, dass die Vater-Mutter-Kind-Kuren drastisch zurückgegangen sind, obwohl sie im Gesetz gerade von einer Kann-Leistung zu einer Pflichtleistung der Krankenkassen gemacht wurden. Von überall haben wir Beschwerden gehört, dass Kuren nicht genehmigt wurden. Daraufhin gab es ein Gespräch mit dem Gesundheitsminister und allen Beteiligten, und seitdem nimmt die Zahl der Kuren wieder zu.

Bewegen sich Arzt und Patient mit dem neuen Gesetz auf Augenhöhe?

Viele Leute verstehen den Begriff so, als müsste der Patient das medizinische Wissen des Arztes haben. Ich verstehe darunter, dass es ein partnerschaftliches Miteinander von Arzt und Patient gibt, bei dem beide über die Therapie zusammen entscheiden. Wichtig ist das Vertrauensverhältnis, denn man weiß, wenn das stimmt, sind die Heilungserfolge umso besser.

Nach einer Erhebung des Medizinischen Dienstes wurden 2011 insgesamt 4.070 Behandlungsfehler festgestellt. Wie kann die Zahl der Behandlungsfehler gesenkt werden?

Das ist die Zahl der registrierten Fälle. Die Dunkelziffer wird wesentlich höher sein, aber dennoch muss man bedenken, dass wir in Deutschland jährlich Behandlungen in Höhe einer dreistelligen Millionenzahl haben. Nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Bereich müssen daher sowohl Fehler als auch Beinahe-Fehler registriert werden, um aus ihnen zu lernen.

Aber nicht jeder traut sich, Fehler an seinem Arbeitsplatz auch anzuzeigen...

Es geht nicht darum, einen Schuldigen zu finden, sondern die Ursache. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, dass jemand, der Fehler meldet, von rechtlichen, strafrechtlichen und arbeitsrechtlichen Folgen ausgeschlossen wird. Das erhöht die Akzeptanz.

Aber gibt es nicht auch gerade unter den Ärzten eine falsche Solidarität, Fehler zu vertuschen oder eine "Kultur des Wegschauens"?

Ich habe als Sicherheitsingenieur diesen Prozess der Fehlervermeidung selbst schon einmal in der Chemischen Industrie durchgemacht. Da hat man sich lange Zeit gegen Sicherheitsingenieure gewandt. Aber man hat innerhalb kürzester Zeit festgestellt, dass es sogar Geld bringt. Man wird einsehen, dass jeder Fall, der vermieden wird, das Krankenhaus entlastet, nicht nur finanziell, sondern auch personell. Denn einen Behandlungsfehler aufzuklären, bedeutet einen ungeheuren Aufwand.

Klingt alles gut, aber wo erwarten Sie Schwierigkeiten bei der parlamentarischen Beratung?

Beim sogenannten "Druck von außen" , also den Verbänden, sehe ich wenig Probleme. Denn wir haben bei diesem Gesetz im Vorfeld in über 300 Gesprächen mit allen Beteiligten versucht, einen Konsens zu finden. Ich bin daher felsenfest davon überzeugt, dass das Gesetz so kommt.

Was hätte Sie sich noch gewünscht?

Ich hätte gerne noch einen Härtefallfonds gehabt, aber bevor das Gesetz daran scheitert, mache ich jetzt lieber erst einmal das Gesetz und versuche, die Lösung des Fonds auf andere Art und Weise zu regeln.

Die Opposition fordert ebenfalls, ins Gesetz einen Härtefonds aufzunehmen. Worin unterscheiden sich ihre Positionen?

Meines Wissens nach ist ein solcher Härtefonds bislang immer an der Finanzierung gescheitert. Und ein Fonds, in den nur die Versicherten einzahlen sollen, um einen Härtefonds zu finanzieren, ist mit mir nicht zu machen.

Sie haben mehr Lob von den Ärzteverbänden als von den Patientenverbänden erhalten. Wie erklären Sie das?

Die Ärzte waren erst gegen dieses Gesetz, weil sie fürchteten, wir würden eine generelle Beweislastumkehr ins Gesetz aufnehmen. Und es gab zudem einige Selbsthilfegruppen, die das auch gefordert haben. Aber nach der Diskussion um mögliche Folgen, kenne ich keine Gruppe mehr, die das fordert.

Warum?

Wir haben darauf hingewiesen, dass eine Beweislastumkehr automatisch dazu führt, dass von den Ärzten eine "Passivmedizin" betrieben würde. Das bedeutet, Ärzte würden vor allem Untersuchungen machen, um sich vor Haftpflichtansprüchen zu schützen. Dann hätten wir amerikanische Verhältnisse, dass mehr Geld für die Haftungsabsicherung als für die Behandlung von Patienten ausgegeben würde.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es schwer ist, Schadensersatzansprüche durchzusetzen, weil es keine einheitlichen Kriterien bei den Gutachten gibt ...

Man muss dabei unterscheiden, wo der Bund Kompetenzen hat und wo nicht. Wir haben daher den Gesundheitsministern der Länder entsprechende Vorschläge gemacht. So sollte es in Zukunft bei den Gerichten sogenannte Spezialkammern geben, die sich nur mit Behandlungsfehlern beschäftigen. Die Richter könnten dann auch die Qualität der Gutachter besser beurteilen. Denn die Verfahren müssen zeitnah sein, da es eine Belastung für Patienten und Ärzte ist, wenn sie die Unsicherheit jahrelanger Verfahren ertragen müssen.

Warum dürfen Patienten bei der Selbstverwaltung nur mitberaten, aber nicht mitentscheiden?

Ich wünsche mir, dass die Patientenvertreter ein Stimmrecht bei Verfahrensentscheidungen erhalten, etwa bei Abstimmungen zur Tagesordnung. Ich bin zuversichtlich, dass dies im parlamentarischen Verfahren nachgesteuert werden kann. Wenn die Patienten aber insgesamt gleichberechtigt mitbestimmen wollten, müssten sie auch eine Körperschaft sein. Wir haben aber über 104.000 Selbsthilfegruppen. Sie alle unter einen Hut zu bringen, ist schwer.

Viele Ärzte klagen, dass medizinische Entscheidungen immer stärker wirtschaftlich motiviert sind. Wie lässt sich dieses Dilemma, unter dem ja auch die Patienten zu leiden haben, lösen?

Wenn Ärzte sich aus wirtschaftlichen Gründen für eine Behandlung entscheiden, dann hat die "Monetik" über die Ethik gesiegt. Sie können Moral aber nicht per Gesetz verordnen. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als auf ein Umdenken hinzuwirken und nach den wirklichen Ursachen für ein solches Verhalten zu suchen.

Das Interview führte Annette Sach.

Wolfgang Zöller (CSU), Jahrgang 1942, ist seit 2009 Patientenbeauftragter der

Bundesregierung. Er ist seit 1990

Bundestagsabgeordneter und langjähriges Mitglied im Gesundheitsausschuss.