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Ein dunkler Teil des Alltags

EXTREMISMUS Der Bundestag verurteilt einmütig jede Form von Antisemitismus. Debatte über seine Bekämpfung

22.10.2012
2023-08-30T12:17:39.7200Z
3 Min

Vergangenes Jahr hat es "in Deutschland laut Bundesinnenministerium 1.239 antisemitische Straftaten und 29 Gewalttaten" gegeben, wie Volker Beck vergangene Woche im Bundestagsplenum referierte: "Alle sieben Stunden eine antisemitische Straftat, an jedem zwölften Tag eine antisemitische Gewalttat", rechnete der Grünen-Abgeordnete vor, um dann das Resümee zu ziehen: "Antisemitismus in Deutschland ist Teil des Alltags" - ein Alltag, an den man sich nicht gewöhnen dürfe.

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) prangerte in der Debatte "den alltäglichen Antisemitismus in Deutschland" an, für den er zwei aktuelle Beispiele nannte: "In den letzten Wochen wurde in Berlin ein Rabbiner überfallen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde bedroht". Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wertete den Überfall auf den Rabbiner Daniel Alter von Ende August als "Handlungsauftrag an alle", sicherzustellen, "dass es kein Stadtviertel in irgendeiner Stadt dieses Landes geben darf, in dem Menschen um ihre Sicherheit oder gar um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie sich zu einer bestimmten Religion bekennen oder weil sie eine bestimmte Hautfarbe haben oder weil sie als ,anders' erkennbar sind". Antisemitismus berühre "die Grundfesten unserer Demokratie, unserer Freiheit, unseres Zusammenlebens", warnte der Ressortchef in der Debatte über den Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, der von der Bundesregierung als Unterrichtung (17/7700) vorgelegt wurde.

Etwa 20 Prozent

In dem Bericht zeigen die Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen auf, dass "in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in erheblichem Umfang antisemitische Einstellungen in unterschiedlichen inhaltlichen Ausprägungen vorhanden sind, die wiederum auf weitverbreiteten Vorurteilen und tief verwurzelten Klischees beziehungsweise auf schlichtem Unwissen über Juden und Judentum basieren". Nach Einschätzung der Wissenschaftler weisen heute etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland antisemitische Tendenzen auf. Dabei gilt "das rechtsextremistische Lager als nach wie vor wichtigster Träger des Antisemitismus" in der Bundesrepublik, wie der Expertenkreis schreibt. Während der Antisemitismus im rechtsextremen Spektrum zum konstitutiven Bestandteil der Ideologie und des Lagerzusammenhaltes gehöre, sei dies beim Linksextremismus nicht der Fall. Trotzdem gebe es auch unter Linksextremisten "Positionen, die einen antisemitischen Diskurs befördern können".

Differenzen erkennbar

Waren sich alle Fraktionen in ihrer klaren Verurteilung jeder Form von Antisemitismus einig, ließen sich bei der Frage nach seiner konkreten Bekämpfung Differenzen erkennen. Friedrich kündigte an, dass man die in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen "sorgfältig prüfen" und auch umsetzen werde, "soweit sie sinnvoll, notwendig, finanzierbar und nicht schon durchgeführt sind". Zugleich sprach sich der Minister dafür aus, den Bericht mindestens einmal pro Wahlperiode zu aktualisieren.

Thierse plädierte dafür, dass der Bundestag in jeder Legislaturperiode über einen solchen Bericht debattieren solle. Zudem forderte er eine "Verstetigung" der Bundesprogramme gegen Extremismus. Da "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus" andauernde Probleme seien, bedürfe es auch einer dauerhaften Bekämpfung. Für Die Linke beklagte Petra Pau, es gebe immer mehr Initiativen gegen Antisemitismus, "die finanziell ausbluten, weil sie bundespolitisch allein gelassen werden". Sie forderte, gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus "verlässlich" zu fördern. Auch müsse man Antisemitismus "parteiübergreifend ächten und viel mehr zur Prävention tun". Beck sagte mit Blick auf die Empfehlungen des Expertenkreises, Fraktionen und Bundesregierung müssten sich nun "zusammensetzen und schauen, wie wir diese Dinge auf den Weg bringen". Dazu gehöre für ihn auch die Beseitigung der sogenannten Extremismusklausel. Auch dürften Projekte, die vor Ort arbeiten, "nicht immer nur eine Finanzierung auf drei Jahre bekommen".

"Etwas zögerlich"

Der FDP-Abgeordnete Stefan Ruppert zeigte sich als Anhänger von "Extremismusbekämpfungsprogrammen". Am Ende sei aber "das Problem nur durch die Gesamtheit der Bürger, durch die Zivilgesellschaft zu lösen" und nicht "durch einzelne Programme, so wichtig sie auch sind". Der CSU-Parlamentarier Hans-Peter Uhl zeigte sich "etwas zögerlich", wenn es darum gehe, konkrete Projekte auf Bundesebene zu starten. Es sei vielmehr Aufgabe der Kommunen, den Antisemitismus zu bekämpfen. "Wir sollten assistieren" und "alles dazu beitragen, was man tun kann", fügte er hinzu. Notwendig sei, in den Kommunen zivilgesellschaftlich tätig zu werden, "wo am Stammtisch immer wieder Antisemitismus aufflackert".