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Angriff als Verteidigung

NSU-Ausschuss Staatssekretär Fritsche sorgt mit seinem Auftritt für Wirbel. Kritik an föderalistischen Strukuren

22.10.2012
2023-08-30T12:17:39.7200Z
3 Min

Viele Stunden zieht sich die Vernehmung Klaus-Dieter Fritsches hin, dann macht der Innen-Staatssekretär eine brisante Bemerkung. Als Vizechef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) habe er sich einmal irritiert im Haus erkundigt, warum in Thüringen die Polizei nach den 1998 untergetauchten Bombenbauern aus Jena nur zurückhaltend fahnde. Die Antwort: Es werde versucht, das Trio aus der rechtsextremen Szene zu lösen. Bislang hieß es stets, man sei über die Gruppe, die sich im November 2011 als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) entpuppt hat, nicht näher informiert gewesen. Aber waren die Behörden an der Zelle doch näher dran als behauptet? Grünen-Obmann Wolfgang Wieland erkundigt sich, wer welche Kontakte zu dem Trio hatte. Fritsche weiß nichts Genaues.

Tour d´horizon

Dieses Thema bleibt vergangene Woche im Untersuchungsausschuss rätselhaft, der Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem NSU angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin durchleuchten soll. Schlagzeilen produziert die Anhörung Fritsches vor allem, weil sich Parlamentarier und Zeuge in die Haare kriegen. Der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) unterbricht sogar das Treffen für 20 Minuten: "Es gibt Grenzen dessen, was man hinnehmen muss." Wieland kommentiert, Fritsche sei "auf Krawall gebürstet". Der Ausschuss will an diesem Tag eine tour d'horizon durch die NSU-Affäre absolvieren, in deren Zeitraum der Zeuge zunächst als BfV-Vize, dann als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und jetzt als Staatssekretär an Schaltstellen saß und sitzt.

Erst einmal aber verblüfft der CSU-Politiker die Parlamentarier mit Angriffslust: Die Aufklärung werde "von einem Skandalisierungswettstreit überlagert", er wehre sich dagegen, mit dem "Wissen von heute" Polizisten und Verfassungsschützer mit "beißender Kritik, Hohn und Spott" zu überziehen. Von "mangelnder Kooperationsbereitschaft" seitens der Regierung könne keine Rede sein: Es werde nichts "vertuscht", doch wegen des Persönlichkeitsschutzes etwa bei V-Leuten könnten manche Unterlagen nur mit geschwärzten Klarnamen übermittelt werden. Aufklärung und "Staatswohl" stünden in einem "Spannungsverhältnis".

Edathy kontert: Angesichts der Mordserie sei das Aufklärungsinteresse höher zu bewerten als Vertraulichkeitszusagen an

V-Leute. FDP-Obmann Hartfrid Wolff insistiert, über das "Staatswohl" habe das Parlament mitzuentscheiden. Am Widerstand der Länder, kritisiert Fritsche, sei sein Bemühen gescheitert, dem BfV eine Zentralkompetenz zuzuerkennen. Wegen der Hoheit der Landesbehörden für Verfassungsschutz hätten dem BfV bis zum Auffliegen des NSU 80 Prozent der relevanten Akten nicht vorgelegen. Mit dem Argument, dies habe damals dem Kenntnisstand entsprochen, verteidigt der Zeuge seine Feststellung als BfV-Vize aus dem Jahr 2003, das abgetauchte Jenaer Trio habe "soweit erkennbar" keine Gewalttaten begangen.

"Fatale Fehleinschätzung"

SPD-Sprecherin Eva Högl hingegen spricht von "fataler Fehleinschätzung", es habe sehr wohl Hinweise auf den NSU gegeben. Aus Sicht von Unions-Obmann Clemens Binninger hätte man beim Nagelbombenattentat 2004 in Köln durchaus Spuren zu den Jenaer Bombenbauern finden können.

Fritsche konzediert, es habe ihn "fassungslos" gemacht, dass im Herbst 2011 wenige Tage nach der NSU-Enttarnung im BfV Akten über einen V-Leute-Einsatz beim "Thüringer Heimatschutz" vernichtet worden seien. Bei diesem Fehlverhalten eines Referatsleiters sei es aber nicht um "Vertuschung" gegangen. Ein solches Motiv verneint auch der zur Aufklärung dieser Affäre vom Innenressort eingesetzte Sonderermittler Hans-Georg Engelke, den der Ausschuss weitgehend geheim befragt. Freilich fand Engelke heraus, dass im BfV noch weitaus mehr Dokumente geschreddert wurden, nämlich rund 300. In den meisten Fällen existiere jedoch keine Verbindung zum Umfeld des NSU.

Högl moniert, dass nach der NSU-Entdeckung das Vernichten von Akten nicht generell gestoppt worden sei. Linken-Obfrau Petra Pau bezweifelt, dass die Unterlagen nur aus "Dummheit und Faulheit" von Mitarbeitern des Bundesverfassungsschutzes geschreddert wurden.

Eine andere Akten-Affäre ist beigelegt. Der Ausschuss hatte sich mit den Innenministerien des Bundes und der Mehrheit der Länder über den Umgang mit Hunderten von ungeschwärzten Dokumenten aus Thüringen gestritten. Nun will der Untersuchungsausschuss am 25. Oktober einen Ermittlungsbeauftragten zur Sichtung der Akten einsetzen. Die Ministerien sollen Schwärzungen vorschlagen können, sollte es keine Einigung mit dem Beauftragten geben, entscheidet der Ausschuss.