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Stochern im Spurendickicht

NSU-Ausschuss BKA-Vize Maurer räumt Ermittlungsfehler ein, zweifelt aber am Erfolg beim "Umlegen des Schalters"

29.10.2012
2023-08-30T12:17:40.7200Z
4 Min

Der Vizepräsident des Bundeskriminalamts (BKA) hatte es nicht einfach vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Mehrfach hatte Jürgen Maurer vor dem Gremium betont, dass man bei den Ermittlungen zur inzwischen dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin neben der Spurensuche im kriminellen Milieu auch Erwägungen über einen rechtsextremistischen Hintergrund "gleichwertig" verfolgt habe. Dann reckte Sebastian Edathy (SPD) ein Papier in die Höhe und hielt dem BKA-Vize eine Analyse der Bundesbehörde von 2006 entgegen: Wie man denn von einer "Gleichwertigkeit" sprechen könne, kritisierte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses vergangene Woche, wenn sich zur Stützung der Hypothese von fremdenfeindlichen Einzeltätern nur wenige Zeilen fänden, die Wahrscheinlichkeit eines kriminellen Motivs hingegen auf mehreren Seiten begründet werde.

Zudem fand der SPD-Abgeordnete die BKA-These "hanebüchen", die Opfer seien wegen ihres persönlichen Umfelds, Aussehens und Alters sehr verschieden - obwohl es doch fast ausschließlich Türken gewesen seien. Auch habe man erst 2006 nach bereits neun Morden begonnen, einen ausländerfeindlichen Hintergrund überhaupt zu bedenken. Edathy suchte überdies eine öfter von Zeugen gehörte Rechtfertigung zu zerpflücken, man sei mangels Bekennerbriefen nicht auf die rechtsterroristische Spur verfallen: Das Fehlen solcher Selbstbezichtigungen sei doch ein "signifikantes Merkmal" solcher Attentate.

Selbstkritischer Zeuge

Edathys Vorwürfe und anderer Abgeordneter trafen dennoch in gewisser Weise einen Falschen: Im Unterschied zu diversen anderen Zeugen präsentierte sich der BKA-Vize vor den Parlamentariern selbstkritisch und sachbezogen - was der Ausschuss ausdrücklich würdigte.

Maurer fand es "erschreckend", dass es nicht gelungen sei, die Mordserie aufzuklären, die dem NSU nach dessen Auffliegen im November 2011 zugerechnet wird. Der 60-Jährige warf die Frage auf, ob die Ermittlungsansätze nicht breiter hätten angelegt werden müssen. Vielleicht habe man sich zu sehr in die Theorie eines kriminellen Hintergrunds "verbissen". So monierte der Zeuge, dass die Polizei 2004 nach dem Nagelbombenattentat mit 22 Verletzten in einer überwiegend von Bürgern türkischer Herkunft bewohnten Straße ein ausländerfeindliches Motiv "vorschnell" ausgeschlossen habe. Er selbst habe sofort auf einen "fremdenfeindlichen Fanatiker" als Täter getippt, auf eine rechtsterroristische Gruppe sei er indes auch nicht gekommen.

Im Prinzip "gleichwertig"

Aber hätte eine andere Gewichtung der Ermittlungsansätze den NSU aufdecken können? Maurer bremst. Die Hypothese von fremdenfeindlichen Einzeltätern und die Theorie vom kriminellen Hintergrund der Mordserie seien im Prinzip "gleichwertig" geprüft werden. Allerdings hätten in Richtung Rechtsterrorismus damals keinerlei "festmachbaren" Hinweise existiert. Alle Spuren seien verfolgt worden, "doch da gab es nichts". Der BKA-Vize: "Auch wenn wir 2006 den Schalter umgelegt hätten, hätte das nicht zum Erfolg geführt." Selbst nach dem Auffinden der Tatwaffe in der NSU-Hinterlassenschaft sei immer noch nicht "beweiskräftig" belegt, wie die Pistole aus der Schweiz in die Hände der Zelle gelangt ist.

Die Morde wären aus Sicht des Zeugen angesichts des seinerzeitigen Kenntnisstands "auch nicht aufgeklärt worden", wenn die Recherchen vom BKA übernommen worden wären. Wegen der zersplitterten Zuständigkeiten bei mehreren Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften - für Grünen-Obmann Wolfgang Wieland ein "Wohngemeinschaftsmodell ohne klare Kompetenzen" - hatte die BKA-Spitze 2006 eine solche Zentralisierung gefordert, war aber in der Innenministerkonferenz damit gescheitert. Über diese Ablehnung zeigte sich Maurer noch vergangene Woche "irritiert". Gleichwohl seien alle Spuren bearbeitet worden, auch wenn die Ermittlungen "schwerfälliger" und "aufwendiger" geworden seien.

Dem Zeugen wurde im Ausschuss entgegengehalten, dass das BKA über eine mit mehr Nachdruck gestartete Abfrage bei Verfassungsschutzbehörden von Spitzelberichten hätte erfahren können, wonach sich das 1998 untergetauchte Jenaer Trio Geld und Waffen beschaffen wollte. Maurer konterte, man hätte 2006 nach dieser Gruppe gar nicht gesucht, weil nach ihr seit 2003 nicht mehr gefahndet worden sei.

Schließlich erkundigte sich Edathy noch bei dem Zeugen, ob neben dem NSU noch andere rechtsterroristische Zellen existieren. Man überprüfe derzeit zwei Kreise, bei denen das jedoch wohl nicht der Fall sei, erläuterte Maurer, "aber nach den NSU-Erfahrungen schließe ich nichts mehr aus".

Acht Stunden Vernehmung

Sage und schreibe acht Stunden wird der BKA-Vize angehört. Nicht nur wegen derartiger Mammutvernehmungen kommt der Ausschuss langsam in Zeitnot, sondern auch wegen neuer Aufgaben. "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir uns selbst mit dem Ku-Klux-Klan befassen müssen", meint Linke-Obfrau Petra Pau. In Baden-Württemberg steht ein Ex-Verfassungsschützer im Verdacht, als Geheimdienstler 2002 den dortigen Klan-Anführer vor einer Telefonüberwachung gewarnt zu haben, der wiederum ein V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen sein soll. Letzteres fände SPD-Obfrau Eva Högl "ungeheuerlich". Auch ein Bericht des baden-württembergischen Innenministers Reinhold Gall (SPD) hat diese Affäre nicht aufgeklärt. Der Berliner Ausschuss will vor allem untersuchen, sagt FDP-Obmann Hartfrid Wolff, ob es Verbindungen zwischen dem NSU und dem 2003 aufgelösten Klan im Südwesten gab. Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) spricht von solchen Hinweisen.