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"Lütte Spraken"

KULTUR Bundestag bekennt sich zum Schutz und zur Förderung der bedrohten Regional- und Minderheitensprachen

03.12.2012
2023-08-30T12:17:43.7200Z
4 Min

Die Uhr im Plenarsaal zeigte bereits 22:06 Uhr an, als Wolfgang Börnsen (CDU) am vergangenen Donnerstag Abend ans Rednerpult trat. Doch trotz der fortgeschrittenen Stunde konnte er sich der Aufmerksamkeit der wenigen noch anwesenden Bundestagsabgeordneten sicher sein. Denn der Schleswig-Holsteiner berichtete von einem sprachlich eher ungewöhnlichen Briefwechsel mit Joachim Gauck anlässlich dessen Wahl zum Bundespräsidenten: "Vör Dag und Dau kreeg ik düsse feine Brief vun een grote Persönlichkeit ut uns Land. De schreff: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ick heff mi banning högt öwer den plattdütschen Breif mit de goden Würd un de Glückwünsch. Disse Breif hett ja een ,Alleinstellungsmerkmal', denn ward ik mi upphangen." Für Börnsen ist dieser Brief des Staatsoberhauptes, "de plattdüütsch snacken deit", wohl ein gutes Zeichen "för de Tokunft vun den lütten Spraken". Denn die Zahl der Menschen, die des Plattdeutschen oder einer der anderen Regional- und Minderheitensprachen mächtig ist, ist rückläufig. Grund genug für Börnsen und 79 weitere Abgeordnete, sich in einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag (17/11638) für den Erhalt der "lütten Spraken", der kleinen Sprachen, als Teil des kulturellen Erbes in Deutschland und Europa einzusetzen.

"Sprachen, gleich welcher Art, sind ein kultureller sowie ein gesellschaftlicher Reichtum", betonte Börnsen. Das gelte für die traditionellen regionalen Sprachen und die Minderheitensprachen genauso wie für über 160 verschiedene Sprachen der Migranten und Zuwanderer in Deutschland.

Anlass der Debatte war das 20-jährige Jubiläum der Europäischen Charta der Regional- und Mindersprachen, die der Europarat im November 1992 aufgelegt hatte. Deutschland gehörte damals zu den ersten Staaten, die die Charta unterzeichneten. Allerdings dauerte es dann noch einmal sechs Jahre, bis der Bundestag die Charta ratifizierte. Bis heute wurde sie von 33 europäischen Staaten unterzeichnet, ratifiziert haben sie jedoch erst 25 Staaten.

Bedrohter Bestand

In Deutschland werden gemäß der Charta vier Sprachen der autochthonen Minderheiten - das Dänische, das Nord- und Saterfriesische, das Romanes, das Ober- und Niedersorbische - sowie die Regionalsprache Niederdeutsch geschützt und gefördert. Die Sprachen-Charta des Europarates kennzeichne "die Bedeutung, aber zugleich auch die Bedrohung der Kleinsprachen auf unserem Kontinent", warnte Börnsen. "Waren 1992 bereits 50 Sprachen in ihrem Bestand gefährdet, sind es heute, 20 Jahre später, bereits 75." Weltweit sterbe jede Woche eine Sprache, rechnete Börnsen unter Berufung auf aktuelle Analysen der Unesco vor. "Noch haben wir 6.000 Sprachen; in 50 Jahren werden 2.400 Sprachen nicht mehr auf unserer Welt sein."

Auch den anerkannten Minderheitensprachen in Deutschland droht auf lange Sicht das Aussterben. Von der Unesco werden das Saterfriesische mit 2.000 Sprechern, das Nordfriesische mit 8.000 und das Sorbische mit immerhin noch 45.000 Sprechern zu den "besonders gefährdeten" Sprachen gezählt.

Forderung nach mehr Geld

Bei aller Einigkeit, die zwischen allen Fraktionen in der Debatte herrschte, wurden jedoch auch kritische Stimmen laut. Die SPD-Abgeordnete Karin Evers-Meyer, die sich neben Börnsen und dem FDP-Parlamentarier Thorsten Staffeldt ebenfalls als "Plattsnaker" outete, forderte eine Erhöhung der Mittel zur Förderung der Regional- und Minderheitensprachen: "Siet 2008 gifft de Beopdragte för Kultur und Medien in't Johr 50.000 Euro an dat Institut för nedderdüütsche Spraak - dat is för Projekten för de 2,5 Millionen Plattsnackers in us Land jüst nich veel."

Cornelia Behm (Bündnis 90/Die Grünen) benannte ein zweites Beispiel. Für das Programm "Witaj" (Willkommen), mit dem Kinder der sorbischen Minderheit ihre Muttersprache in Kitas und Schulen erlernen können, fehle ausreichend Geld für die Ausbildung der Lehrkräfte. "Hier erwarte ich vom Land Brandenburg mehr Engagement", forderte Behm. Auch die CDU-Abgeordnete Maria Michalk, selbst Angehörige der sorbischen Minderheit, verwies auf dieses Projekt, das sich "bewundernswert" entwickelt habe, und gab ihren Kollegen in ihrer Rede die Gelegenheit, "ein bisschen in die sorbische Sprache hineinzuhören".

Doch von einer Aufstockung der Mittel zur Förderung der Regional- und Minderheitensprachen ist in dem Gruppenantrag, den der Bundestag ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der meisten Abgeordneten der Linksfraktion verabschiedete, nicht die Rede. Konkret fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, zusammen mit den Ländern, Kommunen und den Vertretern der Regional- und Minderheitensprachen ein Gesamtkonzept zur Förderung der betroffenen Sprachen auszuarbeiten. An Schulen, Hochschulen, in der Verwaltung und den Medien müsse den Regional- und Minderheitensprachen mehr Geltung verschafft werden. Zudem soll in jeder Legislaturperiode ein Bericht zur Lage der Sprachen vorgelegt werden.

Migranten

Raju Sharma von der Linksfraktion erinnerte daran, dass die Europäische Sprachen-Charta nur nationale und autochthone Minderheiten schütze und fördere. Auf Dauer sie dies jedoch zu kurz gegriffen, der Minderheitenbegriff müsse weiter gedacht werden. Wenn in Tschechien rund 60.000 als Gastarbeiter eingewanderte Vietnamesen als nationale Minderheit geschützt seien, "dann ist die Idee, sich aktiv für den Schutz und die Förderung der Sprache von über 800.000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden einzusetzen, ganz sicher nicht mehr so abwegig", argumentierte Sharma.

Einig waren sich jedoch alle Abgeordneten in der Debatte - ganz gleich in welcher Sprache sie am Rednerpult argumentierten - an einem Punkt: Die Sprache sei Ausdruck kultureller und nationaler Identität und müsse schon deshalb geschützt, gefördert und gesprochen werden. Und so präsentierte Cornelia Behm ihren Kollegen programmatisch eine Postkarte, die ihr dieser Tage zugeschickt worden sei. Auf dieser stehe die Aufforderung: "Nutze deine Zunge nicht nur zum Küssen!"