Piwik Webtracking Image

Ein Dschungel aus Fahndern, Schlapphüten und Spitzeln

NSU-Ausschuss Details der Ermittlungen Thüringer Sicherheitsbehörden zum Jenaer Trio sorgen bei den Abgeordneten für ungläubiges Staunen

21.01.2013
2023-08-30T12:23:52.7200Z
3 Min

"Ja, was sollte ich machen?": Lapidar antwortete Gerd Michael Schultz bei der Sitzung des Untersuchungsausschusses auf die Frage des Vorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), ob er denn die seltsame Reaktion des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) akzeptiert habe. Bei dem Geraer Staatsanwalt war ein führender Geheimdienstler aufgetaucht und hatte 22 in einem Brief an das LfV übermittelte Fragen zu dem im Januar 1998 untergetauchten Jenaer Bombenbastler-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe schlicht mit Nein beantwortet. Die Staatsanwaltschaft hatte etwa wissen wollen, ob das LfV etwas über den Aufenthaltsort der Drei wisse oder einer davon für den Geheimdienst arbeite.

"Unglaublicher Verdacht"

Damals keimte in Gera und bei der Zielfahndung des Landeskriminalamts (LKA) angesichts der Erfolglosigkeit der Suche nach der Gruppe, aus der später der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) wurde, der "unglaubliche Verdacht" (Edathy), zwischen dem Geheimdienst und der Zelle könnten möglicherweise Kontakte bestehen und das Trio erhalte von dieser Seite eventuell Hilfe. Es sei schon "sehr merkwürdig" gewesen, sagte Schultz, dass ein Zugriff nie habe gelingen wollen. Doch da er die Neins des LfV akzeptierte, verlief der "ungeheuerliche" Verdacht (Schultz) im Sande.

Vergangene Woche tauchte der Ausschuss in die Details der Ermittlungen der Thüringer Sicherheitsbehörden zu der Jenaer Gruppe und zur rechtsextremen Szene in den 1990er Jahren ein. Diese Arbeit des LKA, der Staatsanwaltschaft und des LfV hatte eine Kommission um Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer vernichtend als "ungeordnet, rastlos, chaotisch, übereifrig" beurteilt.

"Einbahnstraße"

Nicht nur der brisante Verdacht der Staatsanwälte trieb ungläubiges Staunen in die Mienen der Abgeordneten. So erzählte der damals im LKA mit Rechtsextremismus befasste Beamte Mario Melzer, nach seiner "harten Kritik" an der Fahndung nach der Jenaer Zelle habe man ihm den Wechsel in eine andere Abteilung nahegelegt, was er auch getan habe. Nach einem Bericht von Schultz studierten Geheimdienstler in Gera Akten zur rechtsextremen Szene, während das LfV nur wenige Informationen an die Staatsanwälte lieferte. Das sei eine "Einbahnstraße" gewesen, "die haben uns abgeschöpft", sagte Schultz.

Für Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) war das Klima zwischen den Sicherheitsbehörden "durch Misstrauen" geprägt. SPD-Obfrau Eva Högl monierte, der Geheimdienst habe die Ermittlungen "maßgeblich behindert". Im Ausschuss musste sich auch Schultz Kritik anhören: Bei einer Durchsuchung gefundene Unterlagen seien nicht gründlich ausgewertet worden, wobei die vermerkten Kontaktadressen bei der Fahndung hätten nützlich sein können.

Für die Abgeordneten ist es ein Rätsel, wieso Tino Brandt als Anführer des "Thüringer Heimatschutzes" (THS) vom LfV als Spitzel geführt werden konnte. Auch Schultz sagte, das habe er sich lange nicht vorstellen können. Ein Gespräch von LfV-Vertretern mit ihm habe er als Ansinnen des Geheimdiensts gewertet, er solle Brandt "in Ruhe lassen". Doch er habe den THS-Chef und andere Rechtsextremisten "angeklagt, wo es nur ging". Brandt sei aber vor Gericht nie belangt worden. Für Binninger ist es ein "erschütternder Befund", dass in den 1990er Jahren in Thüringen zwar mehr als 100 Ermittlungsverfahren gegen Rechtsextremisten eingeleitet wurden, es aber nur zu wenigen Verurteilungen kam.

Bei der Sitzung wurde bekannt, dass der Thüringer Verfassungsschutz 1997 laut einer Zeugenaussage gegenüber der Schäfer-Kommission überlegt habe, Zschäpe als Informantin anzuwerben. Dies sei aber nicht versucht worden, da sie angeblich Drogen genommen habe.