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Drei Millionen potenzielle Spender

FORSCHUNG Die Transplantation von Knochenmark und Stammzellen des Blutes ist eine Erfolgsgeschichte - und Ausgangspunkt für neue Therapien

18.02.2013
2023-08-30T12:23:53.7200Z
3 Min

Derzeit wird viel über die Transplantation von soliden Organen, dass heißt Leber, Niere, Herz und Lunge, geschrieben und diskutiert, weniger wegen der medizinischen Erfolge, sondern wegen der skandalösen Machenschaften an einigen Transplantationszentren. Dabei wird häufig übersehen, dass die vor etwa 50 Jahren erstmals durchgeführte Knochenmarktransplantation bis heute weltweit bei mehr als einer Million Patienten therapeutisch eingesetzt worden ist und dabei unzähligen Patienten mit Leukämien, Lymphknotenkrebs, Knochenmarkversagen und angeborenen Störungen der Blutbildung und des Immunsystems das Leben gerettet hat. Sie wird damit wesentlich häufiger als die Organtransplantation durchgeführt, wohl auch, weil die Knochenmark- und Blutstammzellen nicht von Verstorbenen, sondern von Gesunden gespendet werden.

In den letzten Jahrzehnten hat es wichtige Entwicklungen gegeben. So werden die Stammzellen heutzutage in den meisten Fällen aus dem Blut gewonnen, für den Spender erübrigt sich somit die Vollnarkose. Dementsprechend reden wir heute von der Blutstammzelltransplantation und meinen damit die Transfusion von Stammzellen des Blutes und des Immunsystems in den Patienten als Empfänger.

Der Erfolg der Stammzelltransplantation ist ermöglicht worden durch die Entzifferung des sogenannten HLA-Systems, das über die Akzeptanz beziehungsweise Abstoßung von fremdem Gewebe entscheidet. Für eine erfolgreiche Stammzelltransplantation ist nicht die Übereinstimmung des Geschlechts oder der Blutgruppe wichtig. Falls Spender und Empfänger eine andere Blutgruppe aufweisen, erhält der Empfänger die Blutgruppe vom Spender. Entscheidend ist, dass der Spender über die gleiche oder eine ähnliche Gewebekompatibilität verfügt wie der Empfänger. Durch eine unglaubliche Solidaritätsbewegung wurde der Aufbau von Fremdspenderdateien ermöglicht, in denen in Deutschland nahezu drei Millionen Freiwillige mit ihrem Gewebetyp erfasst sind. Damit ist es heute möglich, in der Kombination von Familien- und Fremdspendersuche für 80 Prozent der Patienten einen geeigneten Spender zu finden.

Risikoreiche Therapie

Während zu Beginn die Stammzelltransplantation nur bei Patienten bis zum 40. Lebensjahr durchgeführt wurde, liegt derzeit die obere Altersgrenze bei etwa 70 Jahren. Dies ist ermöglicht worden durch Modifikationen im Transplantationsablauf, die genaue Definition von Risikofaktoren und Verbesserungen der Begleittherapie. Trotzdem ist die Stammzelltransplantation immer noch ein risikoreiches Therapieverfahren, bei dem etwa 15 bis 20 Prozent der Patienten an unmittelbaren Folgen der Transplantation versterben. Hinzu kommen die trotz allem möglichen Rückfälle der Leukämie und die Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion, bei der in bis zu 50 Prozent der Fälle durch kleine Differenzen in Gewebemerkmalen akute und chronische Folgeerkrankungen an Haut, Leber, Darm und Lunge auftreten.

Die Erfolgsraten der Stammzelltransplantation haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert. Sie liegen heutzutage bei circa 80 Prozent für Patienten mit gutartigem Knochenmarkversagen oder angeborenen Störungen der Blutbildung und im Durchschnitt bei 45 bis 50 Prozent für Patienten mit Leukämien. Dies erscheint nicht sehr hoch, aber hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch die Transplantation die Heilungschancen durchschnittlich um 30 bis 40 Prozentpunkte verbessert werden.

Trotzdem besteht großer Forschungsbedarf zur Verbesserung der Ergebnisse. Diese konzentrieren sich zum einen auf eine verbesserte Auswahl der Spender, eine noch stärker individualisierte Vorbehandlung der Patienten kurz vor der Transplantation und Maßnahmen, die Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion zu vermeiden. Gerade das letztere Problem hat zu neuen Ansätzen geführt. Diese beinhalten eine Aufarbeitung des Transplantats, bei der nicht gewünschte Zellen entfernt oder gentherapeutisch verändert werden, sowie die frühzeitige Erkennung der Unverträglichkeitsreaktion mit neuen Verfahren.

Die Erfolge der Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation sowie die Fortschritte der zellbiologischen Stammzellforschung haben dazu geführt, Zelltherapien auch in anderen Gebieten der Medizin zu entwickeln. Am weitesten entwickelt und derzeit am spektakulärsten ist der Einsatz von patienteneigenen Knochenmarkzellen in der Behandlung des Herzinfarkts oder der chronischen Herzinsuffizienz. Die sogenannten mesenchymalen Stammzellen, Vorläuferzellen des Bindegewebes, stehen dabei im Fokus des Interesses, da sie zu Knochenzellen, Knorpelzellen, Muskelzellen und Fettzellen ausreifen können und sogar eine Umwandlung in Nervenzellen möglich ist. So suchen Orthopäden und Neurologen nach Wegen, diese Zellen bei Knochendefekten erfolgreich zu verwenden.

Ausgangspunkt

Die Stammzelltransplantation ist somit der Ausgangspunkt der regenerativen Medizin geworden. Bei diesen Entwicklungen neuer Zelltherapieverfahren können sicherlich die Stammzelltransplanteure von den Organtransplanteuren - wie auch umgekehrt - und von diesen wieder die anderen medizinischen Disziplinen lernen.

Idealerweise geschieht dies in einem integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum für Transplantationen, von denen das erste in Deutschland an der Medizinischen Hochschule Hannover mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung etabliert wurde.

Der Autor lehrt als Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover.