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Hamburger Lehrstück

MEDIENPREIS Bundestagpräsident Norbert Lammert zeichnet vier Journalisten für ihre Dokumentation "Feind, Todfeind, Parteifreund" aus

04.03.2013
2023-08-30T12:23:55.7200Z
4 Min

Feind, Todfeind, Parteifreund" - so hatte das "Hamburger Abendblatt" in seiner Ausgabe vom 29. Dezember 2011 ein vierseitiges Dossier betitelt, das Vorgänge in der schleswig-holsteinischen CDU von 2009 bis zum Sturz des Spitzenkandidaten Christian von Boetticher im September 2011 ("Lolita-Affäre") nachzeichnet. Für ihre akribische Recherche wurden die vier Autoren des Beitrags - Karsten Kammholz, Volker ter Haseborg, Ulf B. Christen und Lars-Marten Nagel - vergangene Woche mit dem "Medienpreis Politik 2012" aus den Händen von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) belohnt.

Den gekürten Beitrag bezeichnen die Autoren selbst als "Lehrstück über Parteifreundschaft". Neben der Ereignisgeschichte, die streng chronologisch gegliedert ist, werden die Netzwerke, Seilschaften, Freundschaften und Feindschaften im Beziehungsgeflecht des CDU-Politikers Christian von Boetticher aufgearbeitet. Torsten Kleditzsch, Chefredakteur der "Freien Presse" in Chemnitz, Mitglied der Jury des Medienpreises, nannte das Dossier ein "gedrucktes Argument für die Leistungsfähigkeit des Journalismus". Der Text komme ohne Konjunktive und sprachliche Pirouetten aus, enthalte kein Sowohl-als-auch. "Er präsentiert Daten. Das ist es, was der Journalismus seinen Konkurrenten voraus haben sollte", lobte Kleditzsch in seiner Laudatio. Als Vertreter einer Regionalzeitung freue er sich besonders, dass in diesem Jahr ein regionales Medium den Medienpreis erhält.

Der Fernsehjournalist Peter Limbourg (ProSiebenSat.1 Media AG) betonte, der Jury des medienpreises sei es angesichts des sehr hohen Niveaus der insgesamt 60 eingereichten Beiträge, die richtige Wahl zu treffen.

"Land der Leidenschaft"

Unter den letztlich drei nominierten Beiträgen findet sich ein weiterer Artikel, der sich mit der Landespolitik in Schleswig-Holstein auseinandersetzt. "Im Land der Leidenschaft" ist der Beitrag betitelt, den die Autoren Andreas Große Halbuer und Christian Salewski am 4. Mai 2012 in der damals noch existierenden "Financial Times Deutschland" veröffentlicht hatten. Im Mittelpunkt steht dabei die politische Kultur in Schleswig-Holstein. Der Plenarsaal in Kiel mit seinem spektakulären Blick auf die Förde sei die Bühne für das ganz große politische Drama. Die Urkatastrophe trage den Namen Barschel. Engholm, Pfeiffer, der "Heide-Mord" und die "Lolita-Affäre" werden als weitere Stichworte für das besondere politische Klima in Kiel genannt.

"Demokraten"

Berlin ist der Schauplatz des dritten nominierten Beitrags: "Demokraten" heißt der Film des Regisseurs und Produzenten Levi Salomon, der mit seinem Filmteam fünf Kandidaten für das Berliner Abgeordnetenhaus während des Wahlkampfes 2001 begleitet hatte. Ob in verrauchten Stammkneipen, Szenetreffs oder den Wahlständen auf der Straße: die Kamera ist stets dabei und führt dem Zuschauer vor Augen, wie Demokratie im Alltag und vor Ort fernab der "großen" Bundespolitik funktioniert.

Reichstagsbrand

Anlass zur Verleihung des mit 5.000 Euro dotierten Medienpreises, den der Bundestag seit 1993 vergibt, ist traditionell der jährliche Presseempfang des Bundestagspräsidenten. Norbert Lammert nutzte die Gelegenheit, um an zwei schicksalsträchtige Gedenktage zu erinnern. Vor 80 Jahren, am 27. Februar 1933, brannte der Reichstag. Heute erscheine dieser Brand als ein Fanal, "als ob damals nicht nur ein Parlamentsgebäude, sondern eine Demokratie in Brand gesteckt worden wäre". Lammert mahnte an die "diabolische Präzision", mit der die vier Wochen zuvor an die Macht gelangten Nationalsozialisten noch in derselben Nacht Tausende Oppositionelle verhaften ließen, und an die Notverordnung, die am Tag darauf die Substanz der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt habe. Lediglich ein halbes Jahr hätten sie gebraucht, um die Demokratie zu liquidieren.

Digitalisierte Debatten

Das zweite Ereignis an einem 27. Februar, auf das Lammert aufmerksam machte, war die an die 50 Stunden dauernde Bundestagsdebatte im Jahre 1955 über die Pariser Verträge, die das Besatzungsstatut der Bundesrepublik beendeten und dem westdeutschen Teilstaat die Souveränität zurückgaben. Diese Debatte ist nun wie alle Debatten des Bundestages seit 1949 digitalisiert und kann auf der Homepage des Bundestages nachgelesen werden (siehe dazu auch Seite 14).

Der zweite Versuch der deutschen Demokratie ist "offenkundig besser gelungen", sagte Lammert. Mehr als 60 Jahre "liegen hinter uns", davon mehr als 20 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit.

Gedenken an Tissy Bruns

Ist die Republik in diesen 60 Jahren zu einer "Republik der Wichtigtuer" geworden, wie die Journalistin Tissy Bruns vor einigen Jahren in ihrem gleichnamigen Buch provokativ schrieb? Aus dem Buch der am 20. Februar nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren verstorbenen Journalistin zitierte Lammert unter anderem den Satz, Berlin-Mitte sei zu einer Bühne von Politik und Medien geworden, die von der Lebenswirklichkeit der Bürger weiter entfernt sei als das "Raumschiff Bonn". Für den Bundestagspräsidenten ist dies eine "besonders bemerkenswerte Bestandsaufnahme des besonderen Verhältnisses von Politik und Medien".

Tissy Bruns war über Jahre Mitglied der Jury des Medienpreises Politik des Bundestages. Mit ihrer "bemerkenswerten Biografie" und ihrer "eindrucksvollen beruflichen Laufbahn" habe sie bei Politikern wie Journalisten gleich hohes Ansehen genossen, sagte Lammert: "Ich möchte hier stellvertretend unseren Respekt und großen Dank für ihr Engagement zum Ausdruck bringen", sagte Lammert. Sie war "einer der führenden Köpfe im Berliner Journalistenzirkel", pflichtete Peter Limbourg bei. Auch wenn nicht immer einer meinung gewesen sei, so habe man mit ihr "hervorragend streiten können".