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Miete Fluch der guten Konjunktur

WOHNUNGSMARKT Die Wirtschaftslage schlägt auf die Mieten in deutschen Großstädten durch. Auf dem Land sieht es oft anders aus

04.03.2013
2023-08-30T12:23:55.7200Z
7 Min

Für eine gemeinsame Wohnung wollen Christine H. und ihr Freund rund 1.200 Euro ausgeben. Kalt. Ohne Heizkosten. Zwei Räume sollen es sein, im zweiten Münchener Ring - ein wenig näher am Zentrum als bisher. Die beiden 27-Jährigen verdienen gut, sonst könnten sie sich so viel Geld für eine so kleine Wohnung auch gar nicht leisten. Gut eine Stunde haben sie dafür mit rund 80 ebenfalls auf Wohnungssuche befindlichen Interessenten vor der Haustür des Mietshauses gewartet. In München gibt es nur noch Sammeltermine bei Maklern. Innerhalb von 30 Minuten führt die Maklerin die Interessenten in Zehnergruppen durch die Räume. Andere haben da bereits bei ihr angerufen, und blind zugesagt - ohne die Wohnung überhaupt gesehen zu haben. Christine H. und ihr Freund müssen nun erst einmal warten. Zwei Tage später bekommen sie dann die übliche Absage. Meistens lautet sie: "Wir haben uns für jemand anderen entschieden." Christines Fazit: "Es ist sehr viel einfacher, in München einen neuen Job zu finden als eine neue Wohnung."

Geschichten wie die von Christine H. kennt jeder, der in München, Hamburg oder Frankfurt/Main lebt. Im ohnehin teuren München haben die Mieten in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt noch einmal um über zwölf Prozent zugelegt. Kaltmieten bis zu 28 Euro pro Quadratmeter sind in begehrten Toplagen nicht selten. Bayerns Hauptstadt bleibt Deutschlands teuerstes Pflaster. Ähnlich ergeht es auch Peter R. mit seiner Frau Angelika und ihren beiden Kindern Moritz (14 Jahre) und Mark (10). Peter ist Polizeibeamter, Polizeioberrat. Jemand, den ein Vermieter vor ein paar Jahren noch jederzeit gerne als Mieter etwa in einem Mehrfamilienhaus aufgenommen hätte. Aber in Hamburg will und kann sich das niemand mehr leisten. Im Schanzen- oder Karolinenviertel und selbst in St. Pauli schießen die Mieten durch die Decke -, auch wenn Ehefrau Angelika mitverdienen würde, kann sich die Familie eine 100 qm große Wohnung mit zwei Kinderzimmern in diesen Stadtvierteln nicht mehr leisten. Ohne Kinder ginge es vielleicht noch. Aber mit? Insgesamt fehlen zurzeit in Hamburg 30.000 bis 50.000 Wohnungen. Bezahlbare Wohnungen. Teure Wohnungen gibt es genug, denn der Mietanstieg für Neuverträge in den letzten fünf Jahren hat sich alleine in Hamburg um 21,6 Prozent verteuert. Ganze Stadtviertel wie Ottensen verändern deshalb schon heute ihr Gesicht: Der Ausländeranteil hat sich hier in den vergangenen 20 Jahren mehr als halbiert.

Preisschub bei Neuvermietung

Ähnlich das Bild in Berlin: In In-Vierteln, etwa in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg oder Mitte fielen die Mietsteigerungen in den letzten zwei, drei Jahren drastisch aus: "In Berlin bewegen sich die Zuwachsraten je nach Kiez zwischen fünf und 30 Prozent", sagt etwa Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. Die Gründe für viele Mietexplosionen: Mangel an bezahlbarem Wohnraum und - ausgerechnet - die gute Wirtschaftslage. Eine gute Entwicklung der Konjunktur hat bisher immer auch auf den Mietmarkt durchgeschlagen. Vermieter erwarten, dass sie mehr verlangen können. Seit Mitte 2010 hat es deshalb bei vielen Neumieten einen großen Preisschub gegeben.

Selten war das Thema Immobilien deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung so präsent wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Und sicher wird es auch ein wichtiges Thema im bevorstehenden Bundestagswahlkampf für die Parteien werden. Doch die Situation in weiten Teilen der Republik sieht abseits der Ballungszentren oft ganz anders aus. Etwa in Remscheid, im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen. Hier stehen heute bereits mehr als 2.000 Wohnungen leer.

Die Demographie, hört man achselzuckend im Rathaus. Bis zum Jahr 2020 würden noch einmal 2.500 Wohneinheiten dazu kommen. Die Leute sterben oder ziehen weg, lautet das Resümee im "Wohnungspolitischen Handlungskonzept", das der Rat der Stadt vor einiger Zeit in Auftrag gegeben hat. Fünf Prozent beträgt die Leerstandsquote im Oberbergischen Kreis. Die im Vergleich zur Rheinschiene niedrigen Mieten und geringen Renditen erschweren oft nötige Investitionen. In Hückeswagen hat man bereits vor einigen Jahren damit angefangen, erste Komplexe mit Mietwohnungen, die leer standen, abzureißen. Andernorts hofft man noch. So im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen. Durch ein Wohnungs- und Häuser-Leerstandsmanagement will man den aussterbenden Städten und Gemeinden neues Leben einhauchen. Bis dahin verfallen dort aber ganze Straßenzüge mit wunderbaren Fachwerkhäusern. Und genauso wie in diesen Tagen immer wieder die Top-Ten der teuersten Mieter-Städte aufgelistet werden, gibt es umgekehrt auch eine Rangfolge der Kommunen, wo es sich für Mieter am billigsten leben lässt. Sie beginnt bei Hof in Oberfranken und geht über Pirmasens, Chemnitz, Gera bis hin - man staune - nach Leipzig. Der Mietpreis liegt hier bei 5,59 Euro für den Quadratmeter.

Soziale Ghettos

Verkehrte Welt also: Wohnungsmangel in vielen Großstädten in Deutschland, Leerstände in eher ländlichen Gebieten. Die Menschen ziehen dorthin, wo es Arbeit gibt. Eine deutlich schwächere Preis- und Mietentwicklung wird hingegen für das Ruhrgebiet erwartet - Dortmund, Duisburg und Wuppertal etwa. Eine Entwicklung die sich seit Jahren abzeichnete. Zugleich aber stagnierte gerade in den wichtigen Ballungszentren der Wohnungsneubau seit Jahrzehnten. In Berlin etwa ist die Situation in den letzten Jahren geradezu absurd gewesen: In den 1960er und 1970er Jahren wurden dort viele Sozialbauten errichtet. Hochhaussiedlungen wie die Gropiusstadt wurden aus dem Boden gestampft, verwandelten sich jedoch bald in soziale Ghettos. Vor allem aber waren sie Steuerabschreibungsmodelle für betuchte Westdeutsche. Wer mehr als 150.000 Mark im Jahr verdiente, konnte seine Einlage innerhalb von fünf Jahren über Steuerersparnisse wieder zurückholen. Gleichzeitig konnten die Baukosten nicht hoch genug sein, denn nach diesen richtete sich die sogenannte "Kostenmiete", die in einigen Häusern 14 Euro pro Quadratmeter erreichte. Die Differenz zu den niedrigen Sozialmieten zahlte jahrelang die Berliner Landesregierung. Mittlerweile hat der Berliner Senat diese Dauersubvention gestoppt. Damit entfällt aber auch die Sozialbindung. Künftige Eigentümer dürfen ihre Mieten an den fiktiven "Kosten" ausrichten. Allein seit 1990 wurden in Berlin rund 21 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau gesteckt. Die befinden sich heute in den Taschen der Eigentümer und Banken. Seitdem steigen die Mieten. Heute denkt der Senat über einen Neuanfang im sozialen Wohnungsbau nach - auf dem Gelände des Innenstadtflughafens Tempelhof.

Und auch andernorts ist man inzwischen aufgewacht: In Hamburg vereinbarten Senat und Bezirke, jährlich 6.000 Wohnungen zu bauen, davon 2.000 sozial gefördert, Projektvolumen rund 100 Millionen Euro im Jahr. Der grüne Bausenator Joachim Lohse hat in Bremen angekündigt, "den sozialen Wohnungsbau im Land Bremen erheblich auszuweiten". Mehr als 39 Millionen Euro setzt der Senat dafür ein. Bis Ende 2013 will Bremen den Neubau und die Modernisierung von 700 Wohnungen finanzieren. Und auch am Rhein hat man in Köln nach zehn Jahren Abstinenz den Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau beschlossen und stellt 35 Millionen Euro jedes Jahr dafür zur Verfügung. In Stuttgart sollen jedes Jahr hundert solcher Wohnungen gebaut werden.

Bremsen gefordert

Das alles ist aber immer noch zu wenig, meint der Deutsche Mieterbund. Er fordert darüber hinaus, öffentliche Wohnungsbestände sollten von den Kommunen und Ländern nicht weiter verkauft werden. Auch nicht vom Bund. Dabei hat gerade erst im November letzten Jahres Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Ernst gemacht mit der Privatisierung seines größten ostdeutschen Immobilienpakets. Der Verkauf von mehr als 11.000 früherer Treuhand-Wohnungen der TLG Wohnen gelang. Für 471 Millionen Euro ging das gesamte Paket an den börsennotierten Hamburger Immobilienkonzern TAG. Und so wie der Bund haben sich auch verschiedene Länder und Kommunen durch den Verkauf von Wohnungen zu sanieren gehofft. Auf Kosten von Mietern.

Bei Neuverträgen, fordert der Mieterbund zudem, sollten sich die Mieten deshalb weiterhin auch an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren. Eine solche Deckelung gibt es aber schon: Wenn Neuverträge mehr als 20 Prozent über der Vergleichsmiete liegen, gilt das laut Wirtschaftsstrafgesetzbuch als Mietwucher. Gebracht hat das jedoch wenig. Das Gesetz greift nur bei einer angespannten Marktsituation. Um sein Recht einzuklagen, muss der Mieter also nachweisen, dass er keine günstigere Wohnung finden konnte. In einer Stadt wie Berlin ist das quasi unmöglich - so existiert der Paragraf nur auf dem Papier. In der Praxis konnten drastisch höhere Neumieten so nicht verhindert werden.

Mangel an Grundstücken

Deshalb will die Opposition im Bundestag vor allem in diesem Punkt das Mietrecht ändern und eine gesetzliche Begrenzung von Neuvertragsmieten bei Wiedervermietung von Wohnraum einführen. Die SPD begründet dies so: Die hohen Neuvertragsmieten von heute würden die Bestandsmieten von morgen werden. Damit die Deckelung der Neuvertrags- und Staffelmieten auch den gewünschten Erfolg entfaltet, sollten bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete zudem nicht nur die in den letzten vier Jahren erhöhten Bestandsmieten und die in diesem Zeitraum neu abgeschlossenen Mietverträge berücksichtigt werden. Dadurch drohten nämlich auch in bestehenden Mietverhältnissen über kurz oder lang hohe Preissteigerungen. Die Berechnung sollte vielmehr alle Mietverhältnisse erfassen, also auch die unveränderten, stabil gebliebenen Bestandsmieten.

Die Linken wollen dabei noch einen Schritt weiter gehen und Wohnen als Menschenrecht im Grundgesetz festschreiben. Insbesondere fordern sie, rechtzeitig geeignete Schritte gegen die Einflussnahme ausschließlich renditeorientierter Finanzinvestoren auf den hiesigen Wohnungsmarkt zu unternehmen. Bis zum Jahr 2017 soll der Bund zudem jährlich rund 700 Millionen Euro an Zuschüssen für die Wohnungsbauförderung in Deutschland aufwenden und zuderm mit den Ländern Vereinbarungen über jeweils anteilige Mitfinanzierungen abschließen. Ebenso soll nach den Plänen der Linken die Städtebauförderung finanziell aufgestockt werden. Alles in allem wäre das ein ziemlich teures Unterfangen. In Frankfurt am Main und München aber sind die Probleme beim bezahlbaren Wohnraum für Investoren nicht in erster Linie eine Frage des Geldes. In beiden Großstädten fehlt es derzeit schlicht und einfach zu allererst an geeigneten innerstädtischen Grundstücken.