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"Schuld sind die anderen"

NSU-AUSSCHUSS Sächsische Geheimdienstler weisen auf Thüringen, äußern sich aber auch selbstkritisch

25.03.2013
2023-08-30T12:23:56.7200Z
3 Min

Wir hören immer, die anderen sind schuld": Mit einer gewissen Schärfe in der Stimme reagierte Eva Högl auf den Versuch Olaf Vahrenholds, des Vizechefs des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), die Verantwortung für die erfolglose Suche nach dem 1998 abgetauchten und später in Chemnitz und Zwickau zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) mutierten Jenaer Bombenbauer-Trio bei Thüringens Sicherheitsbehörden abzuladen. Doch durch die Kritik der SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, der Pannen bei den Ermittlungen zu der dem NSU angelasteten Mordserie durchleuchten soll, ließ sich bei der Sitzung vergangene Woche der beim Dresdner Geheimdienst seit 2004 für Extremismus zuständige Zeuge nicht beirren.

LfV und Landeskriminalamt in Erfurt seien nun mal für die Fahndung nach der in Jena untergetauchten Gruppe zuständig gewesen, hätten aber, wie man heute wisse, damals wesentliche Erkenntnisse nicht nach Sachsen übermittelt: "Die Thüringer reisten bei uns an, ließen ihre Informationen aber zu Hause." In dieses Horn stieß vor Vahrenhold auch Joachim Tüshaus, der bis 2004 beim Dresdner Geheimdienst das Thema Extremismus bearbeitet hat: Laut dem von Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer erstellten Bericht über den Umgang mit Rechtsextremismus in Thüringen habe Erfurt den Sachsen mehrfach "relevante" Erkenntnisse zu der verschwundenen Zelle vorenthalten, etwa zu denkbaren Kontaktpersonen des Trios. So habe man auch nicht erfahren, klagte Tüshaus, dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach Mitteilungen von V-Leuten von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Geldspenden aus rechtsextremen Kreisen mehr benötigt haben sollen, weil sie "Aktionen" planten und "jobben" würden - Informationen, die eine Verbindung zu Banküberfällen hätten aufzeigen können, die inzwischen ebenfalls dem NSU zugerechnet werden.

Öffentlicher Fahndungsaufruf

Auch dieses Mal konnte der Ausschuss das Rätsel nicht lösen, wieso das Jenaer Trio bis zum Auffliegen des NSU im Herbst 2011 ganze 13 Jahre unentdeckt in Chemnitz und Zwickau leben konnte. Auch ihm, meinte Vahrenhold, sei es "schleierhaft, wie sie das geschafft haben". Die Gruppe habe sich "bürgerlich" getarnt und ein hohes Maß an Disziplin gezeigt. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seien nach ihrem Abtauchen auch nicht mehr in der rechtsextremen Szene aufgetaucht, die man in Sachsen intensiv beobachtet habe. Zum Einwurf der Linken-Sprecherin Petra Pau, Zschäpe habe doch 2008 an einer Demonstration teilgenommen, sagte Vahrenhold, es sei "nicht zu beurteilen, ob diese Geschichte wahr ist".

Untätig war man in Sachsen nicht. Angesichts diverser Hinweise, die Zelle könne sich in Chemnitz aufhalten, wurde ein öffentlicher Fahndungsaufruf gestartet, es gab mehrere Abhöraktionen, 16 Observationen fanden statt, konspirative Wohnungen wurden betrieben, Tüshaus schilderte viele Details. Alles habe indes zu keinen Erkenntnissen über den Verbleib des Trios geführt. Im Übrigen betonte er, für alle Maßnahmen sei Thüringen federführend gewesen, das sächsische LfV habe Erfurt lediglich unterstützt und über keine eigenen Informationen zum Aufenthaltsort der Gruppe verfügt.

Im Schlagabtausch mit den Abgeordneten hört man von den Zeugen indes auch Selbstkritisches. Eine mysteriöse bundesweite Mordserie, ungeklärte Banküberfälle besonders in Sachsen, viele gewaltbereite Rechtsextremisten im eigenen Bundesland, unter die sich eventuell noch drei verschwundene Bombenbauer mischen: Das hätte doch "polizeilichen Jagdeifer" auslösen müssen, wunderte sich der CDU-Parlamentarier Armin Schuster. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland erregte sich über die Denkweise, die Thüringer Behörden seien verantwortlich, weil Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe von dort kamen. Auch Unions-Sprecher Clemens Binninger (CDU) wollte wissen, wieso Thüringen zuständig blieb, "obwohl sich das Geschehen komplett nach Sachsen verlagert hatte".

Kein umfassendes Lagebild

"Vielleicht hätten wir mehr tun können", meinte Vahrenhold zu solchen Vorwürfen gegen seine Behörde. Tüshaus sagte, wegen der "gemischten sächsisch-thüringischen Lage" hätte man das Bundesamt für Verfassungsschutz einschalten sollen. Aufgrund einer kritischen Frage von Jimmy Schulz (FDP) räumte er ein, seinerzeit sei beim LfV die Fähigkeit zur analytischen Aufarbeitung gesammelter Informationen unzureichend gewesen. Aus Sicht Vahrenholds war es damals ein Fehler, kein umfassendes Lagebild erstellt zu haben.

Tüshaus bilanzierte die erfolglose Suche nach dem Trio als "schwere Niederlage der Sicherheitsbehörden", man habe "nicht tief genug gegraben". Der Blick sei verengt gewesen, weil man nur gefragt habe, wo die verschwundene Gruppe verblieben sei, nicht aber, was sie nach dem Untertauchen eigentlich mache: "Dann wären Hinweise anders gewichtet worden, dann hätte man anders denken müssen."