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Eine Blaupause für den Ernstfall

ZYPERN In Europa fehlt noch immer ein Modell für den Umgang mit Krisenstaaten und maroden Banken

22.04.2013
2023-08-30T12:23:58.7200Z
7 Min

Haris Georgiades, seit wenigen Wochen Finanzminister Zyperns, blickte in auf dem Treffen der EU-Finanzminister schon einmal in die Zukunft. "Wir haben eine große Aufgabe vor uns, und darauf werden wir uns konzentrieren", sagte der 41-Jährige. An Schuldzuweisungen, wer denn nun für das chaotische Krisenmanagement im März verantwortlich war, wollte er sich aber nicht beteiligen.

Die EU wird jedoch um einen gründlichen Blick in die Vergangenheit nicht herumkommen. Europa-Abgeordnete quer durch alle Fraktionen haben den Umgang mit Zypern bei einer Debatte am vergangenen Mittwoch in Straßburg heftig kritisiert. Die unkoordinierten Rettungsaktivitäten im März zeigen, wie schlecht die Eurozone auch im vierten Jahr der Krise auf Notfälle vorbereitet ist. Nach wie vor fehlen verbindliche Regeln für den Umgang mit maroden Banken, die ganze Staaten in den Abgrund stürzen können. "Aus dem Fall Zypern lassen sich mehrere Lehren ziehen", hatte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Vortag in Straßburg eingestanden. Ähnlich hatte es am Wochenende zuvor auch beim informellen Treffen der Finanzminister in Dublin geklungen.

Draghi fordert, ganz genau wie EU-Währungskommissar Olli Rehn, eine möglichst schnelle Umsetzung der Bankenunion. Draghi betonte in Straßburg, die einheitliche Europäische Bankenaufsicht, die ab dem kommenden Jahr die 150 größten Banken überwachen soll, müsse so rasch wie möglich verabschiedet werden: "Ein mehr an europäischer Aufsicht kann nur gut tun."

Aus heutiger Perspektive ist es schwer verständlich, wie die zypriotische Bankenaufsicht die beiden größten Banken des Landes ihren Risiko-behafteten Kurs hat durchgehen lassen. "Die zypriotischen Banken haben griechische Staatsanleihen gekauft zu einem Zeitpunkt, als andere Banken schon massiv verkauft haben", kritisierte der konservative französische Abgeordnete Jean-Paul Gauzès in der Debatte. Doch niemand schritt ein, als Laiki und die Bank of Cyprus Risiken häuften. Auch bei der ungezügelten Expansion ließ die Aufsichtsbehörde die beiden Banken gewähren, obwohl der zypriotische Bankensektor dadurch beinah auf das Neunfache (Stand 2010) des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anschwellte. "Nur sehr wenige europäische Länder haben einheimische Banken, die im Verhältnis zur Volkswirtschaft so groß sind", warnte bereits 2011 der Weltbank-Ökonom Constainos Stephanou.

Erwarteter Ernstfall

Sowohl bei der Laiki Bank als auch Bank of Cyprus betrugen die Einlagen mehr als das Doppelte des BIP. In Europa erreicht nur die ING Bank in den Niederlanden eine vergleichbare Relation zur Wirtschaftsleistung des Heimatlandes. "Ihre schiere Größe könnte die Regierung überfordern, wenn sie die beiden Banken unterstützen sollte oder Anleger ausbezahlen sollte", prognostizierte Ökonom Stephanou damals. Genau dieser Fall ist nun eingetreten und durch den ursprünglichen Ansatz, auch Anleger mit weniger als 100.000 Euro beim Bail-In, der Einbeziehung von Sparern, zur Kasse zu bitten ist großer Schaden entstanden. "Das Vertrauen in die Versprechen der EU ist dadurch zerstört worden", kritisierte der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, der Österreicher Hannes Swoboda, in Straßburg. "Sie hätten dieser Attacke auf die Einlagensicherung nicht zustimmen dürfen", sagte Swoboda an die Adresse von Währungskommissar Olli Rehn.

Die Entscheidung, auch Kleinsparer zu belasten, wurde bei einer zweiten Sitzung eine gute Woche später zwar rückgängig gemacht. Aber die Kommunikation und der Verhandlungsstil der Eurogruppe missfällt weithin vielen Europaabgeordneten. "Die Art und Weise, wie wir mit Zypern umgegangen sind, war ein Desaster", sagte der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt. Der Belgier fordert einen Untersuchungsausschuss, wenn die Troika und die Eurogruppe nicht ausreichend über die Vorgänge informieren würden.

Umstrittene Grenze

Bei der Bankenunion soll auf den ersten Schritt der gemeinsamen Bankenaufsicht als zweiter Schritt die gemeinsame Bankenabwicklung folgen. Die Eurozone muss dabei die schwierige Frage beantworten, wie sie künftig mit maroden Banken umgehen wird. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat bereits eine eindeutige Hierarchie erarbeitet, welche Gruppen zu welchem Zeitpunkt für die Sanierung einer Bank gerade stehen müssen: "Zuerst die Aktionäre, dann die Gläubiger und dann die Anleger mit mehr als 100.000 Euro, wenn das notwendig ist." Aus der EZB bekommt er für diese Hackordnung klare Zustimmung signalisiert: "Es ist entscheidend, dass wir bei uns in Europa klare Regeln haben für die Reihenfolge, die Investoren aus der ganzen Welt kennen", sagt etwa das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen.

Sollten sich die Europäer für die Schwelle von 100.000 Euro beim Einlagenschutz entscheiden, dann wäre diese geringer als in den USA, wo Einlagen bis zu 200.000 Dollar, also rund 153.000 Euro, staatlich gesichert sind. Die EZB verweist jedoch darauf, dass ein Einlagenschutz von 100.000 Euro 85 Prozent der europäischen Konten absichern würde. Im Juni will Barnier die Regeln für die Haftungskaskade als Teil seines Vorschlags für die Banken-Abwicklung vorlegen. Das Paket wird auch Pläne für einen gemeinsamen europäischen Abwicklungs-Fonds enthalten.

Doch der Brüsseler Elan, schnell die zweite Säule der Bankenunion zu errichten, hat aus Berlin einen Dämpfer erhalten, seit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Vertragsänderung fordert. Er sieht diese als Voraussetzung für einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus. "Wir werden jedenfalls nicht auf einer zweifelhaften rechtlichen Basis irgendwelche Schritte gehen können", sagte Schäuble in Dublin und bezeichnete die aktuelle Rechtsgrundlage als "dünn". Vergangene Woche erhielt er Unterstützung von der österreichischen Finanzministerin Maria Fekter, die seine juristischen Bedenken als "legitim" bezeichnete.

Viele andere europäische Partner sind verärgert über Schäubles Intervention, die sie als Verzögerungstaktik sehen. Schäubles Einwände überraschen auch, weil die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel im vergangenen Dezember ausdrücklich einen "einheitlichen Abwicklungsmechanismus" gefordert hatten. Damals war von einer Vertragsänderung nicht die Rede gewesen.

Auch in der EU-Kommission hat Schäuble mit seiner Forderung Unmut ausgelöst. "Wir brauchen die Veränderungen schnell, und Vertragsänderungen sind nie schnell", sagt ein hoher Beamter. Selbst eine geringfügige Vertragsänderung, die möglicherweise eine Volksabstimmung in Irland vermeiden würde, könnte Jahre dauern. Die EU-Kommission hatte in ihrer Blaupause für eine Vertiefung der Währungsunion eine Vertragsänderung nur mittelfristig eingeplant, weil sie zunächst alle Reformen umsetzen wollte, die sich ohne eine neue juristische Grundlage durchsetzen ließen. Jede Verzögerung beim Bau der zweiten Säule verschiebt die dritte Säule der Bankenunion, die von der Bundesregierung abgelehnte gemeinsame Einlagensicherung, weiter in die Ferne.

Mehr Zeit

In Dublin haben die europäischen Finanzminister vereinbart, den beiden Programmländern Irland und Portugal sieben Jahre mehr Zeit zur Rückzahlung ihrer Hilfskredite einzuräumen. Vor allem Irland soll damit eine reibungslose Rückkehr an die Finanzmärkte ermöglicht werden. Im Fall von Irland zeigt sich allerdings auch, dass selbst ein auf dem Papier erfolgreiches Programm Nachbesserungen benötigt.

Im Fall von Zypern, das im Mai die erste Tranche aus dem Hilfsprogramm erhalten soll, zeichnet sich nach dem Kollaps des Bankensektors vorerst nicht ab, wie sich die zypriotische Wirtschaft erholen soll. Die EU-Kommission geht in einem noch unveröffentlichten Dokument davon aus, dass die Wirtschaftsleistung des Landes in diesem Jahr um 8,7 Prozent einbrechen wird. Unabhängige Analysten erwarten sogar einen noch größeren Rückgang. Und EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn gibt zu, dass die Prognosen mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet sind.

Erholung bleibt fraglich

Entsprechend optimistisch erscheint die Wende, die die EU-Kommission für das Jahr 2015 voraussagt. Dann soll das BIP schon wieder um 1,1 Prozent zulegen. Wie es zu dieser Erholung kommen soll, bleibt allerdings offen, zumal die Kommission davon ausgeht, dass die "tiefe Umstrukturierung" des Bankensektors "starke Auswirkungen" auf andere Branchen haben werde. Außerdem weist die EU-Kommission in ihrer Analyse darauf hin, dass der Übergang zu einem neuen Wirtschaftsmodell eine Herausforderung bedeute, nicht zuletzt, weil er voraussetzt, dass Arbeitskräfte die Branche wechseln. Ein solcher Wandel der Wirtschaft kann somit Jahre dauern.

Die Hoffnungen liegen daher auf den beiden Sektoren Tourismus und Energie, wie der Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Daniel Cohn-Bendit, in der Debatte am vergangenen Mittwoch hervorhob. Doch bei beiden Branchen gibt es Unwägbarkeiten. Ob nach den jüngsten Wirren massenhaft Touristen ins Land strömen, darf bezweifelt werden. Auch bei den Gasvorkommen vor der Küste Zyperns erwiesen sich erste Schätzungen als optimistisch. Das Unternehmen, das die erste Lizenz zur Exploration erhalten hat, bewirbt sich für keine weiteren Lizenzen mehr, was Beobachter als schlechtes Zeichen sehen. Zudem drängt die Türkei darauf, dass ein Teil der künftigen Gaserlöse auch dem Nordteil der Insel zur Verfügung gestellt werden soll.

Sollten die beiden Sektoren nicht zum erhofften Wachstumsschub führen, wird es allerdings eng, denn andere Wirtschaftszweige mit großem Wachstumspotenzial für die kommenden Jahre sind noch nicht in Sicht. Zypern ist jedoch auf eine Erholung seiner Wirtschaft angewiesen - andernfalls wird es seine Hilfskredite von zehn Milliarden Euro nicht zurückzahlen können.

Zyperns Präsident Nicos Anastasiades hatte die EU-Kommission jüngst um höhere Hilfen aus den Strukturfonds gebeten. Doch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso reagierte unterkühlt auf das Ansinnen. Entscheiden könnten dies nur die Mitgliedstaaten. Und im Moment sieht es nicht danach aus, als ob sie sich zu einem solchen Schritt durchringen würden.