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Auf die Mütze

ENTWICKLUNG Opposition und Koalition liefern sich heftigen Schlagabtausch zur Bilanz Dirk Niebels

29.04.2013
2023-08-30T12:23:58.7200Z
4 Min

Sie kommen einfach nicht recht zusammen, der Minister und die Opposition: Wenn Dirk Niebel (FDP), Chef des Entwicklungsressort, sich auf die Fahnen schreibt, mehr Stringenz und mehr Wirksamkeit in die Politik seines Hauses gebracht zu haben, hält ihm die Opposition vor, Entwicklungszusammenarbeit mit Außenwirtschaftsförderung und sein Ressort mit einer Versorgungsanstalt für FDP-Parteifreunde zu verwechseln. Auch am vergangenen Freitag lieferten sich Koalition und Opposition einen heftigen Schlagabtausch. Anlass der Debatte war das als Unterrichtung vorliegende "Weißbuch" - der "Vierzehnte Bericht zur Entwicklungspolitik" (17/13100), in dem die Bundesregierung eine Bilanz der vergangenen vier Jahre vornimmt (siehe Beitrag unten).

Der Minister sprach zum Auftakt der Debatte von "vier guten Jahren in der Entwicklungspolitik für Deutschland und unsere Partner in der Welt". Diese Koalition hätte einen "enormen Reformstau" abzubauen gehabt, "und das ist uns gelungen", sagte Niebel. Mit der Fusion der ehemaligen Vorfeldorganisationen GTZ, InWEnt und DED zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sei die "größte Strukturreform in 51 Jahren" geglückt, mit der die politische Steuerungsfähigkeit zurückgewonnen werden konnte. An diesem Vorhaben seien drei Vorgängerregierungen gescheitert, betonte Niebel. Er verwies unter anderem auch auf die "Engagement Global" als Anlaufstelle für die Zivilgesellschaft, die Neuausrichtung der Zusammenarbeit mit Schwellenländern mit mehr marktwirtschaftlichen Instrumentarien sowie auf einen vernetzten und ressortübergreifenden Ansatz für den Umgang mit fragilen Staaten.

Evaluierungen

Als wesentliche Neuerung hob Niebel die Einrichtung eines unabhängigen "Evaluierungsinstituts" hervor, das Projekte der Entwicklungszusammenarbeit auf ihre Wirksamkeit prüft: "Wir haben den Mut als Bundesregierung, uns in unserem Handeln überprüfen zu lassen und besser zu werden", sagte Niebel. Zudem sei die Zusammenarbeit mit Wirtschaft "entkrampft" worden.

Sascha Raabe (SPD) nannte Niebel "den mit Abstand schlechtesten Entwicklungsminister, den diese Land je hatte". Deutschland wende heute 0,38 Prozent seines Brutto- nationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auf. Wenn Niebel im Weißbuch sich weiterhin zum Millenniumsziel bekenne, diesen Anteil bis 2015 auf 0,7 Prozent zu erhöhen, dann sei das einfach unglaubwürdig: "Sie tarnen, tricksen, täuschen, und das ist unanständig", sagte Raabe.

Auch mit Wirksamkeit und Transparenz sei es nicht weit her. "Sie machen reine deutsche Außenwirtschaftsförderung, Sie wollen überall deutsche Fähnchen sehen", kritisierte der SPD-Abgeordnete. In einem Punkt gestand Raabe dem Minister durchschlagenden Erfolg zu: Niebel habe es mit "Rigorosität" geschafft, Parteifreunde in leitenden Positionen des Ministeriums unterzubringen. Niebels Bilanz jedoch seien nicht "Spuren im Sand", sondern "eine alberne Militärmütze und ein fliegender Teppich, und das werden wir nicht vermissen", sagte Raabe.

Konfliktprävention

Sibylle Pfeiffer (CDU) warf Raabe daraufhin Polemik und Ideenlosigkeit vor. "Wir sind einen richtig guten Weg gegangen" - von einer teils unkoordinierten Entwicklungspolitik ohne Konditionen zu mehr Kooperation und mehr Absprachen mit den Partnerländern. "Entwicklungspolitik ist keine Spielwiese für Weltverbesserung, sondern effektive Hilfe zur Selbsthilfe", sagte Pfeiffer. Sie sei auch keine Selbstbeschäftigung von Nichtregierungsorganisationen, sondern diene wichtigen globale Aufgaben wie der Konfliktprävention, der Verhinderung von Extremismus und Terror. Auch wenn Deutschland das 0,7- Prozent-Ziel bisher nicht erreicht habe, so hätten sich die jährlichen Mittel seit Amtsantritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um zwei Milliarden Euro erhöht. "Wir haben diese Gelder zielgerichtet, sorgfältig und nachhaltig eingesetzt", sagte Peiffer.

Heike Hänsel (Die Linke) sah das anders: "Sie stehen für eine Politik, die Entwicklung verhindert", sagte sie an die Adresse des Ministers. Niebel stehe für deutsche Wirtschaftsinteressen und für Freihandelsabkommen, die die Existenzgrundlage eben jener Menschen zerstöre, die dann mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden müssen. "Wir brauchen aber eine Bekämpfung der Ursachen von Armut", sagte Hänsel. So gebe es in Niebels Ressort eigens eine "Rohstoff-Sonderbeauftragte": "Warum haben wir keinen Sonderbeauftragten, der die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards deutscher Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern kontrolliert?", fragte Hänsel.

Ute Koczy (Bündnis 90/Die Grünen) nannte das Weißbuch einen "Augenöffner": "Selten klaffen Selbstdarstellung und Wirklichkeit so weit auseinander." Niebel habe den Auftrag eines Entwicklungsministers falsch verstanden. Er habe es vor allem versäumt, sich zum Fürsprecher einer Politik zu machen, die auf die "katastrophalen Folgen" eines ungebrochenen Wachstumsglaubens hinweist. "Das Experiment Generalsekretär wird Entwicklungsminister ist gescheitert", konstatierte Koczy.

Niebels "Menschenrechts-TÜV" tauche vor allem bei Projekten in kleineren Ländern auf, während die Bundesregierung keine Probleme damit hätte, Panzerexporte nach Saudi-Arabien zu genehmigen und Rohstoffpartnerschaften mit Ländern wie Kasachstan einzugehen. Selbst die Strukturreform sei in Wahrheit nur die "kleine Lösung", sagte Koczy. Die neugeschaffene GIZ löse nicht "das Kernproblem", dass Technische und Finanzielle Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor getrennt seien.

Werte und Interessen

Christiane Ratjen-Damerau (FDP) nannte es "beschämend", wie sich die Opposition am Thema abarbeite. Die FDP stehe für eine "effiziente Entwicklungspolitik, die werte- und interessengeleitet ist". Mit der Neuausrichtung habe die Entwicklungspolitik an Effizienz gewonnen, ihre Wirksamkeit sei gesteigert und ihre Sichtbarkeit erhöht worden.Dass Niebel mit diesem Kurs nicht falsch liege, zeige sich unter anderem auch darin, dass europäische und internationale Partner dem deutschen Beispiel gefolgt seien - etwa bei strengeren Maßstäben und Konditionen bei der Vergabe von Budgethilfen. Der Einwand der Opposition, dass in der Entwicklungszusammenarbeit die Wirtschaft nicht alles sei, sei richtig, sagte Ratjen-Damerau: "Aber ohne Entwicklung der Wirtschaft ist alles nichts."