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Blockierte Spurensuche

NSU-AUSSCHUSS Harsche Kritik am Verhalten der Polizei nach dem Kölner Bombenanschlag und bei der Berliner Spitzelaffäre

29.04.2013
2023-08-30T12:23:58.7200Z
4 Min

Es kommt selten vor, aber manchmal wird die Polizei vom Untersuchungsausschuss, der Fehlgriffe und Pannen bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, entlastet. Beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße vom Juni 2004 mit 22 Verletzten, der ebenfalls dem NSU zugerechnet wird, waren zwei Polizisten schon wenige Minuten nach der Detonation am Tatort. Deshalb keimte der Verdacht, sie könnten vorab einen Hinweis auf dieses Attentat erhalten haben. Doch für die Abgeordneten stand vergangene Woche nach der Befragung der zwei Beamten fest, dass sie sich im Rahmen eines Routine-Streifeneinsatzes im Stadtteil Mülheim zufällig in der Nähe der Keupstraße aufhielten. "Alle Spekulationen sind hinfällig", konstatierte SPD-Obfrau Eva Högl.

Nicht sofort befragt

Ansonsten aber ließ das Gremium nicht viele gute Haare am Verhalten der Polizei nach dem Kölner Anschlag wie auch bei der Spitzelaffäre des Berliner Landeskriminalamts (LKA). Die Parlamentarier legten offen, dass vielversprechende Spuren versandet sind, die in die Nähe des 1998 untergetauchten und später zum NSU mutierten Jenaer Trios hätten führen können. In Berlin leitete das LKA Hinweise eines V-Mannes zum Aufenthaltsort der Zelle nicht an die Thüringer Polizei weiter. In Köln wurden die Streifenpolizisten nicht nach ihren Eindrücken am Tatort befragt, zudem wurden die Möglichkeiten zur Tätersuche in der Sprengstoffdatei des Bundeskriminalamts (BKA) nicht umfassend genutzt. "Fast schon skandalös", urteilte Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU), der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) kritisierte "massive Fehler".

Peter B. und Stefan V. waren die ersten Beamten am Mülheimer Tatort. In der benachbarten Schanzenstraße, wo sie ihren Streifendienst versahen, dürften ihnen die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begegnet sein. Ein Videobild zeigt wahrscheinlich einen der beiden, wie er auf dem Rad davonfährt. Nach Überzeugung der Parlamentarier hätten B. und V. Hinweise für die Ermittlungen beisteuern können - aber sie wurden erst jüngst im März befragt, nachdem sie vom Ausschuss als Zeugen geladen wurden. Der konsternierten Runde erzählte V., dass er die Videoaufnahme jetzt zum ersten Mal sehe. Die "bittere" Erkenntnis, dass die Streifenpolizisten 2004 nicht sofort vernommen wurden, markiert für Binninger einen "Tiefpunkt" bei der Aufklärungsarbeit des Gremiums.

"Systemfehler auf der Spur"

Nicht minder Erstaunen löste der Umgang mit der Sprengstoffdatei aus. Laut Dirk Spliethoff vom Düsseldorfer LKA ließ man seinerzeit in der BKA-Datei einen Abgleich mit den bei anderen Anschlägen verwandten Bombenmaterialien vornehmen. Die LKA-Sprengstoffexperten seien nur für die Analyse von Bombenmaterial zuständig. Perplex schauten manche Abgeordnete, als Spliethoff einräumte, erst jetzt seit seiner Befragung im Bundestag zu wissen, dass man in der BKA- Datei auch mit Schlagwörtern wie "männlich", "Koffer" oder "rechtsradikal" auf Tätersuche gehen könne. Auf letzteren Begriff hätte man aus Sicht Binningers kommen können, weil alle Verletzten Ausländer gewesen seien. Auf diese Weise wäre man in der Datei vermutlich auf das Jenaer Trio gestoßen: 1998 war in einer von Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe gemieteten Garage Bombenstoff gefunden worden.

Linke-Obfrau Petra Pau sagte: "Wir sind einem Systemfehler auf der Spur". Högl resümierte: "Man hätte mehr erfahren können." Armin Schuster (CDU) wollte Spliethoffs Team mit seinem begrenzten Auftrag keinen Vorwurf machen, kritisierte aber die Kölner Ermittler, weil sie nicht auf naheliegende Suchbegriffe verfallen seien. Für Serkan Tören (FDP) ist es ein "klarer Fehler", dass über die BKA-Datei keine Recherchen im Ausland möglich seien. Hans-Christian Ströbele (Grüne) warf ein, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe nach dem Kölner Attentat einen Sprengstoffvergleich mit einem ähnlichen Anschlag in England vorgenommen. Auch davon hörte Spliethoff zum ersten Mal.

Nicht gründlich geprüft

"Abenteuerliche Geschichte", "Inkompetenz": So kommentierten die Parlamentarier die Rolle des Berliner LKA in der NSU-Affäre. 2002 lieferte der Spitzel Thomas S. eine brisante Information: Jan W., eine zentrale Figur der rechtsextremen Musikszene in Sachsen, unterhalte Kontakt zu drei abgetauchten und per Haftbefehl gesuchten Thüringern. Der V-Mann "VP 562" nannte keine Namen, doch war das Jenaer Trio gemeint.

"Das ist im großen Loch des LKA versandet", monierte Binninger. Auch das für die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zuständiger Erfurter Landeskriminalamt kritisiert, über den Hinweis auf Jan W. nicht unterrichtet worden zu sein. Peter-Michael Haeberer, Ex-Chef des Berliner LKA, räumte vor dem Ausschuss ein, dass in den Akten nichts über eine Übermittlung der Informationen von "VP 562" zu finden sei. Indes wollte der Zeuge nicht ausschließen, dass diese vielleicht mündlich weitergegeben worden seien. Er gab auch zu, die Angaben von S. seien im LKA nicht gründlich geprüft worden. Letztlich sei all dies jedoch nicht von wesentlicher Bedeutung, da Jan W. von Thüringen ohnehin "sehr umfangreich" überwacht worden sei. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sieht das anders: "Berlin blieb auf relevanten Informationen sitzen."

Ex-LKA-Chef Haeberer will mit der im Jahr 2000 entgegen rechtlicher Bedenken des Dresdner LKA erfolgten Anwerbung des Sachsen S. direkt nichts zu tun gehabt haben, davon habe er erst später im Zuge von Dienstreiseabrechnungen erfahren. Gegen S. wurde damals im Zuge eines Verfahrens gegen die rechtsextreme Musikszene ermittelt - und deswegen hätte er nach Auffassung der Abgeordneten gar kein Spitzel werden dürfen.