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Jahrhundertflut reloaded

HOCHWASSER Aus der Katastrophe 2002 wurde gelernt, aber es gibt Verbesserungspotenzial. Mehr Schutz durch Überflutungsflächen

01.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
6 Min

Die Bilder glichen sich gespenstisch. Wie schon 2002 traten Anfang Juni 2013 zahlreiche Flüsse im Osten und Süden Deutschlands über die Ufer. Vielerorts erreichte das Hochwasser an Elbe, Donau und mehreren Nebenflüssen sogar noch höhere Pegelstände. In Passau wurde eine Pegelmarke aus dem 16. Jahrhundert übertroffen. Deiche brachen; manche Landstriche ähnelten plötzlich Seenlandschaften, etwa bei Deggendorf in Bayern. Mehr als 50.000 Anwohner waren von einer Evakuierung betroffen. Mindestens sieben Menschen starben in Deutschland; 24 Todesopfer waren es, wenn die betroffenen Nachbarländer hinzugezählt werden. Versicherer schätzen die Gesamtschäden in Deutschland vorläufig auf zwölf Milliarden Euro.

Verursacht wurde das Hochwasser durch eine seltene Kombination meteorologischer Extreme. Vom 30. Mai bis zum 2. Juni fielen am Alpenrand lokal bis zu 400 Liter Regen pro Quadratmeter, in Sachsen waren es bis zu 220 Liter. Mit so ungewöhnlich großen Mengen muss man im Durchschnitt nur einmal im Jahrhundert rechnen. Die damals herrschende Wetterlage - ein Tief über Mitteleuropa, das tagelang ortsfest blieb und feuchtwarme Luft aus Südosten herantransportierte - ist dafür bekannt, dass sie gravierende Hochwasser hervorruft.

Dem Deutschen Wetterdienst zufolge gab es zwei weitere Ursachen für die Höhe der Überschwemmungen. Nach dem bundesweit zweitnassesten Mai seit Messbeginn 1881 waren die Böden vor allem in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bayern gesättigt. Als der große Regen kam, konnte das Wasser nicht mehr einsickern, sondern nur noch oberflächlich abfließen. Schließlich kam hinzu, dass in den Höhenlagen der Alpen Ende Mai noch ungewöhnlich viel Schnee lag. Die Schneeschmelze ließ die Flut um so mehr anschwellen.

Verbesserungspotenzial

In der Öffentlichkeit entstand anschließend teilweise der Eindruck, man habe aus der Katastrophe von 2002 nicht genug über wirksame Hochwasservorsorge gelernt. Das ist so nicht richtig, aber es gibt gewiss Potenzial zur weiteren Verbesserung. Laut dem "Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology" in Karlsruhe und Potsdam sind gerade die Gemeinden an Elbe und Mulde noch relativ verwundbar durch Hochwasser. Es ist also nur konsequent, dass zum Beispiel Sachsen von 2002 bis 2012 ungefähr 530 Millionen Euro für technischen Hochwasserschutz ausgegeben hat. Bayern investierte seit 2001 den dreifachen Betrag und rüstete etwa einen Stausee zum Schutze Münchens nach. In Sachsen wurden viele Deiche aufgestockt oder repariert - Maßnahmen, die nicht vergebens waren. Im Großraum Dresden zum Beispiel, aber auch andernorts, sind die Schäden geringer ausgefallen. "Dafür sind stromabwärts Schwachstellen entstanden", sagt der Umweltökonom Professor Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Er spricht ein Grundproblem des Hochwasserschutzes an: Werden Deiche am Oberlauf erhöht und so Überflutungen verhindert, setzt der Fluss dafür Gemeinden stromabwärts unter Wasser, sofern sie nicht im gleichen Maße ihre Deiche aufgestockt haben.

Exemplarisch ist der Fall von Grimma und Eilenburg an der Mulde: In Grimma ist eine Hochwasserschutzwand geplant, doch aus verschiedenen Gründen steht sie noch nicht. Das stromabwärts gelegene Eilenburg entging dank solch einer Wand den Fluten. Schwarze vermutet, dass der Schaden der einen Stadt das Glück der anderen war: "Hätte man die Schutzwand in Grimma rechtzeitig fertiggestellt, dann wäre das Wasser in Eilenburg vielleicht über die dortige Wand gestiegen", sagt er. Es sei eine Sache von Zentimetern gewesen.

Da die Aufstockung von Deichen die Flut nur flussabwärts verlagert, fordern viele Experten jetzt erneut, frühere Überschwemmungsflächen der Flüsse zu renaturieren, um dem Wasser mehr Raum zu geben, wie zum Beispiel bei Lenzen in der Elbtalaue geschehen. Die Renaturierung wird sowohl mit dem Umweltschutz als auch mit dem Hochwasserschutz begründet. In Bayern zeichnet sich ab, dass diese Maßnahme künftig stärker in neue Konzepte einbezogen wird.

Im Land Sachsen war als Reaktion auf die Flut von 2002 der Rückbau von mehreren Deichen vorgesehen. Nur wenig davon wurde allerdings umgesetzt - was jetzt so mancher stromabwärts beklagt. Doch es gibt viel Widerstand gegen den Deichrückbau. "Die ehemaligen Überschwemmungsflächen von Flüssen werden oft schon lange landwirtschaftlich genutzt", sagt der Ingenieurshydrologe Professor Andreas Schumann von der Ruhr-Universität Bochum. Es handle sich um beste Ackerböden. Kein Wunder also, dass sich die betroffenen Landwirte heftig gegen die Umwidmung ihrer Flächen und die Rückverlegung von Deichen wehren. Obendrein kann das Verfahren der Rückdeichung in Deutschland aus juristischen und politischen Gründen zehn bis 20 Jahre dauern.

Bei extremen Hochwassern ist die Renaturierung allerdings gar nicht so effektiv. Eine Verbreiterung der Auengebiete könne die Pegelstände nur leicht senken, warnt Schumann. Vor Ankunft des Scheitels der Hochwasserwelle seien die Auen oft schon vollgelaufen. "Um den Scheitel zu kappen, sind steuerbare Polder viel zweckmäßiger", so Schumann. Ein Polder ist ein von Deichen umrahmtes Überflutungsgebiet. Die Öffnung der Einläufe wirke wie ein kontrollierter Deichbruch, sagt der Forscher. Für den gleichen flutmindernden Effekt im Scheitelbereich eines Hochwassers müsste man die Auengebiete um ein Vielfaches der steuerbaren Polderflächen vergrößern. Allerdings sind Flutpolder teuer, oft regt sich auch dagegen lokaler Widerstand, etwa weil der Grundwasserstand ansteigen kann, und der ökologische Wert ist zweifelhaft.

Künftig sollen Polder am Oberlauf der Mulde die Hochwasser in Grimma senken. An der Elbe sind welche bei Aussig, Dautzschen und Dommitzsch geplant. Die einzigen schon bestehenden Flutpolder des Flusses wurden Mitte des 20. Jahrhunderts an der Havelmündung angelegt.

Private Vorsorge

Ein positives Urteil über die Polder fällt auch die Geoökologin Professor Annegret Thieken von der Universität Potsdam, die den wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge leitet. Thiekens Augenmerk gilt aber weniger dem technischen Hochwasserschutz als der privaten Hochwasservorsorge. Gerade jetzt, wo der Wiederaufbau in den betroffenen Gemeinden beginne, sei der richtige Zeitpunkt, um gefährdete Gebäude gegen Hochwasser zu wappnen. Das könne zum Beispiel bedeuten, wasserresistente Baumaterialien zu verwenden, auf hochwertige Nutzungen in gefährdeten Stockwerken zu verzichten oder Öltanks zu sichern. "Private Vorsorge kann die Schäden um die Hälfte verringern", sagt Thieken. Sie empfiehlt eine bessere, möglichst kostenlose Beratung für Privatleute. Es gebe schon erste Ansätze: Das Hochwasserkompetenzcentrum in Köln entwickle zurzeit einen "Hochwasserpass" für Gebäude, der ab dem Herbst 2013 eingeführt werde und ähnlich dem Energiepass Möglichkeiten für Verbesserungen aufzeige.

Laut Thieken machen die Anlieger der Elbe derzeit eine Entwicklung mit, die einige Jahre zuvor auch am Rhein zu beobachten war. Dort gab es in den 1990er Jahren mehrere starke Hochwasser, die zum länderübergreifend koordinierten Neubau von Poldern und einem Plus an privater Vorsorge geführt haben. Ähnliches ist auch an der Elbe angelaufen. "Viele Hausbesitzer haben sich schon nach 2002 über die günstigsten Baumaßnahmen informiert", sagt Thieken aufgrund eigener Befragungen. Durch die wiederholten Überflutungen hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass ein hundertprozentiger Schutz vor Hochwasser nicht möglich ist. Wer nicht wegziehen will, stellt sich darauf ein.

Mit Sicherheit besser geworden ist seit 2002 die Information über die Hochwasserlage. Sie war damals oft noch lückenhaft und zersplittert. Die Verbesserung ist nicht bloß sozialen Netzwerken wie Twitter zu verdanken, in dem nützliche lokale Informationen weitergegeben werden. Die Pegelwerte der Bundesländer sind nun über ein zentrales Internetportal abrufbar. Durch die Zusammenarbeit mit Tschechien wurden die Vorhersagen für die Elbe verlässlicher. Zudem wird das Flutmanagement besser koordiniert: Am Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt es ein gemeinsames Lagezentrum, und regelmäßig üben die Länder gemeinsam das Krisenmanagement. Schwierige Situationen wie der Deichbruch bei Fischbeck an der Elbe zeigen aber laut Thieken, dass die länderübergreifende Zusammenarbeit bei Katastrophenschutz und Hochwasservorsorge weiter verbessert werden muss.

Versicherungspflicht

Manche Vorschläge zur Optimierung des Hochwasserschutzes stehen noch im Raum. Reimund Schwarze und drei seiner Leipziger Institutskollegen haben im Juni Empfehlungen herausgegeben. Technischer Hochwasserschutz und private Vorsorge seien nicht alles. "Wir brauchen systematische Kompensationslösungen", meint Schwarze. Er beklagt eine Gerechtigkeitslücke beim Hochwasserschutz. In Wahljahren seien die Entschädigungsfonds immer gut gefüllt, in anderen Jahren weniger. Gemeinsam mit seinen Kollegen regt Schwarze an, eine vorsorgliche Versicherungspflicht einzuführen, um via Umlage die Kosten für Einzelne in Grenzen zu halten. Ökonomische Anreize für die Vorsorge könnten dabei erhalten bleiben.

Die Versicherungsprämien sind in letzter Zeit gestiegen - auch weil Versicherer im Zuge der globalen Erwärmung mit häufigeren und stärkeren Hochwassern rechnen. Bisher sind die Anzeichen etwas unklar. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat zwischen 1951 und 2000 keine eindeutige Zunahme extremer Regen- oder Schneefälle erkennen können. Im Winter gibt es aber inzwischen mehr Tage mit über 30 Litern Niederschlag pro Quadratmeter.

Die Prognosen sind noch unsicher. In Berichten des Uno-Klimarats heißt es, die Intensität heftiger Regengüsse werde wachsen, nicht unbedingt die Häufigkeit. Der DWD nimmt aber aufgrund eigener Studien an, dass die Zahl feuchter Tiefdruckgebiete über Mitteleuropa, die zu Überschwemmungen wie in den Jahren 2002 und 2013 führen, bis 2100 um ein Fünftel zunehmen könnte. Geht es nach den Fachleuten, sollte man beim Hochwasserschutz nicht innehalten.