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Ping-Pong zwischen Karlsruhe und Berlin

WAHLRECHT Erst nach langem Hin und Her einigte sich eine breite Mehrheit im Bundestag auf eine Neuregelung

15.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
3 Min

Sie hat die Abgeordneten länger als nur die zurückliegende Legislaturperiode beschäftigt, und nicht wenige rechnen damit, dass sich auch der nächste, der 18. Bundestag mit dem Thema befassen muss - mit der im Juli 2008 vom Bundesverfassungsgericht geforderten Reform des Wahlrechts. Die Karlsruher Richter hatten die Regelungen des Bundeswahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt, die das "negative Stimmgewicht" ermöglichen, bei dem Stimmengewinne einer Partei dieser weniger Mandate bescheren. Mit diesem paradoxen Effekt war im Zusammenhang mit Überhangmandaten zu rechnen, die einer Partei zufallen, wenn sie mehr Direktmandate erhält als ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Den Gesetzgeber verpflichte das oberste deutsche Gericht damals zu einer Neuregelung "spätestens bis zum 30. Juni 2011".

Wahl nach altem Recht

Diese Latte wurde vom Bundestag gerissen. Ein Jahr nach dem Richterspruch lehnte das Parlament einen Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion ab, wonach die Parteien ihre jeweiligen Überhangmandate bundesweit verrechnen sollten. So wurde der 17. Bundestag im Herbst 2009 nach dem alten Recht gewählt. Im Frühjahr 2011 legten SPD, Grüne und Linksfraktion dann jeweils eigene Reformvorschläge auf den Tisch. Dabei schlugen die Sozialdemokraten vor, Überhang- mit Ausgleichsmandaten zu kompensieren, während Die Linke Elemente des Grünen- und des SPD-Modells kombinierte.

Über einen schwarz-gelben Gesetzentwurf beriet der Bundestag erstmals am 30. Juni 2011. Danach sollte die Verbindung von Landeslisten abgeschafft und so das Auftreten des negativen Stimmgewichts "erheblich reduziert" werden. Als diese Vorlage schließlich Ende September 2011 gegen die Stimmen der Opposition vom Parlament in modifizierter Form verabschiedet wurde, war nicht nur die von Karlsruhe gesetzte Frist um drei Monate überzogen worden, sondern erneut das Bundesverfassungsgericht gefragt, vor dem unter anderem SPD- und Grünen-Abgeordnete gegen die Neuregelung klagten. Gut vier Jahre nach dem ersten Urteil erklärten die Richter die von der Koalition durchgesetzte Reform am 25. Juli 2012 wiederum für verfassungswidrig. Zugleich beschränkten sie die zulässige Zahl der Überhangmandate ohne Ausgleich auf etwa 15.

Relativ schnell, nämlich rund drei Monate nach dem neuerlichen Wahlrechtsurteil, verständigten sich die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP mit den Sozialdemokraten und den Grünen schließlich auf eine gemeinsame Reformvorlage (17/11819, 17/12417). Danach wird zur Vermeidung des negativen Stimmgewichts die mit der Wahlrechtsreform von 2011 eingeführte länderweise Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien in modifizierter Form als erste Stufe der Sitzverteilung beibehalten. Zum Ausgleich von Überhangmandaten wird "in einer zweiten Stufe der Sitzverteilung die Gesamtzahl der Sitze so weit erhöht, bis bei anschließender bundesweiter Oberverteilung an die Parteien und Unterverteilung auf die Landeslisten alle Wahlkreismandate auf Zweitstimmenmandate der Partei angerechnet werden können".

Die Linksfraktion lehnte den Kompromiss wegen der damit möglichen Vergrößerung des Parlaments durch Ausgleichsmandate ab. Nach dem neuen, im Februar beschlossenen Wahlrecht hätte es bei der Bundestagswahl 2009 nicht 622 Sitze (davon 24 Überhangmandate) gegeben, sondern 671, (davon 26 Überhang- und 47 Ausgleichsmandate). In einer Sachverständigen-Anhörung war gar die Rede von künftig möglichen 800 oder 900 Sitzen. Um den Bundestag nicht zu sehr aufzublähen, solle das Parlament die Zahl der Wahlkreise reduzieren, lautete eine Experten-Empfehlung an den Gesetzgeber. Das wäre dann eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.