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Fehlender Masterplan

Familien Ab August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für ihre ein- bis dreijährigen Kinder. Die Debatten über das umstrittene …

15.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
4 Min

Es klingt eigentlich ganz einfach: Familienpolitik, so erklärt die Bundesregierung, gebe Impulse, "damit das Leben mit Kindern, die Beziehungen zwischen den Generationen und die gleiche Teilhabechance aller an Familie, Erwerbsarbeit und Gesellschaft selbstverständlich wird". Doch bei der Überlegung, wie dies konkret gelingen kann, wird es kompliziert. So unterschiedlich die Lebensformen heute sind, so verschieden sind auch die Antworten der Parteien auf diese Frage. Dies wurde in der laufenden Wahlperiode überdeutlich - und die Tatsache, wie wichtig die familienpolitischen Themen im Bundestagswahlkampf werden, spricht dafür, dass man sich auch an ihrem Ende nicht auf eine allgemeingültige Antwort einigen konnte.

Noch auf den letzten Metern gibt es Zoff: Gerade erst hat Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eine vielbeachtete Studie zur Familienpolitik vorgestellt. Vier Jahre lang haben namhafte Forschungsinstitute die familienpolitischen Leistungen des Landes untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, die etwa 150 Einzelleistungen mit einem Gesamtvolumen von rund 200 Milliarden Euro seien zum Teil widersprüchlich und würden einander gelegentlich aufheben.

Bund in Spendierlaune

Das Urteil überrascht nicht wirklich. Ein exemplarisches Abbild der Zwiespältigkeit waren in dieser Wahlperiode die unzähligen Debatten über das Betreuungsgeld. Ab dem 1. August dieses Jahres wird das an Eltern gezahlt, die ihre unter dreijährigen Kinder nicht in einer staatlich geförderten Krippe oder in der Tagespflege betreuen lassen. Gleichzeitig tritt ein Rechtsanspruch in Kraft, der allen Kindern ab dem 1. Geburtstag den Platz in einer Krippe garantiert. Um dieses sportliche Ziel zu erreichen, schoss der Bund im vergangenen Jahr noch zusätzlich 580,5 Millionen Euro für den Kita-Ausbau zu.

Viele fragten sich deshalb, wie es denn sein könne, dass der Staat einerseits in Betreuung investiert und andererseits diejenigen belohnt, die sein Angebot gar nicht annehmen wollen. Das von der Opposition als "Herdprämie" geschmähte und endgültig im Dezember 2012 verabschiedete Betreuungsgeld war ein Herzensanliegen der CSU, viele Abgeordnete von CDU und FDP stimmten der Leistung nur zähneknirschend zu. Auf Wunsch der Liberalen wurde schließlich beschlossen, dass Eltern das Geld auch als Investition in ihre Altersvorsorge oder für das so genannte Bildungssparen verwenden können und dafür einen Bonus erhalten. Inzwischen lobt die Koalition das Betreuungsgeld als Ausdruck der Wahlfreiheit, die man den Familien offeriere. SPD, Grüne und Linke hingegen haben angekündigt, die Leistung in der nächsten Legislatur umgehend abschaffen zu wollen.

Die Forscher kamen in ihrer Evaluation zu dem Schluss, der Staat investiere noch immer stärker in Strukturen, die Frauen in geringfügiger Beschäftigung und Abhängigkeit von ihren Partnern hielten. Zwar fördere der Ausbau der Betreuungsplätze die Berufstätigkeit von Müttern, das Betreuungsgeld und eine - inzwischen von der Union angekündigte - Erhöhung des Kindergeldes dagegen steuere dem entgegen. Nichtsdestotrotz sieht Ministerin Schröder in dem Bericht eine Bestätigung für ihre Politik: Mit der "Vielfalt der monetären Leistungen" sei "die deutsche Familienpolitik auf dem richtigen Weg" und werde der Vielfalt der Lebensweisen gerecht.

"Diktat der Ökonomie"

Immer wieder wurde in den unzähligen Debatten und Aktuellen Stunden der vergangenen vier Jahre deutlich: Die traditionellen Rollenbilder verblassen. Das vor allem in Westdeutschland jahrzehntelang gelebte Modell, in dem sich Mütter mindestens drei Jahre lang in Vollzeit um den Nachwuchs kümmern, wird von immer weniger Familien angestrebt - sei es aus ökonomischen Erwägungen heraus oder dem Wunsch, dass Mütter und Väter sich Erwerbs- und Erziehungsleistung teilen. Als Unterwerfung der Familien unter das Diktat der Ökonomie bewerten viele Konservative diesen gesellschaftlichen Wandel, die Opposition hält das traditionelle Rollenmodell für überkommen und wirbt mit den vermeintlich unverzichtbaren Bildungschancen, die die frühkindliche Betreuung biete.

Privatsache Geburtenrate

Kann der Staat vorgeben, wie seine Bürger zu leben haben? Und kann er sie durch die "richtige" Weichenstellung dazu bringen, die demografisch "richtigen" Lebenswege einzuschlagen? Familienministerin Schröder hat sich gerade erst von dem Verdikt verabschiedet, es sei auch Ziel von Familienpolitik, die Geburtenrate zu steigern. Hatten ihre Amtsvorgängerinnen Schmidt und von der Leyen noch angekündigt, "den drohenden demographischen Bremseffekten auf Wachstum und Wohlstand entgegen zu treten", sagt Schröder heute, sie könne und wolle die Geburtenrate nicht steigern. Gesetzlich vorgeben will die Koalition auch nicht den Anteil von Frauen in Führungspositionen: Entsprechende Vorstöße des Bundesrates und von SPD und Grünen scheiterten im vergangenen Jahr.

Bei allem Streit: Mindestens zwei Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode fanden einhellig das Lob von Experten. Das 2011 verabschiedete Kinderschutzgesetz will Kinder besser vor Vernachlässigung und Missbrauch schützen, indem es auf Prävention setzt. Und zum Erfolgsmodell wurde ganz unerwartet der ebenfalls 2011 eingeführte Bundesfreiwilligendienst. Dessen rund 35.000 Plätze waren innerhalb kürzester Zeit besetzt.