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Immer wieder zurück auf Los

ÄGYPTEN Ein frei gewähltes Parlament ermöglicht noch keine Demokratie - insbesondere dann nicht, wenn eine Mehrheit Minderheitenrechte ignoriert

05.08.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
4 Min

500 Meter vom Tahrir-Platz in Kairo entfernt, wo die Ägypter das Regime von Husni Mubarak zu Fall gebracht haben, steht das ägyptische Parlament. Doch in dem Gebäude werden derzeit keine Gesetze beschlossen - im Regierungsviertel stehen jetzt Panzer. Zweieinhalb Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings hat das Militär die Zügel im Land übernommen. Das Parlament: gerichtlich aufgelöst. Der gewählte Präsident: entmachtet und inhaftiert. Es ist das Ende des ersten Demokratieversuchs am Nil.

Angefangen hat alles vielversprechend. Im Februar 2011 entmachteten die Ägypter ihren Präsidenten Mubarak, der 30 Jahre lang mit Polizeigewalt im Nil-Land herrschte, und für den das Parlament lediglich Staffage war.

Mehrheit für Islamisten

Bei den ersten freien Parlamentswahlen im Spätherbst 2011 bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Die Menschen wollten mitbestimmen, wer einen der 498 Sitze bekommt, zu denen zehn weitere Mandate kommen, die vom Staatsoberhaupt vergeben werden. Deutliche Sieger waren die Islamisten, die Muslimbruderschaft und die Salafisten, deren Parteien zusammen auf etwa 70 Prozent der Stimmen kamen. Im Sommer 2012 wurde der Kandidat der den Muslimbrüdern nahestehenden Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, Mohammed Mursi, der erste frei gewählte Präsident des Landes. Er versprach, "Präsident aller Ägypter" zu sein.

Die Opposition hatte im Parlament kaum Einfluss. Nach und nach legten liberale, linke und christliche Abgeordnete ihre Mandate nieder. Frauen waren ohnehin kaum vertreten. Die Allmacht der Islamisten währte nicht lange, denn das oberste Verfassungsgericht erklärte die Volksversammlung für illegitim und ordnete die Auflösung an. Grund war ein formaler Fehler: Bei der Wahl war die Aufteilung in unabhängige Kandidaten und Listenkandidaten von den Parteien nicht eingehalten worden. Die zweite Kammer, der Schura-Rat, übernahm später die Aufgaben der Legislative. Doch auch dieses Gremium wurde ein Jahr später gerichtlich für ungültig erklärt - aus den gleichen Gründen. Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei kommentierte: "Zurück auf Los." Der einzige Ausweg aus der Krise sei ein gesellschaftlicher Konsens.

Die hohen Erwartungen der Ägypter hatte das Parlament ohnehin nicht erfüllen können: Das Land steckte noch immer in einer tiefen Wirtschaftskrise, das Benzin wurde knapp, es gab täglich Stromausfälle, die Armut nahm zu. Einige Parlamentarier waren derweil hauptsächlich mit obskuren Auftritten aufgefallen. So gab es schon bei der ersten Sitzung des Parlaments Tumulte, als Abgeordnete den Wortlaut ihres Eides mit Versen aus dem Koran ergänzten. Ein Volksvertreter rief mitten in einer Debatte lautstark zum Gebet auf. Und ein salafistischer Abgeordneter kam in die Schlagzeilen, weil er sich die Nase chirurgisch verschönern ließ.

An seiner ersten und wahrscheinlich vordringlichsten Aufgabe aber scheiterte das Parlament: die Bildung eines überparteilichen Gremiums, das die neue Verfassung entwerfen sollte. Denn nach dem Sturz Mubaraks musste geklärt werden, welche Bedeutung das islamische Recht künftig hat und wie die Macht zwischen dem Präsidenten und dem Parlament aufgeteilt wird. Die Befugnisse der Armee, seit jeher ein Staat im Staat, sollten ebenfalls geregelt werden.

Im Frühjahr 2012 setzten die Islamisten eine verfassungsgebende Versammlung durch, die aber von einem Gericht wieder aufgelöst wurde - weil sie das ägyptische Volk nicht vollständig repräsentiert habe. Wieder wurde ein Gremium bestimmt, und wieder waren es überwiegend Islamisten. Diesmal aber sorgte Präsident Mursi persönlich vor, dass diese Runde von keinem Gericht mehr zu Fall gebracht wird. Er verfügte per Dekret, dass die verfassungsgebende Versammlung nicht aufgelöst werden kann. So wurde der Entwurf eines Grundgesetzes schnell durchgeboxt, mit dem Ergebnis, dass Religionsgelehrte mehr Macht bekamen, um die Scharia strenger durchzusetzen. Mursi ließ das Volk über die Verfassung abstimmen - und bekam eine Mehrheit.

Ägypter verglichen die Muslimbrüder mehr und mehr mit dem System Mubaraks: Statt des alten Polizeistaats setzten nun islamistische Moralwächter die Menschen unter Druck. Die Geschicke des Landes wurden wieder von einem kleinen Führungskreis gelenkt. Ausländische Investoren blieben fern, weil sie dem neuen politischen System nicht vertrauten. Ende Juni, ein Jahr nach dem Amtsantritt Mursis, begannen die entscheidenden Massenproteste gegen den islamistischen Präsidenten. Den letzten Schritt übernahm das Militär und stürzte ihn - die Protestbewegung jubelte. Der Politikwissenschaftler und liberale Ex-Parlamentarier Amr Hamzawy war einer der wenigen, die das Vorgehen scharf kritisierten: Intellektuelle, Juristen, Journalisten und Aktivisten, die zur Gewalt des Militärs gegen Islamisten schwiegen, bezeichnete er als "Vögel der Dunkelheit".

Neuer Anlauf

Nun beginnt in Ägypten ein neuer Demokratieversuch - unter der Schirmherrschaft der Generäle. Es geht von vorne los: eine neue Verfassung, ein neues Parlament, ein neuer Präsident. Am Verhandlungstisch aber sitzen auch dieses Mal nicht alle Vertreter der Ägypter: die Islamisten haben sich zurückgezogen oder wurden verhaftet. Einer der engsten Berater Mursis erklärte auf Facebook kurz vor seiner Festnahme: "Demokratie ist nicht für Muslime."

Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet über die arabische Welt.