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Erfolgsmodell mit Keksen

Bürgerstiftungen Sie liegen im Trend - und können ganze Regionen verändern

19.08.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
6 Min

Manchmal ist das Engagement sogar lecker: Bei der Bürgerstiftung Barnim Uckermark etwa. Die hat nämlich vor zwei Jahren Kekse gebacken - und damit im Jahr 2011 den mit 20.000 Euro dotierten "Förderpreis Aktive Bürgerschaft" gewonnen.

In dem Gebäck in der Form chinesischer Glückskekse waren Zettel enthalten, die mit Kinderrechten bedruckt waren: das Recht auf Bildung etwa, das Recht auf ein gewaltfreies Leben und die Fürsorge ihrer Eltern. Die Bürgerstiftung mit Sitz in Eberswalde setzt sich stark für Kinderrechte ein und will vor allem den Jüngsten die Bedeutung von Demokratie und Rechten nahebringen. Die Idee für die süßen Informationen kam allerdings von den Kindern selbst: Nachdem die sich in einem sozialen Brennpunkt für die Belange ihrer Altersgenossen eingesetzt hatten und schockiert über deren Lebensbedingungen waren, beschlossen sie, Kekse zu backen und auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen. Der Erlös wurde schließlich in einem weiteren Projekt mit dem Titel "2000 Mäuse winken" an verschiedene Kinder- und Jugendinitiativen weitergegeben. Inzwischen gab es noch ein weiteres Programm. Bei "Kohle für Coole" konnten sich Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren mit ihren Ideen zu den Themen "Bewegungsfreiheit - Kunst, Bewegung, Spaß für Alle" und "Aktiv gegen Mobbing, Gewalt und Rechtsextremismus" bewerben.

Für Bernadette Hellmann, Projektleiterin Bürgerstiftungen beim Verein "Aktive Bürgerschaft", ist die Bürgerstiftung Barnim Uckermark damit ein besonders gutes Beispiel dafür, "wie nachhaltig die Arbeit von Bürgerstiftungen sein kann: Über solche Projekte, aus denen immer wieder neue Ideen hervorgehen, kann man wirklich Veränderungen herbeiführen." Das sei wichtig, gerade in einer Region wie der Uckermark, die mit dem Problem der Abwanderung junger Menschen zu kämpfen habe. "Und natürlich erleben die Kinder und Jugendlichen, die sich in der Bürgerstiftung engagieren, dass sie selbst etwas bewegen können - und gleichzeitig beweisen sie, dass Kinder unglaublich kreativ und ausdauernd sein können, wenn man sie nur lässt. Die sind in der Lage, Mittel zu beschaffen und Konzepte zu entwickeln und an Dingen dranzubleiben. Das ist wirklich beeindruckend."

Eigenverantwortlich

Immer mehr Bürgerstiftungen gründen sich in Deutschland. Sie sind Zeichen eines grundlegenden Wandels des gesellschaftlichen Selbstverständnisses: Immer mehr Menschen setzen auf Eigenverantwortung und Initiative; wollen nicht mehr auf einen starken Staat warten, der sich um alle Lebensbereiche kümmert. Dabei sind sie ein recht neues Phänomen: 1996 wurde auf Initiative des Unternehmers Reinhard Mohn mit der "Stadt Stiftung Gütersloh" die erste deutsche Bürgerstiftung nach amerikanischem Vorbild gegründet. Unter dem Motto "Wir für unsere Stadt" brachte Mohn Menschen zusammen, deren Ziel es war, die Lebensqualität in Gütersloh zu verbessern. Mohn selbst stiftete eine Million Euro als Startkapital, eine zweite folgte schnell von der Bertelsmann AG. Schon das erste Projekt der Stiftung wurde zum Erfolg: Aus dem "Gütersloher Discobus", der 1997 startete, wurde inzwischen die Nachtbuslinie nach Bielefeld. 2010 wechselte der Name; seither heißt die Stiftung "Bürgerstiftung Gütersloh". Erst vor wenigen Monaten starteten neue Projekte: Gemeinsam mit dem Klinikum Gütersloh begleitet die Stiftung Patienten mit Demenz. Und "Dialog in Deutsch" ist ein Angebot an Erwachsene mit Migrationshintergrund, die nicht an Integrationskursen teilgenommen haben, aber ihr Deutsch verbessern und neue Kontakte knüpfen wollen.

Dass seine Stiftung so erfolgreich sein würde, hatte Reinhard Mohn vermutlich gehofft - sicher aber konnte er nicht sein, als er begeistert von der Arbeit amerikanischer Community Foundations gehört und festgestellt hatte, genau das sei es, was Deutschland brauchen könne. Denn während es im angelsächsischen Raum ein großes Selbstverständnis gibt, sich finanziell und ideell zu engagieren, ist die Überzeugung in Deutschland, der Staat werde sich schon um alles kümmern, traditionell viel größer. Mohn glaubte dennoch an das Konzept und trieb die Gründung der Gütersloher Stiftung mit Verve voran.

Inzwischen sind auch viele andere Deutsche von dem Konzept überzeugt. 326 Bürgerstiftungen zählt die "Aktive Bürgerschaft" in ihrem Länderspiegel aus dem Jahr 2012, mit einem Gesamtkapital von mehr als 208 Millionen Euro. Die Bürgerstiftungen schütteten "mehr denn je für gemeinnützige Zwecke" aus, heißt es in dem Report: Insgesamt haben sie im Jahr 2011 12,3 Millionen Euro in das lokale Gemeinwohl investiert, 12.000 Ehrenamtliche haben sich mit Zeit und Ideen in den Projekten oder Geschäftsstellen der Stiftungen eingebracht. Und auch die Einnahmen fließen: Mehr als 9,6 Millionen Euro haben Bürger, Unternehmen und Institutionen 2011 an die Bürgerstiftungen gespendet. Dies, so die "Aktive Bürgerschaft", sei "die höchste Summe an Spendeneinnahmen innerhalb eines Jahres, die Bürgerstiftungen je verzeichnet haben".

Gemeinnützig

Dabei legt die "Aktive Bürgerschaft" an ihre Zählungen einen strengen Maßstab an. Tatsächlich ist die Zahl der Stiftungen, die unter diesem Label auftreten, weit höher: Weitere 363 Stiftungen nennen sich zwar Bürgerstiftungen, erfüllen aber nicht die "Zehn Merkmale einer Bürgerstiftung". Die sind gewissermaßen das Gütesiegel, das der Arbeitskreis Bürgerstiftungen im Mai 2000 auf der Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen verabschiedet hat. Danach ist eine Bürgerstiftung gemeinnützig und will das Gemeinwohl stärken, sie wird in der Regel von mehreren Stiftern errichtet und ist wirtschaftlich und politisch unabhängig. Ihr Aktionsgebiet ist geografisch auf eine Stadt, einen Landkreis oder eine Region ausgerichtet, sie baut kontinuierlich Stiftungskapital auf und hat einen breiten Stiftungszweck. Bürgerstiftungen fördern Projekte, die von bürgerschaftlichem Engagement getragen sind oder Hilfe zur Selbsthilfe leisten, sie machen ihre Arbeit öffentlich, sind Bestandteil lokaler Netzwerke und ihre interne Arbeit ist von Partizipation und Transparenz geprägt. Nach dieser Definition gilt etwa die Deutsche Umweltstiftung, die sich selbst als größte und älteste deutsche Bürgerstiftung bezeichnet, nicht als klassische Bürgerstiftung - weil ihr Stiftungszweck nicht breit genug, sondern auf Umwelterziehung und Umweltschutz begrenzt ist und die Stiftung national wirkt.

Verbindend

Dennoch hat die Umweltstiftung etwas, von dem viele "echte" Bürgerstiftungen vor allem im Osten des Landes nur träumen können: Mehr als 1.800 Stifter und ein Vermögen von rund 150.000 Euro.

Eine solche Bilanz würde Sabine Sieble auch gern vorlegen können. Im Jahr 2007 gehörte die Politikwissenschaftlerin zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerstiftung Chemnitz, seit zwei Jahren ist sie Vorstandsvorsitzende. Es sei vor sechs Jahren schon mühsam gewesen, das Gründungskapital von 35.000 Euro zusammen zu bekommen, erinnert sie sich, und bis heute sei es mühsam, Spenden für die Projekte der Stiftung einzuwerben. 29 Stifter hat ihre Organisation. "Das ist eine Beobachtung, die wir im Grunde in ganz Ostdeutschland machen: Das Konzept des Stiftens ist hier einfach noch nicht so verankert wie in anderen Regionen. Deshalb sind hier auch viele Bürgerstiftungen auf Fördergelder angewiesen." Tatsächlich weist der Engagement-Atlas der Prognos AG große regionale Unterschiede aus: Während der Anteil der "engagierten Bevölkerung" im Allgäu oder der Oberpfalz über 45 Prozent liegt, sind in Ostdeutschland mit 26,5 Prozent viel weniger Menschen engagiert als in Westdeutschland (Schnitt: 36,3 Prozent). Dass die Lage für Bürgerstiftungen im Osten schwieriger ist, hat auch Bernadette Hellmann festgestellt. Sie glaubt, das habe auch mit der jüngeren Geschichte zu tun: "In der DDR gab es ja im Grunde kein zivilgesellschaftliches Engagement. Das war alles verstaatlicht - und vielfach auch verordnet. Vielleicht sind davon viele noch abgeschreckt." Grundsätzlich aber, so ihr ermutigendes Fazit, seien die ostdeutschen Bürgerstiftungen finanziell zwar nicht so gut ausgestattet wie die in den alten Bundesländern, "da gibt es aber eine unglaubliche Aktivität in der Projektarbeit und sehr viel ehrenamtliche Mitarbeit."

Das würde man in Sachsen vermutlich unterstreichen. In Chemnitz etwa rief Sabine Sieble mit ihren Mitstreitern eine "Danke-Card" ins Leben. Die gewährt Ehrenamtlern besondere Angebote bei städtischen Einrichtungen, Vereinen, Geschäften und Unternehmen. Gleichzeitig organisiert die Chemnitzer Stiftung Senioren-Besuchsdienste und "Sehende Begleitung" für blinde und sehbehinderte Menschen; außerdem vergibt sie jährlich einen Bürgerpreis an Chemnitzer Vereine und plant einen "Adventskalender für einen guten Zweck". Daran, dass sie mit der Chemnitzer Bürgerstiftung einmal ein so großes Kapital verwalten kann wie die größte europäische Bürgerstiftung, mag Sabine Sieble nicht glauben: Immerhin hat die britische "Community Foundation serving Gyne & Wear and Northumberland" ein Gesamtvermögen von mehr als 46 Millionen Euro und konnte bei ihrer Gründung 1991 innerhalb eines Jahres drei Millionen Pfund einwerben. "Das schaffen wir nicht", lacht Sieble, "aber darum geht es ja auch nicht. Wenn wir Menschen verbinden, die sonst nicht zusammengefunden hätten, und in Chemnitz etwas bewegen können, ist schon viel erreicht."