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Schmiermittel für die Gesellschaft

AKTIVE BÜRGERSCHAFT Geschäftsführer Stefan Nährlich über die Arbeit des Vereins und seine Sicht auf die Rolle des Ehrenamts

19.08.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
6 Min

Herr Dr. Nährlich, Sie sind Geschäftsführer des Vereins Aktive Bürgerschaft. Was ist die Aufgabe Ihres Vereins?

Wir fördern bürgerschaftliches Engagement und unterstützen Menschen, die sich vor Ort engagieren wollen, etwa in Bürgerstiftungen.

Warum brauchen solche Initiativen eine Dachorganisation in Berlin?

Wir sind keine Dachorganisation im klassischen Sinn. Bei uns muss man kein Mitglied werden, und wir sehen unsere Aufgabe auch nicht darin, alle Teilnehmer auf eine bestimmte Richtung einzuschwören. Wir wollen den vielen Initiativen vor Ort helfen und gute Ideen unter das Volk bringen. Wir haben eine Palette von Dienstleistungen aufgebaut, immer mit dem Ziel: Die Bürgerstiftung vor Ort soll prosperieren. Gelingt das dann, setzen wir mit unserem Förderpreis Anreize. Die Hürden, tatsächlich preiswürdig zu werden, sind allerdings hoch. Aber die Botschaft ist: Engagement lohnt sich.

Es geht um immerhin 40.000 Euro, die künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgegeben werden. Was muss eine Initiative vor Ort leisten, um preiswürdig zu sein?

Der Förderpreis Aktive Bürgerschaft wird von den Genossenschaftsbanken finanziert. Die Auswahl der Preisträger erfolgt, indem wir Stiftungen vergleichen, ihre Bilanzen anschauen und Erfolge bewerten. Das ist noch relativ einfach. Schwieriger wird es dann, wenn es darum geht, Aufgabenfelder gegeneinander abzuwägen. Also: Ist ein Projekt, das sich für Kinderrechte einsetzt, besser als eines, das sich um Seniorenbegegnung kümmert? Für diese Aufgabe gibt es eine hochkarätig und professionell besetzte Jury, die aus 13 Experten besteht. Vor dieser Jury müssen die Bürgerstiftungen dann ihre Projekte präsentieren. Das ist gar nicht so einfach, weil auch kritisch nachgefragt wird. Wird ein Projekt für preiswürdig befunden, ist es immer eines, das auch als Beispiel für Nachahmer geeignet ist.

Wie ist der Zulauf, den bürgerschaftliches Engagement erfährt, zu erklären?

Da treffen vor allem zwei Entwicklungen zusammen. Zum einen steigt mit den formalen Voraussetzungen auch die Bereitschaft, für andere etwas zu tun. Der Bildungsgrad ist gestiegen, die Einkommen haben sich erhöht, die Menschen leben länger. Der wachsende Wohlstand führt dazu, dass immer mehr bereit sind, sich zu engagieren. Zum zweiten werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Staates erkannt. Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf, der früher bei uns im Kuratorium tätig war, hat das so formuliert: "Gesellschaften müssen immer komplexer werden, diese Komplexität müssen sie aber auch managen können." Das funktioniert dann nicht, wenn von der Politik am grünen Tisch Großlösungen produziert werden, die vor Ort aufgrund der spezifischen Verhältnisse so nicht anwendbar sind. Bürgerengagement ist nicht der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, aber das Schmiermittel, das die Gesellschaft leistungsfähig macht. Was früher der Vereinsmeier und funktionale Dilettant war, ist heute der aktive Bürger mit Fachkompetenz.

Könnte das Engagement auch aus der Sehnsucht nach Familienbande, die längst nicht mehr gut funktioniert, resultieren?

Ja, bestimmt. Der Vorteil bei bürgerschaftlichen Aktivitäten ist ja, dass jeder selbst den Grad seines Engagements bestimmen kann. Das ist ein entscheidender Unterschied zur Familie, die eine gewisse Bedingungslosigkeit fordert. In der bürgerschaftlichen Initiative, in der Stiftung kann jeder so viel Bindung aufbauen, wie er will.

Es könnte ja auch sein, dass das einfach nur ein Modetrend ist, dass es chic ist, anderen zu helfen. Wenn diese Mode dann eines Tages nachlassen würde …

… hätten wir ein Problem, klar. Trotzdem führt das nicht weiter. Entscheidend ist, was jetzt passiert, und: Was kommt am Ende dabei heraus? Es gibt ja auch das Argument, Bürgerengagement sei ja gut und schön, aber eigentlich müsse es doch Aufgabe des Sozialstaates sein, diese Aufgaben zu erledigen. Bürgerinitiativen wären demnach kein Ausdruck von steigender Partizipation in der Gesellschaft, sondern ein Beleg für Staatsversagen. Und wenn die Frage, ob mein Kind eine vernünftige Schulausbildung bekommt, davon abhängt, ob die Schule einen guten Förderverein als Ausgleich der Defizite im schulischen Angebot hat, sorgt das für Unbehagen.

Keine nachvollziehbare Position?

Doch, natürlich. Ich bin für Subsidiarität: Wo sich Menschen engagieren und kümmern, braucht der Staat nicht zu handeln. Wo es das nicht gibt, muss der Staat bedingungslos eintreten. Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass genau andersherum argumentiert wird. Nach dem Motto: Wir haben gerade andere Präferenzen und sowieso kein Geld, also gründet mal schön einen Förderverein. Geschieht das nicht: Pech gehabt, dann werden die Aufgaben nicht erledigt. So geht es natürlich nicht.

Wir brauchen also einen funktionieren Sozialstaat, der in einzelnen Bereichen ergänzt wird durch Bürgerarbeit?

Ja, allerdings finde ich den Begriff "ergänzen" schwierig. Das hört sich immer nach Sahnehäubchen an: Alles ist schon da, aber wir werden jetzt trotzdem mal aktiv. So ist es in der Praxis ja nicht. Es geht nicht um Beschäftigungstherapien für gelangweilte Bürger, sondern um wirkliche Hilfe. Vielleicht lässt es sich so formulieren: Bürgerengagement sollte staatlichem Handeln vorausgehen.

Bürgerengagement soll den Bedarf wecken, damit der Staat sich einmischt?

Bürger können mit ihrem Engagement Themen setzen. Zum Beispiel haben Frauen-, Friedens- oder die Ökologiebewegungen das Bewusstsein geweckt, dass diese Themen uns alle angehen. Heute sind diese Dinge Bestandteil aller Parteiprogramme. Andererseits könnte man natürlich sagen: Wenn es an einer Schule einen gut funktionierenden Förderverein gibt, warum soll dann ein staatlicher Zuschuss für Fördermaßnahmen fließen? Vermutlich gibt es da kein Patentrezept.

Machen wir es doch noch einmal konkret. An Schulen gibt es ehrenamtliche "Lesepaten", die mit Kindern lesen üben. Sicher eine sinnvolle Idee. Aber bleibt es nicht trotzdem Aufgabe des Staates und damit der Lehrer, Kulturtechniken zu vermitteln?

Entscheidend ist doch, dass die Kinder, wenn sie die Schule verlassen, lesen können, und zwar richtig. Wie das erreicht wird, ist nicht die vorrangige Frage. Trotzdem muss man sich die einzelnen Bereiche sehr genau anschauen und dann festlegen, wer die Leistungen am sinnvollsten erbringen kann: der Staat, das Ehrenamt, gewerbliche Dienstleistung oder vielleicht eine Mischform. Da wird dann immer der Einzelfall entscheidend sein.

Welche Schnittmenge gibt es zwischen Bürgerarbeit und privater Wirtschaft?

Eine positive und eine negative, wenn man so will. Eine Initiative, die einer alten Dame eine Lampe anbringt, wird sagen, das sei Nachbarschaftshilfe. Der örtliche Handwerker könnte aber argumentieren: Das ist Schwarzarbeit. Dieses Argument kann ich verstehen und darum bin ich auch etwas ratlos. Die positive Schnittmenge ist sicher das, was heute als "Corporate Citizenship" bezeichnet wird: Unternehmen, die sich finanziell oder durch ihre Mitarbeiter gesellschaftlich engagieren.

Die Schwerpunkte gemeinnütziger Arbeit haben sich verschoben. Sportvereine klagen über mangelndes ehrenamtliches Personal, in anderen Bereichen hat ein Boom eingesetzt. Wie ist das zu steuern?

Tatsächlich verliert der Sport wichtige Teile seiner Infrastruktur: Vorstandsmitglieder, Übungsleiter, Platzwarte ziehen sich zurück. Da müssen Lösungen gefunden werden, über die Übungsleiterpauschale hinaus. Zentral steuern lässt sich bürgerschaftliches Engagement trotzdem nicht. Schauen wir einmal auf die Freiwillige Feuerwehr und das Technische Hilfswerk. Da grassierte seit längerem die Annahme, diese Organisationen würden ausbluten. Bei der Flutkatastrophe in diesem Jahr war zu besichtigen, dass das keineswegs so ist, dass die Organisationen gut aufgestellt sind.

Sind die Rahmenbedingungen für gedeihliches Bürgerengagement ausreichend?

Die sind zumindest nicht schlecht. In den letzten Jahren haben Gesetze das Ehrenamt gestärkt. Das war hilfreich. Wichtig ist weitgehende Handlungsfreiheit. Eine gemeinnützige Organisation braucht keine Detailvorschriften, sondern Vertrauen, dass sie ihre Aufgabe unter Wahrung der Gesetze gut erfüllt.

Sie sind wunschlos glücklich?

Nein, natürlich nicht. Besonders in zwei Bereichen gibt es Handlungsbedarf. Erstens müssen wir die Vereine und Stiftungen finanziell stärken. Dazu gehört auch, dass sie das Geld ohne enge Zweckbindung zur freien Verfügung haben. Im Gegenzug könnte man eine Transparenzpflicht einführen, etwa über die Veröffentlichung eines Jahresabschlusses. Zur besseren Finanzausstattung wäre zum Beispiel ein Modell hilfreich, das erfolgreich beim Aufbau der Zivilgesellschaften in Osteuropa eingesetzt wurde. Dort können Steuerzahler ein oder zwei Prozent ihrer Steuerlast direkt gemeinnützigen Organisationen zukommen lassen. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass die gemeinnützigen Organisationen sich in der Öffentlichkeit präsentieren, um an möglichst viele Mittel zu kommen. Zweitens wird verkannt, wie wichtig die Vorstände und die Aufsichtsgremien in den Freiwilligen-Organisationen sind. Es ist falsch, dabei vorrangig pensionierte Senioren im Blick zu haben. Wir brauchen Menschen, die im Berufsleben stehen und Netzwerke mitbringen. Die sind wegen der enorm hohen Belastung aber immer schwieriger zu gewinnen. Das entwickelt sich zu einem wachsenden Problem.

Das Interview führte Jörg Biallas. z