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In einer anderen Zeit

DOPING Eine Studie versetzt Sportpolitiker in Unruhe. Gab es auch im Westen staatlich finanziertes Doping? Bundesinnenminister Friedrich schließt ein…

09.09.2013
2023-08-30T12:24:04.7200Z
3 Min

Für Giselher Spitzer ist die Sache klar. Seit 1950 habe es in der Bundesrepublik "systemische Dopingforschung" gegeben. Dies sei ab 1970 durch die Gründung des dem Bundesinnenministerium (BMI) unterstellten Bundesinstituts für Sportwissenschaften (BISp) "ergänzt" worden, sagte der Sporthistoriker vergangene Woche während einer Sondersitzung des Sportausschusses.

Thema dort: Der Endbericht zur Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation" an der Spitzer und sein Team von der Humboldt-Universität Berlin gemeinsam mit Wissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster seit 2008 gearbeitet haben. Die Studie lässt viel Raum für Spekulationen und Fragen: Haben etwa die beiden ehemaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und Werner Maihofer (beide FDP) - genervt von der, möglicherwiese dem Doping geschuldeten, Überlegenheit der Sportler aus dem Ostblock - die Dopingforschung nicht nur geduldet sondern gar forciert? Haben sie etwa den Einsatz von Dopingmitteln mit Blick auf die Olympischen Spiele in München 1972 sogar gefordert?

Kein Staatsdoping

Um über diese und andere Fragen und über Konsequenzen aus der Studie zu reden, hatte der Sportausschuss Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) geladen, der den Abgeordneten 75 Minuten lang Rede und Antwort stand. Mit einem aus Sicht der Opposition unzureichenden Ergebnis. "Ich hätte mir deutlichere Aussagen gewünscht, sagte etwa die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD). Vieles sei im Unklaren geblieben, bemängelte sie.

Klar ist zumindest aus Sicht der Bundesregierung, dass es sich - anders als im Falle der DDR - nicht um eine Art Staatsdoping gehandelt hat. Dass es dennoch Doping gegeben habe, müsse im historischen Kontext des Kalten Krieges betrachtet werden. "Es war eben eine andere Zeit, mit anderen Maßstäben", sagte Innenminister Friedrich. Was die Konsequenzen angeht, so zeigte er sich in der Frage, ob es eines Anti-Doping-Gesetzes bedarf - wie es die Autoren der Studie fordern - "für alle Argumente offen". Wenn Ermittler sagen würden, "wir brauchen im Anti-Doping-Kampf neue Vorschriften, müssen wir das aufnehmen", sagte der Minister, der dafür plädierte, alle eventuellen Auswirkungen neuer Regelungen zuvor genau zu prüfen.

Expertenrunde

Friedrich verwies jedoch auch auf das Spannungsfeld zwischen Sportgerichtsbarkeit und Strafgerichtsbarkeit. Es bestehe die Gefahr, dass die Sportgerichtsbarkeit ausgehebelt wird, wenn man auf das Urteil eines Strafgerichtsprozesses warten muss. Diese Befürchtung teilte auch die Unionsfraktion und lehnte daher ein Anti-Doping-Gesetz ab. "Wir legen großen Wert auf die Autonomie des Sports", sagte der CDU-Sportexperte Klaus Riegert. Zugleich forderte er die Bundesländer auf, weitere Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu schaffen.

Nach Ansicht der Grünen-Sportexpertin Viola von Cramon ist die Sportgerichtsbarkeit mit dem Anti-Doping-Kampf aber überfordert. "Ohne ein Anti-Doping-Gesetz kann nicht gegen dopende Spitzensportler ermittelt werden", befand sie und kritisierte die zögerliche Haltung der Bundesregierung. "Wie viele Experten wollen Sie denn noch befragen, bevor sie endlich handeln?", fragte von Cramon den Innenminister, der eine Expertenrunde zu dem Thema für den 26. September angekündigt hatte.

Friedrich hielt dem entgegen, dass durch das novellierte Arzneimittelgesetz schon umfangreiche Regelungen für den Anti-Doping-Kampf geschaffen worden seien. "Das können Sie doch nicht ignorieren", sagte er an die Abgeordnete der Grünen gewandt. Riegert warf von Cramon vor, Spitzensportler kriminalisieren zu wollen und lobte das BMI für das "Vorgehen mit Augenmaß".

Was die Studie selbst angeht, so machte Innenminister Friedrich deutlich, dass seitens des BMI darin "nichts geschwärzt oder gestrichen wurde". Auf die Frage des SPD-Abgeordneten Martin Gerster, ob Berichte über eine Löschung einiger für die Forscher relevanter Akten zutreffend seien, verwies er auf ein ordnungsgemäßes Löschverfahren im Jahr 2006. "Von späteren Löschungen weiß ich nichts", sagte Friedrich. Ein Aktenlöschungs-Moratorium, wie es der Linken-Abgeordnete Jens Petermann angeregt hatte, sei daher unnötig.

Kritik an Spitzer

Als Friedrich schließlich den Sitzungsaal verlassen hatte, sah sich Giselher Spitzer heftiger Kritik an seiner Forschungsarbeit ausgesetzt. So sprach Lutz Knopek (FDP) von "unglaublichen Vorwürfen", die nicht ausreichend belegt seien. Die Vorstandsvorsitzende der Nationalen-Anti-Doping-Agentur (Nada), Andrea Gotzmann, verwies darauf, dass die Nada den Forschern sehr wohl Angebote zur Akteneinsicht gemacht habe, die vom Berliner Team jedoch nicht wahrgenommen worden seien. "Den Vorwurf, wir hätten Akten nicht zur Verfügung gestellt, weise ich zurück", sagte Gotzmann.

Der Sportmediziner Klaus-Michael Braumann, wissenschaftlicher Beirat der Doping-Studie, warf den Berliner Forschern vor, "nicht ergebnisoffen" geforscht zu haben und einen Dopingbegriff "aus dem Bauch heraus" geschaffen zu haben. "So wird irgendwann aus jeder Tasse Kaffee Doping", kritisierte er. Spitzer reagierte auf die Vorwürfe zurückhaltend. Er äußerte lediglich die Bitte, man möge die Studie aufmerksam lesen.