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Umstrittene Zweite Kammern

PARLAMENTARISMUS Korrektiv, Rat der Weisen, Stimme der Regionen: Ein Streifzug durch die Senate in vier Ländern

18.11.2013
2023-08-30T12:24:07.7200Z
8 Min

RUSSLAND: Kein widerpart zum Präsidenten

Sie heißt Russische Föderation, doch so richtig föderal ist sie nicht. Denn in Russland ist alles auf den Staatspräsidenten ausgerichtet. Zwar gibt es mit dem Föderationsrat eine zweite Kammer als Vertretung der Republiken und Regionen, die als Korrektiv zum Parlament, der Staatsduma, wirken soll. Doch das klappt nicht, meint Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Föderationsrat sei, wie eigentlich alle Institutionen in Russland, "in der vorliegenden Form ein Gremium, das im Wesentlichen den Vorgaben der Präsidialadministration folgt": Und so hat der Föderationsrat auch noch nie ein Gesetz zu Fall gebracht oder in irgendeiner anderen Form Profil entwickelt. Vorsitzende ist derzeit Walentina Matwijenko, die langjährige Gouverneurin von St. Petersburg und enge Vertraute von Präsident Wladimir Putin.

"Eigentlich hat Russland alle Institutionen, die in einem Land mit funktionierenden Parteien die Demokratie stärken. Nur leider gibt es kein funktionierendes Parteiensystem", konstatiert Schröder. Früher, in der Zeit von Präsident Boris Jelzin, war der Föderationsrat ein Gremium der Gouverneure. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 begann Putin, das Land erneut zu zentralisieren. Er schaffte die Wahlen der Gouverneure ab. Gebietsvertreter wurden danach lange Zeit vom Präsidenten ernannt. Seit dem vergangenen Jahr kehrt Russland zum Wahlprinzip zurück. Filter erschweren jedoch die Kandidatur tatsächlich unabhängiger Amtsanwärter.

Begehrte Sitze Jede der 83 Körperschaften hat zwei Vertreter im Föderationsrat, einen der Legislative und einen der Exekutive. Entsandt werden sie von den Regionalparlamenten. "Der Föderationsrat ist besonders für Geschäftsleute aus den Regionen interessant", sagt Schröder, "denn wer darin sitzt, genießt die gleiche Immunität wie Abgeordnete der Staatsduma": Die Vertreter der Regionen sind sicher vor Strafverfolgung. Die Sitze sind begehrt, es heißt, Mandate würden gekauft.

Die 83 Subjekte der Russischen Föderation selbst sind höchst unterschiedlich: Da sind zunächst die 21 Republiken zum Beispiel Tschetschenien oder Tatarstan. Dazu kommen neun Kreise, zum Beispiel der Permer oder der Krasnodarer Kreis, 46 Gebiete (Oblaste), die Städte Moskau und St. Petersburg, vier autonome Kreise und das jüdische Gebiet Birobidschan.

Im Dezember vergangenen Jahres regte Putin eine Verfassungsänderung an. Bei einem Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden der Duma schlug er vor, zur direkten Wahl der "Senatoren" im Föderationsrat überzugehen. Dass die Zentralmacht mit einem solchen Schritt freiwillig Kompetenzen abgibt, um den Föderalismus zu stärken, ist aber unwahrscheinlich. Vielmehr könnten direkt gewählte Senatoren und Gouverneure gegeneinander ausgespielt werden.

Der Autor ist freier Korrespondent in Moskau.

FRANKREICH: GEGENGEWICht zur ZentralE

"Der Senat ist eine Anomalie in einer Demokratie." Dieses schmähende Urteil hat 1998 der Sozialist Lionel Jospin über das "Oberhaus" im Pariser Palais du Luxembourg gefällt. Er war damals als linker Premierminister in einer Kohabitation mit dem konservativen Staatschef Jacques Chirac und mit einer konservativen Mehrheit im Senat konfrontiert, die seiner Gesetzgebung ständig mit negativen Voten Knüppel in die Beine warf. Die französische Staatsführung scheint aber nicht nur in solchen Ausnahmesituationen seit Jahrzehnten ein institutionelles Problem mit dem Senat zu haben. Die Reform der kleinen Parlamentskammer und ihrer Befugnisse ist ein Dauerbrenner der Fünften Republik seit 1958. Doch die Entwürfe einer Modernisierung sind schneller redigiert als verwirklicht. So scheiterte kein Geringerer als Staatspräsident Charles de Gaulle 1969 mit einer Reform des Senats, die bezeichnenderweise mit einer verstärkten Regionalisierung gekoppelt war. De Gaulle trat schmollend zurück, so wie er dies zuvor angedroht hatte.

Tritt aufs Bremspedal Seither wurde in zahleichen Verfassungsrevisionen an der häufig kritisierten Institution gefeilt. Dennoch bleibt das "Oberhaus" die Stimme eines traditionsbewussten Frankreichs. Daran hat sich auch nichts geändert, als der Senat 2011 zum ersten Mal eine (knappe) linke Mehrheit und mit Jean-Pierre Bel einen sozialistischen Vorsitzenden bekam. Auch heute tritt der Senat immer wieder bei der Beratung von Regierungsvorlagen und der Haushaltsdebatte aufs Bremspedal. Ein jüngstes Beispiel dafür ist die Ablehnung der Rentenreform durch eine parteipolitisch bunt gemischte Mehrheit der 271 Senatoren und 77 Senatorinnen. Das letzte Wort in der parlamentarischen Beschlussfassung haben jedoch bei divergierenden Voten die Abgeordneten der Nationalversammlung.

Die Mitglieder des Senats werden seit 2001 für sechs statt früher neun Jahre durch "Wahlmännergremien" gekürt, die sich aus Vertretern der Region, des Departements und der Kommunen sowie den bisherigen Parlamentariern im jeweiligen Wahlkreis zusammensetzen. Die ländlichen Gebiete sind dabei stärker repräsentiert als die Städte. Obwohl der Senat im weiterhin zentralistischen Staat nicht ausdrücklich eine Vertretung der Regionen oder Departemente darstellt, spielt er oft die Rolle eines Gegengewichts zur Pariser Zentralmacht.

Wie die Nationalversammlung hat der Senat der Fünften Republik aber nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung. Zusammen mit den Abgeordneten der Assemblée nationale entscheiden die Senatoren über Verfassungsänderungen, die eine Dreifünftel-Mehrheit erfordern. Das bedeutet, dass der Staatschef in der Regel keine Grundgesetzesrevision durchsetzen kann, wenn er nicht über eine deutliche Mehrheit im Senat verfügt. Gegenwärtig hätte Präsident François Hollande deshalb nur geringe Chancen, beispielsweise das versprochene kommunale Ausländerstimmrecht in der Verfassung zu verankern. Der Senatsvorsitzende gilt nach Präsident und Premier als dritthöchste Persönlichkeit der Republik. Er (und nicht der Premierminister) amtiert als Interims-Staatschef im Fall einer Vakanz, wie dies 1969 nach de Gaulles Rücktritt und 1974 nach dem Tod von Georges Pompidou notwendig wurde.

Der Autor ist freier Korrespondent in Paris.

SPANIEN: GEMEINSCHAFTEN UND PROVINZEN

Wer vor einem Jahr auf der Homepage des spanischen Senats genauere Informationen über diesen oder jenen Senator suchte, bekam auf den entsprechenden Klick die überraschende Antwort: "Ihr findet ihn immer in der Cafeteria." Der Senat hatte für seinen neuen Netzauftritt fast 440.000 Euro ausgegeben, doch Hacker knackten die Seite gleich am ersten Tag und überzogen sie mit frechen Kommentaren. Es war einer der seltenen Momente, in denen die zweite Kammer des spanischen Parlaments ein wenig Aufmerksamkeit erhielt. Ansonsten könnte sie, wenn es nach ihren Kritikern ginge, lieber heute als morgen abgeschafft werden.

Nach Artikel 69 der spanischen Verfassung soll der Senat die "Kammer der territorialen Vertretung" sein. Aber so, wie der Senat zugeschnitten ist, erfüllt er diese Funktion nicht. "Zweifellos ist der Senat das am schlechtesten konzipierte Geschöpf der Verfassung von 1978", schreibt Juan José Laborda, früherer sozialistischer Senatspräsident.

Der Großteil der zurzeit 266 Abgeordneten des Senats wird von den Spaniern in direkter Wahl bestimmt. Die Wahlkreise sind die 50 spanischen Provinzen, die jeweils vier Abgeordnete in den Senat schicken - die kleinste Provinz, Soria, mit 95.000 Einwohnern ebenso wie die größte, Madrid, mit 6,5 Millionen Einwohnern. Für die Balearen und die Kanaren und für die Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla gelten leicht abweichende Regeln, so dass insgesamt 208 Senatoren Vertreter ihrer Provinzen sind.

Ohne Gewicht Die spanischen Provinzen sind administrative Einheiten, vergleichbar den deutschen Regierungsbezirken, ohne politisches Gewicht. Die eigentlichen Träger regionaler Macht in Spanien sind die 17 Autonomen Gemeinschaften, mit eigener Regierung und eigenem Parlament. Die Regionalparlamente entsenden insgesamt 58 weitere Abgeordnete in den Senat, wobei einwohnerstarke Regionen mehr Senatoren stellen als einwohnerarme. Doch ob direkt in ihrer Provinz gewählt oder vom Regionalparlament entsandt - einmal im Senat, fühlen sich die Abgeordneten außer ihrem Gewissen nur noch ihrer Partei verantwortlich.

Die Aufgabe des Senats beschränkt sich darauf, Änderungsanträge für Gesetzesvorhaben des Deputiertenkongresses - der ersten Kammer des spanischen Parlaments - zu debattieren und möglicherweise zu beschließen. Doch jeder Beschluss des Senats kann vom Kongress mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden. Darüber hinaus bestimmt der Senat vier der zwölf Richter des Verfassungsgerichts und sechs der zwanzig Mitglieder des Allgemeinen Justizrates. Wenige Funktionen und wenig politische Macht für eine Institution, die die Spanier im Jahr 52 Millionen Euro kostet. Deshalb gibt es viele Stimmen wie die des spanischen Verfassungsrechtlers Roberto Blanco Valdés: "Wenn wir nicht bereit sind, den Senat ernsthaft umzugestalten, schaffen wir ihn lieber ab."

Der Autor ist freier Korrespondent in Madrid.

USA: EXKLUSIVER CLUB

Der US-Senat bildet die Interessen der Bundesstaaten auf nationaler Ebene ab, darin ist er mit dem deutschen Bundesrat vergleichbar. Die 435 Wahlkreise beim Repräsentantenhaus sind nach der Bevölkerungszahl zugeschnitten. Im Senat aber ist jeder der 50 US-Staaten mit zwei Sitzen vertreten - das kleine Rhode Island ebenso wie der bevölkerungsreichste Staat Kalifornien.

Mit dem föderalen Proporz hört der Vergleich mit dem deutschen System auf. Im Bundesrat sitzen die Landesregierungen - die Mitglieder des Senats werden von den Bürgern ihrer Staaten für sechs Jahre direkt gewählt und zwar alle zwei Jahre zu je einem Drittel. Anders als der Bundesrat ist der Senat eine zweite Parlamentskammer nach dem angelsächsischen Modell. Er entscheidet gleichberechtigt mit dem Repräsentantenhaus über alle Gesetze, die im Kongress erlassen werden. Jeder Senator hat außerdem das Recht, Gesetzesvorlagen einzubringen.

Dazu kommt eine Reihe von Sonderrechten: Für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge ist eine Zweidrittel-Mehrheit im Senat nötig. Das Gremium stimmt auch über die Besetzung wichtiger Posten in Regierung und Verwaltung ab - von Richtern am Supreme Court über Botschafter und Minister. Oder über die von US-Präsident Barack Obama als Leiterin der Zentralbank "Fed" nominierte Janet Yellen, die sich vergangene Woche den Fragen der Senatoren stellen musste.

Der Senat hatte in der US-Geschichte den Ruf eines exklusiven Klubs. Während im Repräsentantenhaus strenge Regeln herrschen, entscheiden die Mehrheitsführer der Parteien im Senat im Konsens, was auf der Tagesordnung steht. Man traute den Senatoren zu, dass sie den Blick aufs große Ganze hätten.

Dieses Ideal entspricht immer weniger der Realität. Die ideologischen Fronten zwischen den Parteien seien heute ebenso verhärtet wie im Repräsentantenhaus, klagen Kritiker. Mit ihren altmodischen Regeln blockiere oder verzögere die Kammer politische Entscheidungen, statt sie zu erleichtern.

Da ist etwa das Filibuster. Die Redezeit der Senatoren ist unbegrenzt - und die "Dauerrede" eines Senatsmitgliedes kann nur gestoppt werden, wenn eine Dreifünftel-Mehrheit von 60 Kollegen ihr ein Ende setzt. Jüngst machte der Republikaner Ted Cruz Schlagzeilen, als er aus Protest gegen die Gesundheitsreform 21 Stunden lang redete. Als ihm die Argumente gegen "Obamacare" ausgingen, las er Gute-Nacht-Geschichten für seine Kinder vor. Dabei handelte es sich nicht einmal um ein echtes Filibuster. Die Abstimmung über den Kompromiss, mit dem die Schuldengrenze angehoben wurde, war nämlich bereits angesetzt - und Cruz beendete seine Rede eine Stunde vorher.

Aber der Senat bietet eben eine große Bühne. Und so vermuten Beobachter, dass Cruz sich den Wählern aus dem Tea-Party-Lager für die Präsidentschaftswahl 2016 empfehlen wollte. Schließlich ist schon einem anderen der Sprung aus dem Senat ins Weiße Haus geglückt: Barack Obama.

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Washington.