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Geheimdienste auf Autopilot

KONTROLLE Die USA debattieren nach den NSA-Enthüllungen über Reformen bei der Überwachung ihrer Nachrichtendienste

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
4 Min

Es war ein bemerkenswertes Eingeständnis. Der Nachrichtendienst NSA sei "auf Autopilot" gewesen, sagte US-Außenminister John Kerry am 1. November. Im Oktober hatte die internationale Kritik an den amerikanischen Spionageaktivitäten gegen Verbündete einen Höhepunkt erreicht. Der Umfang der Abhöraktionen habe sogar ihn und den Präsidenten überrascht, sagte Kerry zerknirscht. Im Rest der Welt fragt man sich seither: Haben die USA ihre Geheimdienste tatsächlich nicht im Griff?

Das Weiße Haus will im Fall der Bespitzelung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jahrelang von nichts gewusst haben. Viele Geheimdienst-Insider halten das für glaubwürdig. Der Präsident bekommt in seinen Briefings die für ihn relevanten Erkenntnisse präsentiert, nicht aber die Quellen, aus denen diese Informationen stammen. "Es ist selbstverständlich, dass das Weiße Haus nicht alles wusste", sagt Stephen Vladeck, Juraprofessor an der American University und Experte für die Gesetzgebung zur nationalen Sicherheit. "Der Geheimdienstapparat ist so groß, dass es unmöglich ist, alles von der Spitze aus zu kontrollieren."

Mangelnde Aufsicht

Umso wichtiger wäre es, dass die anderen Aufsichtsmechanismen besser funktionieren. Vladeck hält es für alarmierend, wenn Mitglieder der Geheimdienstausschüsse im Kongress sagen, dass sie über das massenhafte Abschöpfen von Daten, inklusive denen von US-Bürgern, nicht genug wussten. "Ohne Wissen kann man keine Aufsicht haben", sagt Vladeck dazu.

Das ist aber gar nicht so einfach, denn die USA leisten sich den größten Geheimdienstapparat der Welt mit 17 Diensten und mehr als 100.000 Mitarbeitern. Dazu gehören der Auslandsnachrichtendienst CIA genauso wie eine Vielzahl von Diensten, die Ministerien unterstehen. Die National Security Agency (NSA), die für die Überwachung von elektronischer Kommunikation zuständig ist, untersteht etwa dem Verteidigungsministerium.

Frühere Versuche, Ordnung in das Wirrwarr dieser Organisationen zu bringen, dienten eher der Steigerung der Effizienz als der Transparenz. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden die Dienste erstmals einem Director of National Intelligence (DNI) unterstellt, der ihre Aktivitäten koordinieren soll. Dienste wie die NSA, die nach dem Ende des Kalten Krieges um ihr Überleben fürchteten, erlebten nach 2001 einen personellen und finanziellen Boom. Die "Washington Post" berichtete 2010, dass nach dem 11. September 263 Organisationen neu gegründet oder umstrukturiert worden seien und dass 854.000 Personen Zugang zu Informationen mit der Geheimhaltungsstufe "top secret" hätten. Im Haushaltsjahr 2010 war das Geheimdienstbudget auf 75 Milliarden US-Dollar angestiegen - nach Angaben der "Washington Post" war dies zweieinhalb mal so viel wie vor 2001. In diesem Jahr ist der Etat im Zuge der allgemeinen Haushaltssparmaßnahmen auf rund 53 Milliarden Dollar zurückgegangen.

Gesetzesänderungen stärkten die Macht der Dienste dazu noch weiter. Der Patriot Act von 2001 ermächtigt beispielsweise die Bundespolizei FBI, die Herausgabe von Daten über Privatpersonen in den USA zu erzwingen. War unter dem Foreign Intelligence Surveillance Act früher nur die Überwachung von ausländischen Mächten oder ihrer Agenten erlaubt, gestattet das Gesetz heute das Abgreifen von "Informationen über eine ausländische Macht (...), die Auswirkungen auf die Außenpolitik der USA haben". Was nicht ausgeweitet wurde, waren die Mechanismen zur Überwachung. Für die parlamentarische Kontrolle der Exekutive sind die Geheimdienstausschüsse in Senat und Repräsentantenhaus zuständig. Im Kongress kursieren derzeit konkurrierende Gesetzesentwürfe mit dem Ziel, den Zugang der Mitglieder zu Informationen zu verbessern.

Auch die Judikative ist beteiligt: Der Foreign Intelligence Surveillance Court (FISA), ein Geheimgericht bestehend aus elf Richtern, muss Anträge auf Herausgabe elektronischer Daten bewilligen. Das Gericht wurde in jüngster Zeit scharf kritisiert. Seine Sitzungen und Urteile sind geheim, im Zeugenstand steht nur die Regierung, die Gegenseite kommt nicht zu Wort - und fast nie wird ein Antrag abgelehnt.

Keine Ausnahme

Unter westlichen Demokratien seien die USA dabei allerdings kein Außenseiter, befand eine Studie der New America Foundation in Kooperation mit der deutschen Stiftung Neue Verantwortung, die die Geheimdienstaufsicht in den USA mit der in Großbritannien und in Deutschland verglich. So ähnele die deutsche G10-Kommission dem FISA-Gericht, auch wenn sie im Bundestag angesiedelt sei.

Juraprofessor Vladeck lässt den Vergleich nicht gelten. Es möge sein, dass andere Länder ähnlich skrupellos bei der Auslandsspionage seien und ähnlich der NSA vorsorglich große Datenmengen aufsaugten. Doch hätten sie bei Speicherung und Auswertung oft bessere Gesetze, um die Privatsphäre der eigenen Bürger zu schützen. Außerdem dürfe man eines nicht außer acht lassen: "Die meisten anderen Länder haben einfach nicht die technischen Fähigkeiten, die die USA haben." Denn aus diesen Fähigkeiten erwachse eben eine größere Verantwortung.

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Washington.