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Im Schattenreich der Ohrenkriecher

GESCHICHTE Spionage zählt zu den ältesten Gewerben der Menschheit

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
5 Min

Es ist eine Welt der Schatten, aber auch des Glitzers. Es ist die Welt von Ian Flemmings James Bond und Smileys Leuten, die John Le Carré beschrieb. Die allgemeine Vorstellung von der Welt der Geheimdienste, der Spionage und Gegenspionage, der Schlapphüte, Agenten und Dunkelmänner ist nicht immer deutlich stärker von litarischen Vorbildern und Leinwandhelden geprägt als von der Realität. Und dies, obwohl diese Welt so alt ist wie die ersten Hochkulturen und Großreiche.

Egal ob Babylonier, Assyrer, Meder, Perser, Griechen oder Römer - sie alle unterhielten Geheimdienste. Sei es, um ihren Machtbereich zu sichern, auszuweiten oder nur, um die Macht der jeweils Herrschenden zu zementieren. Anders ausgerdrückt: Hätte Alexander der Große ein Handy sein Eigen genannt, der persische Großkönig Dareios III. hätte es überwachen lassen, um sich über die Pläne seines makedonischen Gegenspielers zu informieren. Wo heute zunehmend auf modernste Überwachungstechnik gesetzt wird, war man in früheren Zeiten jedoch auf die Dienste von Agenten angewiesen. Bestechung, Erpressung, Gewalt oder Sex - diese Mittel zur Informationsbeschaffung wurden aber schon immer und werden bis heute eingesetzt.

Spitzelstaaten

"Für den Tyrannen gilt es, möglichst Sorge zu tragen, dass nicht verborgen bleibt, was einer von den Untertanen sagt oder tut; vielmehr also Späher eingesetzt werden, wie in Syrakus die sogenannten ,Zuträger' und wie Hieron die ,Ohrenkriecher' ausschickte, wo irgendein Treffen oder eine Zusammenkunft stattfand." So beschrieb der griechische Philosoph Aristoteles den Spitzelapparat, den der Tyrann Hieron I. in der griechischen Kolonie Syrakus im Südosten Siziliens aufgebaut hatte, um seine Alleinherrschaft zu sichern.

Auch der Mederkönig Deiokes (um 728 v. Chr.) und der persische Großkönig Kyros (um 547 v. Chr.) schienen ihren Untertanen nur bedingt zu trauen. "Überall in seinem Machtbereich unterhielt er Späher und Herrscher, so dass man ein offenes Wort nur hinter vorgehaltener Hand pflegen konnte", urteilte der griechische Historiker Herodot über die Herrschaft des Deiokes - allerdings mit einem zeitlichen Abstand von mehr als 350 Jahren. Solche Berichte sind durchaus mit Vorsicht zu genießen. Dass allerdings in Kyros' Reich die "Augen und Ohren des Königs" unterwegs waren, lässt sich sogar mit archäologischen Funden nachweisen. "Aufmerksam, verschwiegen und absolut loyal" sollen sie gewesen sein. "Die Kunst der Verstellung" hätten sie ebenso beherrscht, wie "die Gabe, sich unauffällig zu bewegen". So berichtet es der Athener Xenophon rund 150 Jahre nach Kyros.

Die erste durchorganisierte Geheimpolizei, die im Sinne eines Staatsschutzes agierte, "verdankt" die Welt Napoleons Polizeiminister Joseph Fouché (1759-1820). Dieser beschäftigte ein wahres Netzwerk von Agenten, um das Kaiserreich gegen innere Opponenten zu schützen. In dieser Zeit wurden erstmal auch im großen Umfang schriftliche Dossiers über Verdächtige erstellt.

Spionage im Krieg

Einen besonderen Stellenwert kam der Spionage seit jeher in Kriegszeiten zu. Bereits in den Heeren Alexander des Großen, des Karthagers Hannibals oder in den Legionen Roms waren zivile Agenten im Einsatz, die im Feindesland operierten. Allein auf die militärische Aufklärung durch Soldaten wollte man sich nicht verlassen. Selbst der italienische Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova (1725-1789) observierte im Auftrag des französischen Königs Ludwig XV. zehn britische Kriegsschiffe vor Dünkirchen. In seinen Memoiren berichtet Casonova davon, dass er sich als Matrose verkleidet an Bord eines Schiffes schmuggelte und von einem Kapitän Auskunft über Bewaffnung und Mannschaftsstärke erhielt.

In Kriegszeiten erweiterten sich aber auch die Aufgaben von Agenten und Geheimdiensten. Neben der Spionage und Desinformation standen nun die Unterstützung von Partisanen, Propaganda und psychologische Kriegsführung, Sabotageakte und andere verdeckte Operationen auf der Tagesordnung. Der 1942 auch als Reaktion auf den japanischen Überfall auf Pearl Harbour gegründete amerikanische Militärgeheimdienst OSS gilt hierfür als Musterbeispiel.

Liebesagenten

Mit zu den pikantesten Kapiteln der Geschichte der Spionage gehören die Liebes- oder Sexagenten. Letztes höchst öffentlichkeitswirksames Beispiel war der Fall von Anna Chapman, die im Juni 2010 zusammen mit neun weiteren russichen Agenten vom FBI in den USA verhaftet wurde. Einen Monat später wurde die attraktive junge Frau, die in der Presse schnell zur "Agentin 90-60-90" oder "Null-Null-Sex" avancierte, zusammen mit den anderen Agenten gegen vier in Russland wegen Spionage Inhaftierte ausgetauscht. Chapman, 1982 als Tochter des ehemaligen KGB-Offiziers Wassili Kuschtschenko in Russland geboren, soll in London Geldtransaktionen nach Simbabwe getätigt haben, um russische Agentenaktivitäten zu finanzieren. Später soll sie in New York Kontakte zu russichen Agenten gepflegt haben. Nach ihrer Verhaftung kursierten schnell wilde Gerüchte über ein Sex-Netzwerk. Die Presse verglich sie mit der Tänzerin Mata Hari, die für ihre Spionagetätigkeit ebenfalls ihre körperlichen Reize hat spielen lassen sollen.

Der KGB und der DDR-Auslandsnachrichtendienst (HVA) der Staatssicherheit setzten offenbar besonders stark auf die Macht von Liebe und Sex. Mit zu den bekannntesten Opfern männlicher "Romeos" gehören Gabriele Gast, eine ehemalige Regierungsdirektorin im Bundesnachrichtendienst, und Ursel Lorenzen, eine Sekretärin im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Beide wurden von Liebesagenten der HVA angeworben, die ihnen das Gefühl gaben, "als gleichberechtigter Partner anerkannt, geschätzt und auch geliebt zu werden", wie es in Schulungsmaterial der Stasi hieß.

Mitunter verschwammen auch die Grenzen zwischen Politik und Spionage. So bereitete die Bretonin Louise de Querouaille im Auftrag Ludwig XIV. ein Bündnis mit dem englischen König Karl II. vor. Neben diplomatischen Geschick soll sie dabei auf ihre Attraktivität und Sex zurückgegriffen haben.

Wirtschaftsspionage

Neben politischen und militärischen Aspekten bilden auch wirtschaftliche Interessen eine der Grundpfeiler der Spionage. Und auch die Wirtschaftsspionage blickt auf eine lange Geschichte. So reisten im Jahr 555 zwei Mönche, die um das Geheimnis der Seidenraupe wussten, im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian I. nach China und klauten dort Eier der Raupen. In einem ausgehöhlten Spazierstock sollen sie die Fracht geschmuggelt haben. Der Raub, über den der Historiker Prokop berichtet, stellte den Ausgangspunkt für den Aufbau eines staatlichen Seiden-Monopols dar.

Auch 1.500 Jahre später werden im staatlichen Auftrag Geheimnise geklaut. So kam im Jahr 2001 der Aussschuss des EU-Parlaments zum Echelon-Abhörsystem, das von den "Five Eyes" (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) betrieben wird, zu dem Ergebnis: "Auch über die Zielsetzung des Systems, private und kommerzielle - und nicht-militärische - Kommunikation abzuhören, ist man sich einig." Eine Echelon-Anlage im bayerischen Bad Aibling wurde 2005 schließlich wegen des Verdachts der Wirtschaftsspionage demontiert. Doch mit der Spionage verhält es sich wohl, wie mit der antiken Schreckensgestalt der Hydra: Schlägt man ihr einen Kopf ab, so wachsen neun nach.