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Operation Kurswechsel

EINSÄTZE Stärkeres Engagement in Afrika soll für eine neue Sicherheitspolitik stehen. Manches erinnert an die Anfänge in Afghanistan

17.02.2014
2023-11-08T12:31:40.3600Z
6 Min

Vor zehn Jahren wurden in Kundus die ersten deutschen Soldaten stationiert. Statt in der seinerseits noch relativ friedlichen Hauptstadt Kabul sollte die Bundeswehr als Teil der "Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan" (ISAF) nun erstmals auch im noch umkämpften Rest des Landes Präsenz zeigen. Die Amerikaner baten um Entlastung - vor allem weil durch den Einmarsch im Irak dort immer mehr ihrer Truppen gebunden waren.

Verkauft wurde Öffentlichkeit und Parlament der Einsatz nicht als Militäroperation, sondern als innovativer, zivil-militärischer Ansatz zur Konfliktlösung. In dem "Regionalen Wiederaufbauteam", wie das Camp in Kundus offiziell hieß, sollten zivile Aufbauhelfer unter dem Schutz der Bundeswehr arbeiten. Von einem Kampfeinsatz sprach niemand. Gerade einmal 150 deutsche Soldaten wurden anfangs nach Kundus geschickt.

Parallelen

Zehn Jahre später. Ein anderer Kontinent und eine völlig andere Lage. Und doch klingt im Falle Malis manches vertraut. Wieder geht es um eine vermeintlich ungefährliche Mission in einem vermeintlich ungefährlichen Umfeld. Auch diesmal geht es darum, die Beziehungen zu einem engen Verbündeten aufzufrischen. Und wieder geht es nur um ein paar hundert Soldaten - eine geringe Zahl verglichen mit den tausenden französischen und afrikanischen Soldaten, die dort bereits im Einsatz sind.

Bislang durften hier laut Bundestagsbeschluss bis zu 180 Soldaten im Rahmen der EU-Trainingsmission für malische Soldaten eingesetzt werden, demnächst sollen es 250 sein (siehe auch Seite 1). Der Einsatzraum ist weiterhin auf den nicht umkämpften Süden des Landes begrenzt (18/437). Für die vom UN-Sicherheitsrat abgesegnete Operation MINUSMA, dem eigentlichen Kampfeinsatz in Mali, darf die Bundesregierung weitere 150 Soldaten zur Verfügung stellen (17/12368), beteiligen darf sich die Bundeswehr allerdings nur indirekt: durch den Transport von Truppen nach und innerhalb Malis sowie zeitweise durch die Luftbetankung französischer Kampfjets. Stationiert ist die Luftwaffe sicherheitshalber außerhalb Malis, im benachbarten Senegal.

Die geringfügige Aufstockung des Mandats allein hätte wohl kaum für große Aufregung gesorgt, wäre da nicht das vereinte Vorpreschen von Außenminister, Verteidigungsministerin und Bundespräsident bei der grundsätzlichen Frage nach dem Ausmaß und der Zielrichtung künftiger Bundeswehr-Einsätze gewesen. Die Mission in Mali sollte ein Zeichen setzten. "So richtig eine Politik militärischer Zurückhaltung ist, so darf sie nicht missverstanden werden als eine Philosophie des Heraushaltens", formulierte Außenminister Frank Walther Steinmeier (SPD) in einem Zeitungsinterview kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz. Deutschland sei, "zu groß, um Weltpolitik nur zu kommentieren".

In ihrer ersten Grundsatzrede zu den Aufgaben der Bundeswehr ging die Verteidigungsministerin in eine ganz ähnliche Richtung. "Krisen und Konflikte appellieren an unser humanitäres Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden", sagte Ursula von der Leyen (CDU) in München. Daher sei "Abwarten keine Option". Wenn Deutschland über die Mittel und Fähigkeiten verfüge, so die Ministerin weiter, "dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren".

Aufmerksamkeit bekamen die Forderungen der beiden Kabinettsmitglieder vor allem durch die Rede des Bundespräsidenten auf derselben Tagung. "Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen?" und: "Tun wir, was wir tun könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika?", fragte Joachim Gauck - und lieferte gleich eine Antwort: "Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen."

So unterschiedlich Form und Tonlage auch waren, die Botschaft stimmte überein: Wir reduzieren zwar unsere Präsenz in Afghanistan, aber auch künftig wird es riskante Auslandseinsätze der Bundeswehr geben. Eher mehr als weniger. Und auch das war klar: Das Haupteinsatzgebiet soll in Afrika liegen.

Doch ganz so neu, wie es die aufgeregten Debatten der letzten Wochen suggerieren, ist die militärische Präsenz Deutschlands in Afrika nicht. Schließlich war die erste umfangreiche Mission der Bundeswehr überhaupt - 1993 und 1994 in Somalia - ein Einsatz in Afrika. Heute gibt es hier, wenn auch ohne viel öffentliche Beachtung, ein selbst für Eingeweihte kaum noch überschaubares Geflecht von Einsätzen: Der jüngste und am wenigsten bekannte Einsatz umfasst gerade einmal vier Soldaten, die als Beobachter den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Unabhängigkeitsbewegung Polisario in der Westsahara überwachen sollen. Da es sich um einen kleinen und unbewaffneten Einsatz handelt, bedarf er laut Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht der Zustimmung des Bundestages.

Großeinsatz

Am anderen Ende des Kontinents ist die Bundeswehr seit mehr als zwölf Jahren im Großeinsatz: Die Entsendung der Marine ans Horn von Afrika wurde ursprünglich mit den Terroranschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 begründet. Ab 2008 wurde aus der Anti-Terror-Operation dann eine Anti-Piraterie-Operation.

Jeweils 50 deutsche Soldaten hat der Bundestag für die Einsätze in der sudanesischen Provinz Dafur und in dem seit 2011 unabhängigen Südsudan. Der größte deutsche Afrika-Einsatz mit Bodentruppen der letzten zehn Jahre fand 2006 in der Demokratischen Republik Kongo statt. Insgesamt 780 Soldaten waren zur Sicherung der Präsidentschaftswahl abgestellt. Allerdings war der größte Teil als Reserve im Nachbarland Gabun stationiert und nach nur vier Monaten wurde der Einsatz planmäßig wieder beendet - noch bevor es in dem Land dann tatsächlich zu größeren Unruhen kam.

Von noch unbenannter Länge und sehr ungewissem Ausgang ist hingegen der aktuelle Somalia-Einsatz. Seit 2010 bilden Bundeswehr-Soldaten im Rahmen einer EU-Mission somalische Soldaten aus. Noch geschieht dies im Nachbarland Uganda. Jetzt erfuhren auch die Abgeordneten des Bundestages aus den Medien, dass künftig deutsche Ausbilder im Bürgerkriegsland Somalia selbst eingesetzt werden sollen. Mit wenig Begeisterung auch innerhalb der Regierungsfraktionen: Das Desaster des Somalia-Einsatzes Anfang 1994 ist nicht vergessen. Damals bekamen selbst US-Truppen die Situation nicht unter Kontrolle und verließen fluchtartig das Land. In der Folge musste auch die Bundeswehr ihren ersten großen Auslandseinsatz vorzeitig beenden.

Skepsis

Ob die Ausweitung des Mali-Mandats und die mögliche Verlegung von Bundeswehr-Ausbildern nach Somalia tatsächlich der Auftakt zu einer neuen Militärpolitik in Afrika sind, bleibt in der Diskussion. Wenn militärisches Eingreifen ernsthaft die Antwort auf humanitäre Desaster in Afrika sein soll, dann müsste längst ein Kontingent der Bundeswehr in Richtung Zentralafrikanische Republik unterwegs sein. Stattdessen betonte Verteidigungsministerin von der Leyen seit der Münchner Tagung immer wieder, dass sie Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afrika ausschließt. Und ebenso auffällig schweigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bislang zu den Forderungen von Gauck, Steinmeier und von der Leyen. Die Gleichsetzung von deutscher Skepsis gegenüber Militäreinsätzen mit unverantwortlicher Weltabgewandtheit, wie es Bundespräsident Gauck in München vortrug, scheint jedenfalls wenig Zustimmung zu finden. In einer repräsentativen Umfrage für die ARD begrüßten 52 Prozent ein stärkeres Engagement Deutschlands in der Welt. Sich dazu militärischer Mittel zu bedienen, lehnen allerdings 75 Prozent ab.

Und auch im Parlament deutete sich Unbehagen an. In den Regierungsfraktionen gibt es offenkundig Unmut angesichts des Vorpreschens von Außenminister und Verteidigungsministerin in Sachen Mali und Somalia. Abgeordnete aus SPD und Union lassen sich damit zitieren, größeres Engagement müsse ja nicht notwendigerweise mehr Militär heißen.

Überraschend deutlich meldete sich dazu der ehemals oberste Richter der Republik zu Wort. Er halte es im Augenblick für wichtiger, "die erfolgten oder noch andauernden Einsätze zunächst einmal zu bewerten, zu analysieren und sich zu fragen, was bei künftigen Einsätzen bedacht werden müsste", kommentierte Hans-Jürgen Papier, von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Äußerungen von Gauck, Steinmeier und von der Leyen. Die Mängel bei den bisherigen Einsätzen, so analysierte Papier nüchtern, "gründen vor allem darauf, dass es an einem präzisen Konzept des Einsatzes gefehlt hatte".

Verschärfung

Wozu das in Afghanistan führte, ist bekannt. Lange unterschätzte Berlin die Verschärfung der Lage in der Provinz Kundus. Der viel zitierte vernetzte Ansatz stand zunächst für Planlosigkeit. Die erklärten Ziele wechselten fast jährlich. Offiziell gab es nie einen Wandel von einer Schutzmission zu einem riskanten Kampfeinsatz - es passierte einfach. Eine Exit-Strategie lag nicht bereit. Aus dem gemütlichen Kundus wurde bald der Ort, der wie kein anderer die ersten deutschen Kampfeinsätze seit 1945 für den Tod von Bundeswehr-Soldaten steht.

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