Piwik Webtracking Image

Hürdenlos nach Straßburg

WAHLRECHT Sperrklausel bei Europawahl unzulässig. Wankt nun auch die Fünf-Prozent-Hürde?

17.03.2014
2023-08-30T12:26:10.7200Z
2 Min

Bei der Europawahl 2009 galt in Deutschland noch die Fünf-Prozent-Sperre. Die Stimmen von 2,8 Millionen Wählern fielen unter den Tisch. Das entsprach 10,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. In einem ersten Urteil kippte das Bundesverfassungsgericht 2011 diese Hürde. Sie verletze die Gleichheit der Wahl. Die übliche Rechtfertigung von Prozenthürden, dass so die Funktionsfähigkeit des Parlaments gesichert werde, passe bei Europawahlen nicht. Im EU-Parlament seien ohnehin 162 Parteien vertreten, die sich aber zu sieben Fraktionen zusammenfinden. Es sei gut möglich, dass auch zusätzliche deutsche Kleinparteien integriert werden. Außerdem, urteilten die Richter, wähle das Europaparlament keine Regierung, die auf seine kontinuierliche Unterstützung angewiesen ist. Vielmehr werde häufig mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt

Der Bundestag beschloss einige Monate später mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und FDP eine Drei-Prozent-Hürde für Europawahlen. Mit der Begründung: Die Aufstellung von EU-weiten Spitzenkandidaten führe dazu, dass sich nach der Wahl auch im Europaparlament eine feste Mehrheit und Minderheit gegenüberstehen werde. Nun aber urteilten die Richter: Wenn die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments durch ein paar Kleinparteien aus Deutschland nicht bedroht ist, dann sind alle Prozenthürden unzulässig.

Das Urteil fiel mit fünf zu drei Richterstimmen. Peter Müller (Ex-CDU-Ministerpräsident des Saarlands) schrieb als Stimme der

Minderheit ein Sondervotum. Nach seiner Meinung hätte Karlsruhe von einer Funktionsgefährdung des EU-Parlaments ausgehen müssen.

Vertreter der etablierten Parteien warfen den Verfassungsrichtern daraufhin vor, sie degradierten das Europaparlament zu einer Volksvertretung zweiter Klasse und ebneten Rechtsradikalen den Weg. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kritisierte, das Urteil sei "rechtlich umstritten, politisch nicht hilfreich und weise auf einen Europa-Skeptizismus in den Reihen des Verfassungsgerichts hin."

Hoffnung auf Mandate

Wenn bei der Europawahl am 25. Mai die 96 deutschen Abgeordneten gewählt werden, können nun nach den Rundungsregeln von Sainte-Laguë/Schepers schon 0,6 Prozent der Stimmen für ein Mandat genügen. Der Wegfall der Hürde dürfte zumindest drei zusätzlichen Parteien Mandate bringen: Bei der Bundestagswahl 2013 erzielten die Piraten 2,2 Prozent, die NPD 1,2 Prozent und die Freien Wähler 1,0 Prozent.

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger lobte das Karlsruher Urteil. Er forderte zugleich eine Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen. Dabei seien zuletzt auch rund 16 Prozent der Stimmen unter den Tisch gefallen.

Um ein neues Karlsruher Urteil zu verhindern, empfahl Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Fünf-Prozent-Hürde im Grundgesetz zu verankern. Unions-Vizefraktionschef Thomas Strobl griff den Vorschlag auf. Doch die Spitzen der Großen Koalition sahen hierzu bislang keine Notwendigkeit, schließlich hätten die Verfassungsrichter die Sperrklausel bei Bundestagswahlen gar nicht in Frage gestellt.

Der Autor arbeitet als rechtspolitischer Korrespondent für verschiedene Tageszeitungen.