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Justiz im Fadenkreuz

FALL EDATHY BKA-Chef Ziercke punktet im Innenausschuss, die Staatsanwaltschaft Hannover nicht

17.03.2014
2023-08-30T12:26:10.7200Z
6 Min

Zwei Mal innerhalb einer Woche hatte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, im Februar dem Innenausschuss des Bundestages zu der Affäre um den früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy Rede und Antwort gestanden. Er hatte den Abgeordneten erläutert, wie Edathys Name Mitte Oktober 2013 auf der Kundenliste eines kanadischen Kinderpornografie-Händlers entdeckt wurde, hatte von seinem damaligen Telefonat mit dem heutigen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann berichtet, und die Wogen schienen schon weitgehend geglättet, jedenfalls was die Rolle des BKA in der Affäre betraf.

Um so größer war dann die Aufregung, als anschließend bekannt wurde, dass im BKA der Name eines führenden Beamten des Hauses bereits Anfang 2012 auf eben der Kundenliste gefunden worden war, auf der auch Edathy stand. Der Beamte war wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material vom Dienst entfernt worden, doch hatte Ziercke dem Innenausschuss nichts von dem Fall berichtet. Nun hagelte es Rücktrittforderungen aus den Reihen der Opposition an die Adresse Zierckes, und Spitzenleute der Linken und der Grünen hielten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nur noch für eine Frage der Zeit. Auch Vertreter der Großen Koalition zeigten sich irritiert darüber, dass Ziercke im Innenausschuss den Kinderprono-Fall im eigenen Haus verschwiegen hatte, und in der Opposition wurde heftig bezweifelt, dass zwar der Name des BKA-Beamten auf der Kundenliste entdeckt worden sei, aber zunächst nicht der von Edathy.

Von Rücktritt keine Rede mehr

Zu der von Linken und Grünen geforderten Sondersitzung des Innenausschusses in der ersten März-Woche kam es nicht; stattdessen erschien Ziercke vergangene Woche erneut vor den Abgeordneten, nunmehr zum dritten Mal in Folge. Danach war von Rücktrittsforderungen keine Rede mehr, auch wenn für Die Linke und die Grünen ihre stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jan Korte und Konstantin von Notz noch offene Fragen sahen. Man habe "vieles Neues" zu den Abläufen im BKA erfahren und "vieles Schlüssiges", sagte Korte nach der vierstündigen Sitzung des Ausschusses, und Notz sprach von "differenzierteren" Antworten als bei den beiden vorangegangenen Sitzungen. Ein Untersuchungsausschuss stehe zwar "nach wie vor im Raum", doch wolle man nun zunächst die Beantwortung weiterer Fragen zu dem Komplex abwarten.

Keinen Grund für einen Untersuchungsausschuss sahen SPD-Fraktionsvize Eva Högl und der CSU-Innenexperte Stephan Mayer, die allerdings deutlich machten, dass sich die Koalition entsprechenden Forderungen der Opposition gegebenenfalls nicht widersetzen würde. Was das Bundeskriminalamt anbelagt, könne der Vorgang als beendet angesehen werden, sagte Mayer. Die Entdeckung des BKA-Beamten auf der Kundenliste sei ein "Zufallsfund im Rahmen der Grobsichtung" gewesen, wie Ziercke und seine Mitarbeiter dargelegt hätten; Anlass zur Annahme, dass Edathy bewusst geschont worden sei, bestehe nicht. Högl ergänzte, die zuständige BKA-Mitarbeiterin habe "sehr nachvollziehbar erklärt, wie es zu diesem Zufallsfund kam". Für sie, fügte Högl hinzu, "ist klar, wie der Fall abgelaufen ist".

Persönlichkeitsrechte wahren

Ziercke äußerte sich nach der Sitzung "einigermaßen erstaunt" darüber, wie "kleinlaut" die Opposition "nach diesen tollen Ankündigungen der Vergangenheit" geworden sei; er sprach von "Verleumdung" und zeigte sich "sicher, dass ich das Vertrauen meines Ministers weiter habe". Er habe keine rechtliche Verpflichtung gehabt, dem Ausschuss den Namen des BKA-Beamten zu nennen, in dessen Fall es "keine Verbindung zu der Grundfrage gibt: Wer hat wann was vom Fall Edathy gewusst", argumentierte Ziercke. Zugleich verwies er auf seine Verpflichtung, die Persönlichkeitsrechte des Beamten zu wahren, der ein Strafverfahren gehabt habe und nicht mehr im Dienst sei: "Ich musste mich rechtlich so verhalten, wie ich mich verhalten habe", sagte Ziercke. Högl assistierte, der BKA-Chef habe "absolut korrekt gehandelt, indem er diesen Fall dem Innenausschuss bisher nicht berichtet hat".

Kritik an Staatsanwaltschaft

Während Ziercke, dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach der Ausschusssitzung sein "uneingeschränktes Vertrauen" aussprach, also volle Rückendeckung von der Großen Koalition bekam, rückte die niedersächsische Justiz ins Zentrum der schwarz-roten Kritik. Zwei Stunden lang hatte der Ausschuss die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) sowie den Chef der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, und Jörg Fröhlich, den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, befragt, die das Ermittlungsverfahren gegen Edathy führt. "Wir haben uns fraktionsübergreifend wirklich redlich bemüht herauszufinden, warum ein so langer Zeitraum vergangen ist bei der niedersächsischen Justiz bis zur der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens" gegen Edathy, betonte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) anschließend, doch hätten dies "die Vertreter der niedersächsischen Justiz leider nicht überzeugend erklären" können. Obwohl der Sachverhalt ermittelt gewesen sei und es eine rechtliche Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main gegeben habe, seien gut drei Monate vergangen, bis es die Hausdurchsuchung bei Edathy am 10. Februar gegeben habe. Bei einem so langen Zeitraum dürfe man sich anschließend nicht wundern, die gesuchten Beweismittel nicht gefunden zu haben.

"Überfordert und hilflos"

Mayer hielt der niedersächsischen Justiz "erhebliche Pannen und Fehler" vor, Högl bescheinigte der Staatsanwaltschaft Hannover, sie habe "deutlich überfordert und auch etwas hilflos" gewirkt. Man habe im Ausschuss "keinerlei nachvollziehbare Erklärung" bekommen, wieso die Staatsanwaltschaft nach dem Fund von Edathys Namen auf der Kundenliste dreieinhalb Monate lang "nahezu untätig geblieben" sei. "Das wurde versucht zu rechtfertigen mit umfassenden sachlichen und rechtlichen Prüfungen", was "allen im Innenausschuss aber überhaupt nicht eingeleuchtet" habe. Wie die Koalitionsvertreter verwiesen indes auch Korte und Notz darauf, dass Fragen der niedersächsischen Justiz nicht Sache der Bundespolitik sind.

Vorgehen verteidigt

Die niedersächsische Justizministerin verteidigte indes das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Hannover; die öffentliche Kritik an dieser sei "wirklich überzogen". Es gebe "keine Anhaltspunkte dafür, dass es hier zu wirklich schweren Ermittlungsfehlern gekommen wäre", sagte Niewisch-Lennartz und bekräftigte, eine "politische Einflussnahme" auf das Verfahren gegen Edathy durch sie als Justizministerin werde es nicht geben. Staatsanwaltschaften müssten "sorgfältig ermitteln" und "dabei die Interessen der Beschuldigten wahren". Das sei in diesem Fall schwierig gewesen, weil viele Informationen ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft bereits in die Öffentlichkeit gelangt gewesen seien.

Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin einen Tag später im Rechtsausschuss des niedersächsischen Landtages. "Die Staatsanwaltschaft in Hannover hat sich nicht als Kavallerie verstanden, sondern als Behörde, die die Folgen für den Beschuldigten im Blick behalten hat", sagte Niewisch-Lennartz. Die Ermittler hätten richtig gehandelt im Umgang mit dem Verdacht, Edathy könne Kinderpornografie besitzen. Jedem sei klar, dass bei einem solchen Thema nur der Verdacht ausreiche, um eine Existenz nachhaltig zu zerstören. Wegen des großen öffentlichen Interesses erfolgten die Ermittlungen mit "besonderer Akribie".

Niewisch-Lennartz räumte ein, die Äußerungen des Leitenden Oberstaatsanwalts Fröhlich zu den Ermittlungen in einer Pressekonferenz seien in der Tat ungewöhnlich gewesen. "Die Pressekonferenz war von der Tiefe der Informationen auch für mich überraschend", sagte die Justizministerin. Immerhin habe Fröhlich bei seiner Aussage Mitte Februar eine öffentliche Beschreibung eines gegenwärtig noch als legal eingestuften Verhaltens abgegeben. Edathy selbst hat stets erklärt, kein strafbares Material besessen zu haben.

Ermittlungen gegen Friedrich

Bereits am Dienstag vergangener Woche machte Bundesinnenminister de Maizière in der Edathy-Affäre den Weg für Ermittlungen gegen seinen Amtsvorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) frei, indem er der Berliner Staatsanwaltschaft dazu die Ermächtigung erteilte. Friedrich, der im Februar als Agrarminister zurücktrat, wird des Geheimnisverrats verdächtigt. Er hatte im Oktober 2013 während der Gespräche zwischen Union und Sozialdemokraten über eine Große Koalition SPD-Chef Sigmar Gabriel unterrichtet, dass Edathys Name bei Ermittlungen wegen Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie aufgetaucht sei.

Der Bundesrat strebt derweil ein Verbot des gewerblichen Handels von Kinder-Nacktaufnahmen an. Dazu brachten Thüringen und Hessen am Freitag einen Entschließungsantrag in die Ausschüsse der Länderkammer ein. Bayern kündigte einen eigenen Gesetzentwurf an. Nach deutschem Recht ist es bisher nicht strafbar, Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen zu kaufen, die sie etwa beim Baden oder in der Sauna zeigen und auf Pädophile stimulierend wirken können.