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"Rasant wachsende Gefahr"

NSA-AUSSCHUSS Der Vorsitzende Binninger fürchtet, dass aus den USA kaum Unterstützung kommen wird

07.04.2014
2023-08-30T12:26:12.7200Z
4 Min

Herr Binninger, Sie leiten den Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSA-Affäre. Besteht nicht die Gefahr, dass die Arbeit des deutschen Gremiums in den USA und Großbritannien kaum ernstgenommen wird?

Was immer man dort von unserem Gremium hält: Unsere Aufklärungsarbeit wird auch den USA und Großbritannien verdeutlichen, dass wir nach dem Bekanntwerden der Spähaffäre nicht zur Tagesordnung übergehen. Die ausländischen Nachrichtendienste werden uns letztlich sehr ernst nehmen.

Weder Zeugen noch Akten werden über den großen Teich nach Berlin kommen, auch aus London ist nichts zu erwarten. Muss die Arbeit des Ausschusses damit nicht Stückwerk bleiben?

Einen Versuch sollte man zumindest machen. Wahrscheinlich werden wir aber weder aus Washington noch aus London Informationen erhalten. Auch auf eine Anfrage des vom EU-Parlament eingesetzten NSA-Ausschusses gab es keine Reaktionen. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir zu unseren drei Aufträgen genügend Erkenntnisse gewinnen werden. Wir sollen zum einen durchleuchten, wie die Kommunikation in der Bundesrepublik von ausländischen Geheimdiensten überwacht wurde und ob deutsche Stellen in diese Ausforschung involviert waren. Zum anderen interessiert uns, inwieweit Mitglieder der Regierung und anderer Verfassungsorgane ausgespäht wurden. Und schließlich geht es um die Frage, wie sich die Sicherheit im Netz erhöhen lässt.

Sie sind gegen einen Zeugenauftritt des Whistleblowers Edward Snowden. Warum eigentlich? Immerhin hat er die NSA-Spähaffäre ins Rollen gebracht.

Ich lehne eine Ladung Snowdens nicht prinzipiell ab, aber ich bin sehr skeptisch, ob uns der ehemalige NSA-Bedienstete helfen kann. Snowden sagt selbst, dass er keine Dokumente mehr hat und über kein zusätzliches Wissen verfügt. Seine schriftlichen Antworten auf Fragen des NSA-Ausschusses im EU-Parlament blieben allgemein und abstrakt. Wir müssen sorgfältig prüfen, ob Snowdens Anhörung unser Gremium weiterbringt.

Spielt es nicht auch eine Rolle, dass ein Auftritt Snowdens in Berlin einen Konflikt mit den USA wegen einer Auslieferung heraufbeschwören würde?

Solche Aspekte werden im Ausschuss bei der Überlegung, ob ein Erscheinen Snowdens sinnvoll ist oder nicht, außen vor bleiben. Zu prüfen, welche Folgen der US-Haftbefehl gegen Snowden und ein Auslieferungsbegehren haben, ist nicht Sache unseres Gremiums, sondern der Regierung.

Für viel Aufsehen sorgte, dass auch das Telefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört wurde. Droht der Blick auf die massenhafte Überwachung der Bürger dadurch in den Hintergrund zu rücken?

Natürlich ist bei Untersuchungsausschüssen die mediale Außenwirkung bei politischen Zeugen häufig am größten, das sollte aber nicht unser Leitmotiv sein. Im Mittelpunkt unserer Arbeit werden die massenhafte Überwachung der Bürger und die Frage stehen, wie sie besser vor Ausspähung bewahrt werden können.

Untersucht werden soll, ob deutsche Geheimdienste mit der NSA kooperiert haben und dabei aus den USA Informationen erhielten, die zu sammeln ihnen hierzulande verboten ist. Sehen Sie Anzeichen für eine solche Verquickung?

Nein, bislang kann ich dafür keine Indizien erkennen. Allerdings werden wir sehr intensiv der Frage nachgehen, wie weit die unbestreitbar notwendige Zusammenarbeit unserer Nachrichtendienste mit Partnerorganisationen gehen darf. Wo endet dies, wo verläuft rechtlich und technisch die rote Linie?

Das No-spy-Abkommen mit den USA ist offenbar gescheitert. Ist das ein Indiz dafür, dass die NSA und die Briten unberührt von aller Kritik munter weiterspionieren?

Das wäre die schlechteste Variante. Diese Sichtweise wird genährt durch die Weigerung Washingtons und Londons, unsere kritischen Fragen zur NSA-Affäre adäquat zu beantworten. So schafft man kein Vertrauen. Das darf uns indes nicht vom Bemühen um Lösungen abhalten. Wir sollten deshalb auch Kontakt mit US-amerikanischen und britischen Parlamentariern suchen. Der republikanische Kollege Jim Sensenbrenner aus den USA hat mir gesagt, dass er dringenden Reformbedarf in Sachen NSA sehe. Die innenpolitische Debatte in den USA steht erst am Anfang und die sollen wir befördern.

Im schlechtesten Fall wird der Untersuchungsausschuss ausgehen wie das Hornberger Schießen. Was wird denn im besten Fall herauskommen?

Nicht Skandalisierung, sondern Aufklärung muss unser Maßstab sein. Wir wären auch erfolgreich, wenn wir belegen könnten, dass mancher Verdacht vielleicht unbegründet ist, dass etwa die hiesigen Geheimdienste gerade nicht rechtswidrig mit ausländischen Partnern kooperieren. Unsere zentrale Aufgabe will ich so formulieren: Es gilt, rechtswidrige Praktiken aufzudecken und dadurch eine Veränderung der Praxis zu erreichen sowie Erkenntnisse zu liefern, wie die private Kommunikation der Bürger gegen die im Zeitalter der Digitalisierung rasant wachsenden Gefahren der Überwachung besser geschützt werden kann.

Wird Ihr Gremium nach dem Vorbild des NSU-Ausschusses fraktionsübergreifend ans Werk zu gehen und nicht zum Kampfplatz zwischen Koalition und Opposition werden?

Ich hoffe es. Ziehen wir an einem Strang, dann stärkt dies die Autorität unseres Ausschusses wie des Bundestags insgesamt gegenüber ausländischen Geheimdiensten und Regierungen. Was ich als Vorsitzender dazu beitragen kann, will ich gerne tun.

Das Interview führte Karl-Otto Sattler.

Clemens Binninger (CDU, 51) aus Baden-Württemberg gehört dem Deutschen Bundestag seit 2002 an und ist auch Vorsitzender des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste.