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Weg mit den Barrieren!

BEHINDERTE Opposition fordert Sofortprogramm zum Abbau von Hindernissen im Alltag

07.04.2014
2023-08-30T12:26:12.7200Z
3 Min

Noch immer stoßen Menschen mit Behinderung im Alltag an zahlreiche Hürden: Sei es, weil ihnen mit Rollstühlen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden oder Bahnhöfen verwehrt ist, weil das Online-Angebot von Behörden nur sehenden Menschen zugänglich ist oder weil lernbehinderte Kinder in den meisten Bundesländern nur bis zur Grundschule in Regelschulen unterrichtet werden und vielen Betroffenen nach der Schulzeit lediglich die schlecht bezahlte Arbeit in einer Werkstatt bleibt. Für viele der 17 Millionen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland ist das deprimierende Realität, vor allem für die sieben Millionen von ihnen, die als schwerbehindert gelten.

Weniger Barrieren

Dabei ist die Theorie eine andere. Vor fünf Jahren trat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Kraft. Die soll behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen ermöglichen. Weil es bis dahin aber noch ein weiter Weg ist, hat die Koalition ein Behindertenteilhabegesetz für das Jahr 2016 angekündigt. Die Opposition fordert dagegen unverzügliches Handeln und brachte deshalb zwei Anträge (18/977, 18/972) in den Bundestag ein, die am vergangenen Freitag erstmals im Plenum beraten wurden. Darin werden die Überarbeitung des Behindertengleichstellungsgesetzes und ein Sofortprogramm zum Abbau von Barrieren gefordert. Weniger Barrieren: Das will auch die Koalition. Für die CDU sprach Uwe Schummer von "ambitionierten Zielen" des Teilhabeberichts, der im vergangenen Jahr vorgelegt worden sei. Barrierefreiheit müsse es auf allen Ebenen geben, nötig sei es dabei auch, "Barrieren in den Köpfen" zu überdenken. Die CSU-Abgeordnete Astrid Freudenstein sagte, seit Inkrafttreten der Konvention sei es nicht bei der Idee einer inklusiven Gesellschaft geblieben, "die Sache lebt". Wichtig sei vor allem, dass die individuelle Lebensplanung "mehr geachtet und gestärkt werde".

Für die SPD kündigte Kerstin Tack ein Behindertenteilhabegesetz an. Dies werde 2016 zur Verabschiedung vorgelegt und solle 2017 in Kraft treten. Die Koalition habe sich "richtig viel vorgenommen", erstmals würden die Belange von Menschen mit Behinderungen in einem Koalitionsvertrag "flächendeckend" berücksichtigt. Barrierefreiheit sei eine Selbstverständlichkeit und werde daher in allen weiteren Aktivitäten zur Städtebauförderung Niederschlag finden. Außerdem wolle man beim Anspruch auf Teilhabe weg vom Fürsorgeprinzip der Sozialhilfe, dafür solle ein eigenständiges Recht im Sozialgesetzbuch IX verankert werden. Dies sei "ein Paradigmenwechsel". Die SPD-Sozialpolitikerin Ulla Schmidt warb für eine Zusammenarbeit aller Fraktionen. Es gebe ein Menschenrecht auf Teilhabe, das momentan "Tag für Tag auch verletzt" werde. Dies zu ändern sei "gemeinsamer Auftrag".

Opposition will mehr

Die Opposition will jedoch nicht länger warten. Als vor 30 Jahren das UNO-Jahr der Behinderten ausgerufen worden sei, hätten Betroffene kritisiert, es solle nur der gute Schein aufrecht erhalten werden, sagte die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Corinna Rüffer. Damals sei von "Integrationsoperetten" die Rede gewesen, heute müsse von "Inklusionsoperetten" gesprochen werden. Eine Umsetzung der Konvention sei mit "schönen Worten" nicht zu erreichen, es müsse um konkrete Verbesserungen im Leben Behinderter gehen. Kerstin Andreae (Grüne) ergänzte, nötig sei ein neuer Begriff von Behinderung, der einen Paradigmenwechsel vornehme: Die Gesellschaft sei die Verursacherin von Barrieren. Bislang sei der Diskriminierungsschutz behinderter Menschen auf Teilbereiche beschränkt. Es dürfe nicht hingenommen werden, dass Menschen aus Restaurants oder Clubs verwiesen würden, weil sie anders essen oder sich anders bewegen. Dies sei nicht akzeptabel.

Infrastruktur

Für die Fraktion Die Linke stellte Katrin Werner klar, dass die Infrastruktur mangelhaft sei: So fehlten drei Millionen barrierefreie Wohnungen, und nur jede dritte Arztpraxis sei für Rollstuhlfahrer zugänglich. Ihre Kollegin Sabine Zimmermann kritisierte, dass viele Unternehmen sich von der Pflicht, behinderte Arbeitnehmer zu beschäftigen, freikauften. Damit sei es für Menschen mit Behinderungen "fast unmöglich", einen regulären Job zu finden.

Der Bedarf für ein Teilhabegesetz wird auch von den Behindertenverbänden gesehen. Auch sie wollen, dass die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfe herausgelöst und die Leistungen einkommens- und vermögensunabhängig gestaltet werden. Die derzeitige Ausgestaltung halte Betroffene arm - auch das ist für die Teilhabe eine kaum überwindbare Barriere. Susanne Kailitz z